Diesen Aufsatz schickte ich an Prof. Mentzos mit folgendem Begleitbrief:
From: "Dr.med.E.R.Langlotz" <praxis@e-r-langlotz.de> To: "Prof. Dr. Mentzos" Subject: Symbiose und Psychose Date: Sat, 9 Jul 2005
Lieber Prof. Dr. Mentzos, mit großem Interesse habe ich Ihren Aufsatz zu Therapie von Psychosen gelesen. Ich bin davon fasziniert, dass Sie den Grundkonflikt bei Psychosen im Dilemma zwischen Nähe zum anderen und der eigenen Autonomie sehen.
Auch ich verstehe den Grundkonflikt beim - von mir so bezeichneten "Verschmelzungssyndrom" in der subjektiven Unvereinbarkeit von Nähe zum Anderen und gleichzeitigem Kontakt zu sich selbst. Wie Sie in meinem Aufsatz sehen, glaube ich, drei unterschiedliche ENTSTEHUNGSBEDINGUNGEN FÜR DAS Verschmelzungs-Syndrom ausmachen zu können: 1. die übergriffige Mutter ("Infektion durch die symbiotische Mutter") 2. der nicht erreichbare Vater ("umgekehrte Empathie") 3.die unbewußte verschmelzende Bindung an ein unbekanntes Geschwister.
Diese frühen Bindungserfahrungen, werden zum "Modell" für spätere Beziehungen, zum Partner, zum Kind, zur Arbeit, etc. Bei einigen Patienten scheinen alle drei Bedingungen vorzuliegen! Wie Sie verstehe ich das Verschmelzungs-syndrom als Anpassung an eine Mangelsituation und die resultierenden Symptome als Kompensationsversuch, mit einem Verschmelzungssyndrom zu überleben.
Das Familienstellen erlaubt einen unmittelbaren Zugang zu den frühen prägenden Bindungserfahrungen. Ich hatte mehrmals die Chance, innerhalb eines Aufstellungsseminars je die HERKUNFTSFAMILIE des Psychosepatienten und der begleitenden Eltern aufzustellen.Dabei zeigte es sich, dass bereits beide Eltern mit einem eigenen Elternteil "verschmolzen " waren und der Klient seinerseits mit beiden Eltern verschmolzen war. Dies erklärt die Eingeschränkte Identitätsentwicklung, aber auch die Übernahme traumatisierender Erlebnisse über Generationen weg von Großvater zu Enkel,die einen Teil des "psychotischen Erlebens" ausmachen. Beim Familienstellen wird diese "Verschmelzung" auf drastische Art deutlich: ich stelle den Klienten an den Platz seiner Mutter. Dort kennt er sich aus -mehr als bei sich selbst, so als habe er die ganze Zeit noch "in der Mutter gesteckt", "die Welt durch Mutters Augen gesehen". Zur Lösung führt ein Ritual von eindrücklicher Psycho-Dramatik: er "steigt" aus der Mutter aus, sagt die Identitäts-stiftenden Sätze: Du bist Du, Ich bin Ich, Du hast Dein Schicksal, ich habe meines, Du gehst Deinen Weg, ich den meinen- und ich bleibe immer Dein Sohn." Unterstützend für diesen "INDIVIDUATIONS-PROZESS" wirken weitere RITUALE; das Zurückgeben von "verlorenen Seelenanteilen" (vom Elternteil zum Kind), und das Zurückgeben übernommener Last (vom = Kind zum Elternteil) . Beides wirkt sehr tief auf einer unbewußten = Ebene.
Ein wesentlicher Faktor für die ENTSTEHUNG DES Verschmelzungssyndroms scheint darin zu bestehen, dass bereits die Eltern sich von früh verstorbenen Angehörigen nicht verabschieden konnten, dadurch "Seelenanteile" verloren haben, sich dem Partner (Trennung) und dem Kind nicht zuwenden konnten, ihn nicht als das sehen können , was er ist, als Kind. So bietet das Kind dem Elternteil seine Seelenanteile "als Ersatz" an und glaubt, ihm fehlende Angehörige ersetzen zu müCssen, um die Illusion von Nähe, Verbindung, Bedeutsamkeit zu ihm zu haben. So entwickelt es eine "falsche Identität", ein brüchiges Selbstgefühl, schwankend zwischen grandioser Selbstüberschätzung und dem Gefühl des Versagens. Abschieds- und Abgrenzungs-Rituale sind daher bei meiner Art des FAmilienstellens zentral. Übrigens finde ich das Verschmelzungs-Syndrom" in leichterer Ausprägung bei 70-90% meiner Klienten! Durch den Symbiose-Fragebogen ist es möglich, das Ausmaß von Abgrenzungs- und Selbstwahrnehmungsschwäche sowie die Kompensationsmechanismen "Überabgrenznung" und "dominantes Verschmelzen"quantitativ zu erfassen, was auch eine Effizienzkontrolle ermöglicht. Bitte entschuldigen Sie meinen Enthousiasmus.Da ich bei meinen Aufstellerkollegen wenig Resonanz für meine Beobachtungen finde, freut es mich umsomehr, einem erfahrenen Therapeuten zu begegnen, der ähnliche Vorstellungen entwickelt hat. Natürlich ist das Familienstellen kein Allheilmittel gegen Psychosen, ich verstehe es als wichtiges diagnostisches aber auch therapeutisches Instrument, um die Aufmerksamkeit des Klienten auf diese Dynamiken zu lenken und ihm eine andere, befreite Erfahrung möglich zu machen, sodass er motiviert ist, sich therapeutische Hilfe zu holen.
