#1 STRUKTUR-TRAINING UND SELBST-FÜRSORGE von ero langlotz 28.03.2021 12:06

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Selbst-Fürsorge ist ein zentrales Kriterium seelischer Gesundheit. Sie basiert auf der Selbst-Liebe getreu dem Spruch: “Liebe den anderen wie dich selbst!“
Bei unseren Klient*innen sind oft beide Aspekte zugleich beeinträchtigt.
Dazu kommt eine sehr verbreitete Verwirrung: Selbstliebe wird oft als Egoismus diffamiert. Und gleichzeitig wird eine „selbstlose“ Fürsorge für andere als hohe Tugend glorifiziert.

Durch ein Struktur-Training nach Langlotz mit Einbeziehung des „WAHREN SELBST“ wird es möglich, die Bedingungen für die Entwicklung von Selbst-Fürsorge (Self-Care) zu erforschen. Deren Störungen durch maladaptiv gespeicherte Trauma-Introjekte werden sichtbar und können durch Test-Interventionen genauer untersucht werden. Die Reaktionen einer Klient*in erlauben Rückschlüsse auf die wirksame Dynamik, sodass die Interventionen immer präziser werden.
Das soll im folgenden genauer erläutert werden.


Selbst und Struktur
Das SELBST hat die Funktion eines zentralen Steuerungsorgans.
Es hat das Potential, durch die Bildung einer Struktur Kongruenz herzustellen das heisst Selbst-Verbindung. Kongruenz wiederum ist die Voraussetzung für Autonomie für Selbst- statt Fremd-Bestimmung. Selbst und Struktur verstärken sich gegenseitig. Das wirkt selbst-stabilisierend.

Dabei werden folgende Aspekte einer Struktur deutlich:
Zentral ist das Bewusstsein für ein wahres Selbst, das seinen Wert in sich hat – intrinsischer Selbstwert.
Dieses Selbst ist auch die Quelle der wirkenden Kräfte:
eine gesunde Aggression („Urkraft“), die Ich-Fremdes erkennen und aus dem eigenen Raum entfernen kann. Und
eine bedingungslose Liebe zum Gegenüber, absichtslos und ohne Rücksicht auf Nutzen.

Das Bewusstsein um dieses Selbst ermöglicht es, fremde Elemente (Personen, Überzeugungen, Gefühle, Traumata) als Ich-fremd zu erkennen, und sie – bei allem Respekt – aus dem eigenen Raum zu entfernen. Diese Unterscheidung Ich versus Nicht-Ich schafft Grenzen. So entstehen unterschiedliche Räume: ein eigener Raum, in dem nur man selber zuständig ist. Und andere Räume, in denen man – ohne „Auftrag“ – nicht zuständig ist. Und schliesslich der Raum der Vergangenheit, in den all das gehört, was vergangen ist.

Diese Struktur ist Voraussetzung für Selbst-Verbindung, für Kongruenz. Und sie ist auch Voraussetzug für Selbstfürsorge.


Selbst und Selbst-Fürsorge

Bei Aufstellungen nach dem Konzep der Systemischen Selbst-Integration hat es sich bewährt, zwei unterschiedliche Selbst-Anteile anzunehmen: ein erwachsenes Selbst und ein kindliches Selbst. So wird es auch möglich, das Phänomen der Selbstfürsorge (Self-Care) genauer zu untersuchen.
Das erwachsene Selbst beinhaltet die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, jemanden zu schützen und für ihn zu sorgen.
Das kindliche Selbst beinhaltet unter anderem die Aspekte der Bedürftigkeit nach Anerkennung, Schutz und Fürsorge – zusätzlich auch Fantasie, Neugier und Freude an Spiel und Spass.
Hat eine Person beide Selbst-Aspekte integriert, dann nimmt sie ihre eigenen Bedürfnisse wahr und kann auf erwachsene Art für sich sorgen, sich wehren und schützen. Diese „Selbstfürsorge“ ist ein Teil ihrer Autonomie und macht sie unabhängig und frei.

Wenn sie so für sich selber sorgen kann, dann kann sie sich dazu entscheiden, Anerkennung, Schutz und Fürsorge auch anderen Menschen – z.B. in ihrer Familie – zukommen zu lassen, z.B. einem Kind, einem Partner oder einem Elternteil, wenn diese durch Krankheit oder Alter nicht mehr für sich selber sorgen können.

