Das Konzept der „systemischen SELBST-Integration“ ermöglicht ein neues Verständnis von Trauma als Introjekt und eröffnet dadurch neue Lösungsstrategien, welche rasch und sicher wirken.
SELBST Dies Konzept der SSI geht aus von der Annahme eines SELBST, das unschuldig ist, das seinen Wert in sich hat – unabhängig davon, was man leistet oder ob man gebraucht wird - und das unverlierbar und unzerstörbar ist.
ABGRENZUNG UND RAUM Dies SELBST ist mehr eine Anlage, ein Potential. Damit es sich entwickeln und differenzieren kann, ist die Unterscheidung, die Differenzierung erforderlich zwischen „ICH“ und „Nicht-ICH“. So kann durch die Unterscheidung und durch den Vorgang der ABGRENZUNG eine GRENZE entstehen, und damit ein eigener RAUM – der Identität, der Zuständigkeit. SELBST-Bestimmung (Autonomie) ist dann möglich, wenn man selber – und nicht jemand anderer (Fremdbestimmung) - seinen Raum in Besitz hat, und wenn man Verbindung hat zu seinem SELBST: den eigenen Bedürfnissen, Gefühlen, Erinnerungen und Überzeugungen.
ZEIT Nur im Hier und Jetzt ereignet sich Leben. Nur im Hier und Jetzt können wir etwas bewirken. Das Vergangene ist vorbei, und kommt nicht wieder. Auch wenn es Spuren zurückgelassen hat, wir können es nicht mehr ändern. Dennoch halten viele Menschen – besonders die Traumatisierten - das Vergangene fest, so als könnten sie da heute noch etwas verändern oder als gehöre es heute noch zu ihrer Identität. Und durch dies FESTHALTEN geben sie der Vergangenheit die Macht, ihre Gegenwart zu bestimmen. Sie leben nicht im Hier und Heute, das Leben geht an ihnen vorbei. Daher ist auch auf der Zeitlinie eine Abgrenzung erforderlich, gegenüber der Vergangenheit – bisweilen auch gegenüber der Zukunft.
STÖRUNG DER AUTONOMIE-ENTWICKLUNG Dieser Prozess der Autonomie-Entwicklung ist sehr störanfällig. Alle Erfahrungen, die geeignet sind, die ABGRENZUNG (NEIN sagen dürfen) oder den Wert des eigenen SELBST zu beeinträchtigen, können die Autonomie-Entwicklung beeinträchtigen oder sogar blockieren. An Stelle des SELBST als „Organ der Orientierung und Selbst-Regulation“ tritt dann ein INTROJEKT, ein Ich-fremdes Element.
VERLUSTTRAUMA Bei einem frühen Verlust eines Angehörigen – Geschwister oder Bezugsperson – wird oft die verlorene Person als „geliebtes Objekt“ im eigenen Raum festgehalten – da ein Abschiednehmen noch nicht möglich ist. Dies „konstruktive Introjekt“ ist vielleicht überlebenswichtig, aber es verhindert die Unterscheidung „ICH – Nicht-ICH“, und damit die Abgrenzung, und es verhindert die Verbindung mit einem erwachsenen SELBST. Die Betroffenen empfinden sich selber als kindlich und unerwachsen, auch wenn sie schon über 30 sind.
GEWALTTRAUMA Bei einer frühen Erfahrung von seelischer, körperlicher oder sexueller Gewalt kann ein Kind sich nicht angemessen schützen und wehren, ja bereits der Versuch dazu wäre lebensgefährlich. Seine Überlebensstrategie ist daher Unterwerfung, die gesunden Impulse, nach Hilfe zu schreien, sich zu wehren, müssen unterdrückt oder sogar abgespalten werden. Auch Dissoziation, das Abspalten des Geschehens und der damit verbundenen Gefühle, kann als Überlebensstrategie verstanden werden.
KONDITIONIERUNG Diese Überlebensstrategien werden im Gehirn gespeichert, zusammen mit dem auslösenden Trauma und können durch äussere Faktoren, die an das damalige Trauma erinnern, wieder aktiviert („getriggert“) werden. Das Trauma und der Täter werden zum „destruktiven“ Introjekt. Die Wirkung: das „erwachsene“ SELBST, das angemessen mit der Herausforderung umgehen könnte, indem es ruhig bleibt und sich erfolgreich wehrt, ist blockiert oder abgespalten. So können die Gefühle des damaligen Taumas: Angst, ohnmächtiger Wut, Scham und Verzweiflung wieder ausgelöst werden, und überschwemmen die Klient*in. Sie fühlt sich – wieder – hilflos und ausgeliefert und kommt – wieder – in eine Opferrolle.
