Es gibt eine wenig beachtete Gemeinsamkeit zwischen Familie und Aufstellung: In der Familie – wie in der Systemaufstellung – übernehmen Stellvertreter fremde Rollen. In der Systemaufstellung ist es der Klient, der Gruppenteilnehmer als Stellvertreter für Eltern, Geschwister oder eigene Selbstanteile aufstellt, um seine Verstrickungen in die Herkunftsfamilie bewusst zu machen - und zu lösen. In der Familie sind es traumatisierte Eltern, die durch ihre Bedürftigkeit veranlasst, einem Kind unbewusst bestimmte Rollen zuweisen: beispielsweise die Rolle eines früh verlorenen Elternteil („Parentisierung“), des fehlenden Partners, eines früh verstorbenen Geschwisters. So kann ein Klient als Kind für einen Elternteil mehrere Rollen übernommen haben, wenn beide Eltern traumatisiert sind, auch für beide – ohne sich dessen bewusst zu sein! Um diese Rollen übernehmen zu können, musste er die eigenen Selbstanteile, die eigenen Bedürfnisse unterdrücken, abspalten. Diese Einstellung, sich mehr für fremde Bedürfnisse als für die eigenen verantwortlich zu fühlen, sich mehr in fremden Räumen zuständig zu fühlen als im eigenen Raum, bestimmt auch später alle Beziehungen des Klienten – mit den damit verbundenen Problemen.
Der entscheidende Unterschied: in der Familie geschieht die Rollenzuweisung nicht bewusst und sie wird auch nie bewusst zurück genommen, sodass der Klient nicht für eine Stunde, sondern lebenslänglich in den Rollen bleibt – bis sie ihm bewusst werden und er sie abgeben kann.
Systemaufstellung kann dem Klienten diese unbewusst übernommenen Rollen bewusst machen und eine Lösung ermöglichen. Darüber hinaus wird deutlich, dass der Klient häufig den – oder beide – belasteten Elternteile unbewusst als Introjekt in seinen Raum genommen hat, damit er sich besser auf deren jeweilige Rollenerwartungen einstellen kann. Sie nehmen den Platz ein, der eigentlich seinem „Selbst“ zusteht. Sie hindern ihn, sein eigenes „Programm“ zu leben, und werden dadurch zu „Trojanern“. Einmal seinem Selbst entfremdet, neigt der Klient auch später dazu, sich nach anderen wichtigen Personen – einem Partner, dem Vorgesetzten – zu orientieren, auch sie an den Platz zu stellen, der eigentlich seinem „Selbst“ zusteht. So zieht ein Trojaner den nächsten nach sich. An zahlreichen Fallbeispielen wird gezeigt, wie diese erworbene Verwechslung von Eigenem und Fremden bewusst gemacht und durch geeignete Rituale gelöst werden kann.