Beziehungstrauma

Wenn jedoch durch frühe traumatisierende Beziehungen zu den ersten Bezugspersonen die Integration der Selbst Anteile blockiert ist, dann ist die Koordination dieser beiden Anteile im Sinne einer Selbstfürsorge sehr erschwert.
Eltern die selber traumatisiert sind, können sich einem Kind nicht zuwenden. Da sie selber nicht mit ihrem eigenen Wesenskern, ihrem SELBST verbunden sind, können sie auch das Selbst ihres Kindes nicht wahrnehmen. Und sie können ihm nicht die absichtslose Liebe geben, die das Kind benötigt, damit in ihm der eigene Wesenskern „geweckt“ wird, sein wahres Selbst, das „es wert ist geliebt zu werden, einfach weil es da ist.“

Wenn Eltern einem Kind nicht ihr eigenes wahres Selbst zeigen können, sondern nur ihr durch das Trauma verwirrte „falsche Selbst“, dann passt sich das Kind dieser „Realität“ an. Allerdings kann es kein gesundes (intrinsisches) Selbstwertgefühl entwickeln. Um zu überleben entwickelt es ein falsches Selbst-Konzept mit einem extrinsischen Selbstwert. Es entwickelt die Illusion, dadurch wertvoll zu sein, dass es ungefragt die unausgesprochenen Bedürfnisse der Eltern erspürt und sich dafür verantwortlich fühlt.
Und das wird vom Kind und von den Eltern irrtümlich für selbstlose Liebe gehalten!

Zugleich kann das Kind nicht erleben, dass seine eigenen Bedürfnisse von den Eltern wahrgenommen und berücksichtigt werden. Ohne dieses Vorbild ist es aber nicht in der Lage, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und zu äußern.

Diese beiden Aspekte bewirken, dass es nicht lernen kann, die eigene Fähigkeit zur Fürsorge für die eigenen Bedürfnisse anzuwenden. Es kann keine Selbst-Fürsorge entwickeln.
Das wirkt sich aus auf die Partnerwahl und auf die Beziehungsmuster.

Beziehungstrauma und das Symbiosemuster.


Ohne Kongruenz, ohne die Verbindung mit dem eigenen Selbst können die Betroffenen sich dem Gegenüber nicht so zeigen, wie sie wirklich sind. Sie können nicht echt und authentisch sein und verlieren damit ihre Anziehung. Und sie fühlen sich nicht angezogen von der Authentizität ihres Gegenübers. Eine Ich-Du-Begegnung mit Bindung durch gegenseitige Anziehung ist ihnen verwehrt.

Gibt es für sie eine alternative Form von Bindung?
Wenn diese beiden Aspekte Fürsorge und Bedürftigkeit infolge einer traumabedingten Selbst-Entfremdung nicht innerhalb der Person aufeinander bezogen werden können, dann können sie immerhin dazu dienen, eine Bindung zu schaffen.
Die Betroffenen haben „gelernt“ ihren (extrinsischen) Sebstwert darin zu sehen, dass sie ungefragt die Bedürfnisse eines anderen erspüren und sich dafür verantwortlich fühlen. Daher fühlen sie sich angezogen durch Menschen, die bedürftig sind, die angewiesen sind auf ihre Fürsorglichkeit.
Und das halten sie irrtümlich für selbstlose Liebe!
Und diese „Liebe“ erwarten sie auch vom Gegenüber!
Denn auch sie wirken in ihrer eigenen Bedürftigkeit anziehend auf andere, die sich in einem ähnlichen Modus befinden.

Diese Bindung ist jedoch symbiotisch. Da die Klient*in nicht mehr mit dem eigenen Selbst verbunden ist, da ihr diese „intrinsische Orientierung“ fehlt, orientiert sie sich mehr am jeweiligen Gegenüber und an dessen Bedürfnissen, als an den eigenen.
Statt der gesunden Kongruenz mit dem Selbst sucht sie eine „illusionäre Kongruenz“ mit dem Gegenüber. Das erklärt das Bedürfnis nach Harmonie und Harmonisierung. Unterschiede und Ärger dürfen gar nicht wahrgenommen werden, sondern werden unterdrückt, weil sie die Abhängigkeitsbeziehung gefährden könnten.
Und die gesunde Urkraft, deren Aufgabe es ist, zu unterscheiden und Ich-fremdes zu erkennen und zu entfernen, ist durch das Introjekt blockiert. Sie staut sich und richtet sich destruktiv gegen das Selbst – Selbstwertzweifel, Selbstabwertung, Depression, Angst, Krankheiten – oder destrutkiv gegen Fremdes.
Das sind Aspekte eines Symbiosemusters. Es kann daher als Kompensationsversuch für traumabedingte Selbstentfremdung verstanden werden.

