Ich bin so wütend auf sie, ich könnte sie ermorden! Eine ca. 50jährige vitale Frau, Therapeutin, kommt zur Beratung, weil sie seit zwei Jahren immer wieder mörderische Wut auf eine ehemalige Freundin bekommt. Obwohl ihr diese Frau erst den Mann ausgespannt hat und dann ihren Freund geheiratet hat, hat sie noch Kontakt zu ihr. Ja sie hat sogar Therapiesitzungen mit ihr gemacht, weil sie so depressiv war. Ungewöhnlich an dieser Geschichte: warum hat sie immer noch Kontakt zu einer Frau, von der sie sich zweimal so verletzt gefühlt hat? Diese Dynamik, sich gegenüber einem geliebten Menschen, der sie schwer verletzt, nicht schützen zu können, ist erlernt. Sie erlebte vom Vater körperliche und sexuelle Gewalt. Die Hypothese: Fehlt es an einer gesunden Abgrenzung? Hat sie, im Raum der Freundin Rollen übernommen, oder der Freundin ihren eigenen Raum zu Verfügung gestellt – sodass sie nicht mit sich selbst verbunden sein konnte? Diese Hypothese soll durch eine Aufstellung geklärt werden. Die Klientin stellt eine Repräsentantin auf für diese Freundin und für ihr „Selbst“. Sie wendet der Freundin den Rücken zu, ihr „Selbst“ stellt sie an ihre Seite – aber die Repräsentantin ihres Selbst fühlt sich nicht mit ihr verbunden. Aufgefordert, sich der Freundin zuzuwenden, um die Beziehung klären zu können, meint sie: ich kann sie gar nicht ansehen, schon werde ich wieder wütend. Nachdem ein Schal als Symbol für eine Grenze zwischen die beiden gelegt wird, wird sie etwas ruhiger. Die Überprüfung ergibt: sie hat sich in Gedanken in die Freundin hinein versetzt, um ihr Verhaltens-Ratschläge geben zu können. Und sie hat sich mehr nach ihrer Freundin orientiert als nach ihrem Selbst, die Freundin stand sozusagen als Introjekt in ihrem „Raum“, sodass sie nicht mit sich selbst verbunden sein konnte. Als ihr diese Zusammenhänge durch die Aufstellung bewusst werden, entschliesst sie sich, den Raum der Freundin zu verlassen und diese aus ihrem eigenen Raum herauszuführen in deren Raum. Beim Versuch, sich mit ihrem Selbst zu verbinden, spürt sie einen inneren Widerstand. Es taucht ein "Glaubenssatz" auf: ich bin als Frau nicht attraktiv. Erst als sie diesen Glaubenssatz - repräsentiert durch einen schwarzen Hocker - aus ihrem "Identitätsraum" herausstellt, kann sie sich mit ihrem Selbstanteil verbinden. Diese Verbindung ist zunächst noch ungewohnt. Nachdem sie symbolisch in einem Rollenspiel die Repräsentantin der Freundin an der Grenze ihres Raumes stoppte – und in der „Gegenabgrenzung“ erlebte, dass diese auch das Recht hat, sie in deren Grenze zu stoppen – hatte sie ihren Raum „in Besitz genommen“ und konnte sich mit ihrem Selbst identisch fühlen. „Das ist wie ein endlich zuhause ankommen“. Als sie so mit sich verbunden, erneut zu der Freundin schaute, war die Wut, die sie noch vor einer halben Stunde gegen sie verspürte, völlig verflogen. Kommentar: Auch hier erlaubt das Konzept der „systemischen Selbstintegration“ eine rasche und nachhaltige Lösung. Die frühe Erfahrung von Trennungs- oder Gewalttrauma führt regelmässig zu Abspaltung von Selbstanteilen und einer Störung der gesunden Abgrenzung, das heisst, sich eher mit dem Anderen zu identifizieren – selbst wenn er verletzend ist – als mit dem eigenen Selbst. Die symbolische Ebene der Systemaufstellung macht dem Klienten diese Zusammenhänge bewusst und ermöglicht ihm die Erfahrung von Selbstverbindung (Kohärenz) und bessere Abgrenzung (Resilienz). Durch diese Erfahrung verliert das durch frühe Konditionierung erworbene Symbiosemuster seine Wirkung. Abgrenzung, der „gesunde Kanal“ für Aggression war durch das Symbiosemuster blockiert und suchte sich andere „Kanäle“, in diesem Fall die Wut gegen die Freundin. Sobald – durch das Abgrenzungsritual – der gesunde Kanal wieder frei – und die Resilienz wieder hergestellt war, verschwand die Wut, „wie der Schnee an der Sonne“. Eine Besonderheit diese Aufstellung war, dass ein Glaubenssatz auftauchte, "ich bin als Frau nicht attraktiv", der als Introjekt gewirkt hatte und den sie auf die gleiche Weise als entwas Fremdes abgrenzen konnte. Und die Aufstellung wirkte sich auch auf andere Problembereiche heilsam aus!