Zum Schluß muss ich noch erwähnen, dass ich niedergelassener Psychiater bin, mich von den unterschiedlichen Psychotherapieverfahren - zum Teil wegen ihrer den Klienten abwertenden = Terminologie - nicht angesprochen fühlte und über die Initiatische Therapie Karlfried Dürckheims zu eigener therapeutischer Tätigkeit = kam. Daher meine geringe Kenntnis der Therapeuten-Szene.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Ernst R. Langlotz
Und ich erhielt von ihm diese Antwort:
5.2.2006
Lieber Herr Dr. Langlotz,
herzlichen Dank für Ihr Schreiben und den Vortrag, den ich ausgesprochen treffend finden, weil er direkt das Wesentliche knapp, aber sehr klar erfasst. Sie können sich vorstellen, dass ich mich sehr gefreut habe, dass mein Konzept von einer anderen Seite positiv betrachtet wird und zwar mit Formulierungen und sprachlich gekonnten Umschreibungen, Erweiterungen und origi= nellen Bemerkungen - man fühlt sich verstanden und bereichert und das tut gut!
Gut fand ich auch, dass Sie die sicher bei mir vorhandenen Bedenken (betreffend die Methode und insbesondere die rituellen therapeutischen Interventionen) vorwegnehmend berücksichtigen.
Diese Bedenken sind zwar nicht weg - was erwarten Sie auch von einem Psycho= analytiker! - die sind aber deutlich schwächer geworden, insbesondere auch durch die Unterscheidung zwischen direktiv und auoritär.
Im Idealfall durchläuft eine gesunde Beziehung Phasen der Nähe und Distanz, die sich wie Ebbe und Flut abwechseln und eine Beziehung zu einem Tanz machen. Das schafft Freiraum und Verbundenheit und gibt eine Beziehung etwas Lebendiges, Organisches und Wachstumsfähiges.
Das bedeutet aber auch, Abgrenzung ist nichts Starres, sie "unduliert" flexibel zwischen Nähe und Distanz. Analog scheint es mir jetzt sehr stimmig, auch die Selbst-Verbindung nicht als etwas Starres, Festes zu verstehen, sondern ebenfalls als undulierend. In den Anforderungen des Alltags ist es ja unmöglich, ständig mit seinem Selbst verbunden zu sein?! Mir scheint jetzt eine andere Vorstellung viel stimmiger: zu wissen, dass es dies wahre Selbst gibt, und wie ich jederzeit mit ihm Verbindung bekommen kann. Z.B. indem ich in mir einen Raum schaffe für dieses Selbst - durch Meditation, durch Yoga oder TaiChi oder durch Autogenes Training - oder indem ich z.B. in die Natur gehe, um da mein Selbst zu spüren, dass sich als "Teil eines grösseren Ganzen" weiss.
Lieber Phil, danke für den Beitrag. Besonders wichtig scheinen mir die Sätze: Im Idealfall durchläuft eine gesunde Beziehung Phasen der Nähe und Distanz, die sich wie Ebbe und Flut abwechseln und eine Beziehung zu einem Tanz machen. Das schafft Freiraum und Verbundenheit und gibt eine Beziehung etwas Lebendiges, Organisches und Wachstumsfähiges. Voraussetzung für ein Selbst-bestimmtes Leben (Autonomie) ist ja die Verbindung mit dem eigenen Selbst – mit der „Essenz“ oder mit dem "göttlichen Funken" nach Jung. Wir wissen ja dass dazu die Fähigkeit zur Abgrenzung erforderlich ist, um ein Gefühl für einen eigenen Raum zu bekommen. Die Voraussetzungen dazu werden in den ersten Beziehungserfahrungen eines Kindes gelegt. Wenn die Mutter zu Kind eine sichere Bindung hat, dann kann das Kind spielerisch ausprobieren, wie es ist, sich zu entfernen, und dann wieder zurück zur Mutter zu kommen. Dein Beitrag macht mir bewusst, dass dazu offensichtlich auch gehört, dass ein Kind selber Nähe oder Distanz zu den Bezugspersonen bestimmen kann, ohne dafür durch Ablehnung oder Schuldgefühle belastet zu werden!