Systemische Therapie und Selbstregulation Systemische Theapie geht davon aus, das lebende Systeme (Individuen aber auch Familien) über die Fähigkeit zur Selbstregulation verfügen. Bei meinen Experimenten mit Systemaufstellungen habe ich heraus gefunden: Diese Fähigkeit ist beeinträchtigt, wenn die Verbindung mit dem eigenen Selbst verloren geht (Abspaltung, Selbstentfremdung) und/oder wenn fremde Elemente an die Stelle des eigenen Selbst treten (Introjekt). Diese Phänomene beobachten wir einmal bei frühem Verlust eines Angehörigen (Bezugsperson oder Geschwister) oder bei früher Erfahrung von Gewalt. Abspaltung von Selbstanteilen und fremde Introjekte („Anhaftung“ an die Verstorbenen, Identifikation mit dem Trauma oder mit dem Täter) führen zu einer Inkohärenz. Dadurch geht auch die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen eigenem und Fremden verloren, und das Gefühl für eine eigene Grenze und die Fähigkeit sich zu wehren, sich zu schützen (Vulnerabiltät bzw. Verlust der Resilienz). Diese Einsichten waren die Voraussetzung für die Entwicklung der „systemischen Selbst-Integration“.
Bei meinen Experimenten beschäftigte ich mich – als Psychiater - auch mit Schamanismus. Das schamanische Verständnis von „Krankheit“ und „Gesundheit“ war von einer verblüffenden Einfachheit und Stringenz: Krankheit wird verstanden als Verlust von Eigenem und/oder Vermischung mit etwas Fremden. „Heilung“ erfordert mithin, das verlorene Eigene („verlorene Seelenanteile“) wieder zu integrieren und sich von dem übernommenen Fremden („Besetzungen“) wieder zu verabschieden. Das ist ja exakt das Prinzip der „Systemischen Selbst-Integration“! Und auch hier eine Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden, und – wenn auch nicht ausformuliert – die Vorstellung von einer Grenze. Besonders das schamanische Konzept von „Fremdbesetzung“ faszinierte mich, die Vorstellung „verlorene Seelen“ von Verstorbenen würden Lebende besetzen. War dies Konzept geeignet, bestimmte Phänomene bei Psychose zu erklären? Ich erlernte die schamanische Technik der Besetzungs-Arbeit – wie sie zum Beispiel in Brasilien praktiziert wird. Und ich wendete diese Technik bei meinen Klienten – auch solchen mit Psychose – an. Ernüchternd: Es kam in keinem Fall zu einer Besserung des Klienten. Aber ich entdeckte, dass es nicht die „Verstorbenen Seelen“ sind, die einen Lebenden „besetzen“, sondern umgekehrt: die Lebenden bleiben verhaftet (Introjekt) mit verstorbenen Angehörigen – von denen sie sich nicht verabschieden konnten – oder mit einem Trauma oder mit einem Täter. Die Klienten waren also immer selber beteiligt („Komplizen“) bei diesen verwirrenden Phänomenen – deshalb konnten auch sie – mit der Anleitung eines Kundigen - diese verwirrenden Phänomene lösen. Fallbeispiel schamanische Heilung Mein Orthopäde erzählte mir ein eindrückliches Beispiel: sein 10jähriger Sohn entdeckt am Fluss die mehrere Tage alte – schon stinkende - Leiche eines Mannes, der sich den „goldenen Schuss“ gegeben hatte. Der Sohn winkte alle Ratschläge einer psychologischen Betreuung ab. In der darauf folgenden Nacht wurden der Sohn – und der Vater! - durch Alpträume gequält, in denen der Verstorbene erschien und sie in Angst und Schrecken versetzte. Der ältere Bruder riet dem jüngeren, sich an die Mutter seines Freundes zu wenden, die schamanisch arbeitet. In einer einzigen Sitzung erklärte sie ihm („Narrativ“), dass die Seele des Verstorbenen noch nicht wusste, dass sie gestorben ist und sich an ihn geheftet habe. Diese Seele sei verwirrt. Dann hat die Schamanin – in Anwesenheit des Jungen - diese Seele über ihren Zustand „informiert“ und ihr geraten, sich dahin zu begeben, wo sie ihren Frieden findet: „ins Licht“. Nach dieser einen Sitzung waren die Alpträume verschwunden. Hier war das „Narrativ“ einer Fremdbesetzung für die Lösung hilfreich. Das ist effektive – und dabei schonende – Traumatherapie! Nach der Methode der „systemischen Selbst-Integration“ gehe ich etwas anders, aber im Prinzip ähnlich vor. Ich fordere den Klienten auf, je einen Stuhl – als Repräsentanten - für den Verstorbenen und für sein „Selbst“ - das sich gegenüber dem Verstorbenen abgrenzen kann ohne Schuldgefühle – aufzustellen. Dabei wird deutlich, ob er sich mehr mit dem Verstorbenen verbunden fühlt als mit seinem Selbstanteil ("Anhaftung"). Durch einen Schal – als Symbol für eine Grenze – könnte er seinen eigenen Raum deutlich machen, und sich entscheiden, was in seinen (Identitäts)-Raum hinein gehört. Und dann könnte er sein – durch diese traumatische Erfahrung blockiertes – Abgrenzungspotential mobilisieren und sich symbolisch gegenüber dem Verstorbenen abgrenzen, um wieder mit seinem Selbstanteil verbunden zu sein. Zum Abschluss kann er sich vor dem Verstorbenen und dessen Schicksal verneigen und ihn dahin gehen lassen, wo er „seinen Frieden findet“. Was ich zeigen möchte: dies Verständnis von systemischer Therapie (Wiederherstellung einer verlorenen Selbstregulation) ist für Klienten – und Therapeuten - sehr verständlich und sehr effektiv. Und es zeigt erstaunliche Parallelen zu „steinzeitlichen“ Heilmethoden des Schamanismus – heute „politisch korrekter“: ethnomedizinischen Heilmethoden. Diese sind für mich effektiver - und damit „moderner“ - als hochkomplexe systemtheoretische Konstrukte – die meine Klienten gar nicht verstehen können – und ich ehrlich gesagt auch nicht!