Rückmeldung nach ca. 3 Wochen Rückmeldung der Klientin nach drei Wochen: Wie Du Dich vielleicht erinnern kannst, war ich nach dieser Aufstellung so müde, so erschöpft, aber auch gleichzeitig so entspannt, dass ich während der Supervisionssitzung eingeschlafen bin. Interessant ist, dass kurz nach der Aufstellung meine Freundin versucht hat, mich zu erreichen. Wenn ich an sie denke, so ist sie weit weg und mein Gefühl ihr gegenüber ist neutral; wie bei einem Menschen, den ich überhaupt nicht kenne. Kein Helfersyndrom, keine Aggression, keine Wut, - nichts; nur neutrale Gleichgültigkeit. Das fühlt sich für mich so gut und vollkommen stimmig an. Ich bin heraus aus dieser Thematik und verspüre sehr viel Erleichterung, Leichtigkeit, Lebensfreude, - viel freien Raum. Es hat sich nicht nur die Beziehung zu meiner Freundin, sondern auch die Beziehung zu meinen Klienten verändert. Ich spüre eine deutlichere Grenze, mehr Abstand und auch hier eine neutrale Gleichgültigkeit und viel freien Raum. Mit meiner Freundin war ja auch ein Glaubenssatz verbunden, den ich mit voller Entschlossenheit aus meinem Raum in die Ecke gestellt habe. Dieser Glaubenssatz hatte mit meiner Weiblichkeit, meinem Frausein zu tun. Nach ungefähr einer Woche stieg ein neuer Glaubenssatz aus dem Unterbewusstsein in mir auf: „Ich bin eine begehrenswerte Frau!“ Jedes Mal, wenn ich an diesen neuen Glaubenssatz, der den Raum des alten einnimmt, denke, geht mein Herz auf und fängt innerlich zu strahlen an. Und siehe da, Männer sprechen mich plötzlich an, - höflich und respektvoll. Aber es gab noch eine Veränderung. Seit Jahrzehnten habe ich zu viel Alkohol konsumiert, zu viel gegessen – was immer wieder Diäten oder Kuren auf den Plan rief - und manchmal gab es auch richtige Heißhungerattacken. Mir war klar, dass der vermehrte Konsum von Speis und Trank eine autoaggressive Handlung war. In den letzten Jahren verstärkten sich diese Symptome, Speis und Trank wurden zu einer Ersatzbefriedigung und dazu kam noch eine Bewegungsunlust, gepaart mit Müdigkeit und Erschöpfung. So und jetzt kommt die Veränderung. Unmittelbar nach der Aufstellung verlor ich die Lust am Alkohol. Er ist für mich so weit weg wie meine Freundin. „Was ist Alkohol überhaupt?“ – könnte ich fragen. Ich spüre eine neutrale Gleichgültigkeit. Mein Essverhalten hat sich verändert: weniger und gesünder. Und ich spüre immer stärker die Lust und Freude an der Bewegung hochkommen, der ich auch nachgebe. Ich mache Yoga, walken und morgen kaufe ich mir einen Hometrainer.