Das Symbiosemuster hat eine sich selber verstärkende Dynamik. Es wird zu einer Falle, aus der die Betroffenen sich selber nur selten befreien können. Eine Transformation zu mehr Kongruenz mit Selbstfürsorge und Kongruenten Partnerbeziehung ist schwierig. Denn sie erfordert von den Betroffenen schier Unmögliches: Sich gleichzeitig (!) vom vertrauten illusionären extrinsischen Selbstwert zu lösen und dem eigenen Selbst zu vertrauen, das bisher abgelehnt und abgewertet wurde, von der Umgebung – und vom Betroffenen selbst.

Der Lösungsprozess der Selbst-integrierenden Trauma-Aufstellung

Das hier skizzierte Verständnis von Trauma und Struktur, von wahrem und falschen Selbst, von absichtsloser und von manipulierender Liebe ermöglicht einen Lösungsprozess durch eine Reihe von gezielten Interventionen.
Die Abfolge dieser Interventionen ist in der praktischen Arbeit der letzten 20 Jahre entstanden und hat sich als sehr wirkungsvoll erwiesen. Zugleich entspricht diese Abfolge einer inneren Logik, welche eine eigene Schönheit besitzt.

Das macht sie für mich sehr kostbar.


Der Prozess macht der Klient*in zunächst folgende „Verwerfungen“ der Struktur, bewusst, die durch ein frühes Beziehungstrauma ausgelöst wurden:
1. Verwirrung hinsichtlich Grenzen und Zuständigkeiten.
2. Das Konglomerat, bestehend aus aus eigenem Trauma, den beteiligten Bezugspersonen und den von ihnen übernommenen Traumata, wurde buchstäblich zur Basis für ein Selbstkonstrukt.
3. Damit verbunden das Gehen „auf eine höhere Ebene“ – eine rationale, eine spirituelle Ebene oder Rückzug in Fantasiewelten – um Schmerz und Leid nicht an sich heranzulassen.
4. Tendenzen zu Kontrolle, zu Perfektionismus und zu einer Verantwortung für die Anderen, die zwangsläufig zu Erfahrungen des nicht Genügens oder Versagens führen mussten
5. Spaltung zwischen einem „falschen Selbst“ mit Grössenfantasien und dem „wahren Selbst“, das von der Umgebung – aber auch von der Klient*in selber – ignoriert, abgelehnt oder verurteilt wurde.
6. Die gesunde Urkraft – die das Ich-Fremde erkennt und aus dem eigenen Raum entfernt – ist blockiert. Die Klient*in fühlt sich gelähmt. Die blockierte Kraft richtet sich destruktiv gegen das Eigene oder gegen Fremde.
7. Die Realität des emotionalen Verlassenseins und der Überforderung – bisweilen auch der erlebten Gewalt – wurde von der Klient*in „verinnerlicht“, so als gehöre das zu ihrer eigenen Realität: Selbst-Überforderung, Ignorieren und Vernachlässigen eigener Bedürfnisse.

Daraus ergeben sich die folgenden Schritte:
1. Training der Wahrnehmung für Grenzen und Zuständigkeiten – als Voraussetzung dafür, Kapitän auf dem eigenen Boot sein zu können.
2. Wahrnehmen der Elemente des Konglomerates und Abgrenzen, als Hier und Heute nicht mehr zur eigenen Identität gehörend.
3. Wieder-Ankommen auf dem „Boden“: die Erde spüren die uns bedingungslos trägt, weil sie uns hervorgebracht hat.
4. Annäherung an das souveräne „erwachsene“ Selbst „das seinen Wert und seine Würde in sich selber hat, so wie eine Rose“ durch Wertschätzung. So dass
5. das falsche Selbst mit seinen Grössenfantasien und seinem “extrinsischem“ (einseitig durch Leistung bestimmten) Selbstwert als entbehrlich ja als hinderlich erkannt und abgegrenzt werden kann.
6. Die blockierte Urkraft kann wieder gerichtet benutzt werden für Unterscheidung, Entfernung und Abgrenzung des Ich-Fremden. Die Klient*in fühlt sich wieder handlungsfähig.
7. Durch die stärkende Verbindung mit dem erwachsene Selbst kann sich die Klient*in ihrem „kindliche Selbst“ annähern, das wahrgenommen und geschützt werden will, aber auch „etwas anstellen will“.

Dieses Strukturtraining muss in einem zeitlichen Zusammenhang – das heisst in einer Sitzung – angewendet werden. Dann fördert es nicht nur Kongruenz, Selbst-Bestimmung und Resilienz, sondern auch die Fähigkeit zur Selbstfürsorge („Selbst-Bemutterung“ oder Self-Care).
Denn alle diese Fähigkeiten erfordern eine differenzierte Struktur
.

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