DIE SYMBOLISCHE EBENE DER AUFSTELLUNG Wenn Klient*in sich und ihre SELBST-Anteile („erwachsenes“ und „kindliches“ SELBST) durch Repräsentanten aufstellt und dazu einen Repräsentanten für das Trauma oder für den Täter, dann zeigt sich immer, dass Trauma (Täter) näher zur Klient*in stehen und die eigenen SELBST-Anteile weit entfernt. Trauma/Täter stehen im eigenen Raum („destruktives Introjekt“) und verhindern SELBST-Verbindung und Abgrenzung. Durch die Identifikation mit Trauma/Täter sind die Differenzierung, das bedeutet die Grenze, verloren gegangen und damit auch das Bewusstsein eines eigenen RAUMES. Dies AUFSTELLUNGSBILD spiegelt ein „inneres Bild“ der Klient*in wieder, das unbewusst ihre Selbstwahrnehmung und ihr Verhalten steuert. Diese Verwerfungen der inneren Struktur sind eine regelmässige Folge des Traumas. Der Aufstellungsprozess und die damit verbundenen Veränderungen wirken zurück auf das „innere Bild“ der Klient*in und ermöglichen eine Veränderung auch des Selbst-Bildes und des Verhaltens.
AUFSTELLUNGSPROZESS In einem strukturierten Prozess kann Klient*in in mehreren Schritten dies Aufstellungsbild verändern.
1. AUSRÄUMEN DES INTROJEKTES Wenn der Klient*in diese inneren durch das Trauma bedingten Verwerfungen bewusst werden, dann kann sie sich entscheiden, ob das Introjekt Trauma/Täter wirklich „hier und heute“ in ihren IDENTITÄTS-RAUM gehört, oder nicht. Es ist ja schon lange vorbei und eigentlich “mausetod“. Dann kann sie selber dies Introjekt aus ihrem Raum entfernen – ausräumen – und einen Schal als Symbol für die Grenze zwischen Trauma/Täter und sich mit ihre SELBST-Anteilen legen. Das fühlt sich manchmal „verboten“ an – Konditionierung durch das Trauma – aber gleichzeitig auch entlastend für die Klient*in. Und auch die Repräsentanten der SELBST-Anteile fühlen sich freier und kommen meist spontan auf die Klient*in zu.
2. ZURÜCKGEBEN DER FESTGEHALTENEN TRAUMA-GEFÜHLE Die Gefühle, die zu dem damaligen Trauma gehören: Todesangst, Ohnmacht, Wut, Scham, Schuldgefühle, Verzweiflung, sind der Klient*in auch heute noch vertraut, so als gehörten sie zu ihrer Identität. Wenn ihr bewusst wird, dass dieser „Gefühls-Mix“ gar nicht zu ihr hier und heute gehört, sondern zu dem Trauma von damals, dann kann sie diese Gefühle, symbolisiert durch einen schweren Kieselstein, zurück zum Trauma legen. Und wenn sie sich dann noch nicht frei von diesen Gefühlen fühlt, kann sie diese „verinnerlichten“ Gefühle symbolisch „ausatmen, aushusten – oder herauskotzen“.
3. ANNEHMEN DES TRAUMAS ALS HERAUSFORDERUNG Der Therapeut nimmt einen – leichteren – Kieselstein und bietet ihn der Klient*in an. Das Schicksal hat der Klient*in mit diesem Trauma etwas Schweres „zugemutet“. Dem muss sie sich stellen. Es gibt für sie zwei Möglichkeiten. Sie kann diese Herausforderung annehmen, dann kann sie dadurch wachsen und stark werden. Oder sie bleibt im Groll auf ihr Schicksal stecken, tut sich selber Leid, kommt dadurch in die Opferrolle und wird schwach. Meist kennt Klient*in beides, aber nun kann sie sich noch einmal bewusst entscheiden.
4. ANNÄHERUNG AN DAS ERWACHSENE SELBST Therapeut stellt der Klientin ihr erwachsenes SELBST vor, das „unschuldig ist und unverletzbar, das seine Würde hat, unabhängig davon ob sie etwas leistet oder für jemanden nützlich ist, und das sich mit Erfolg wehren darf und kann“. Es gehört „zur Grundausstattung“ der Klient*in dazu, aber da es in ihrer Familie nicht erwünscht, oder sogar gefährlich war, hat sie es unterdrückt oder abgespalten (Überlebensstategie). Um in dieser Familie zu überleben, hat sie die Sichtweise der Familie, sozusagen deren „Brille übernommen“. Wenn sie symbolisch diese „Brille“ ablegt, dann erkennt sie, das es an ihrem Selbst „nichts auszusetzen gibt“ - im Gegenteil! Und statt sich mit dem Trauma zu identifizieren kann sie nun „probeverschmelzen“ mit dem, was sie eigentlich sein könnte, mit ihrem SELBST.
5. “GEGENABGRENZUNG“ Klient*in war identifiziert mit dem Trauma der Vergangenheit, sie hat sich sozusagen noch im „Raum“ des Traumas aufgehalten, so als gehöre es hier und heute noch zu ihrer Identität. Sie geht – wie gewohnt – auf den Raum des Traumas zu, und wird nun vom Therapeuten symbolisch gestoppt mit den Worten: „Das bist du nicht, das hat hier und heute nichts mit dir zu tun.“ Klientin will das meist noch nicht „glauben“ - ihr Gefühl ist durch die Konditionierung des Traumas verwirrt – und braucht diese Erfahrung kombiniert mit dem „klärenden Satz“ mehrmals.
6. GEGENABGRENZUNG AUF DER ZEITLINIE Als nächstes stoppt der Therapeut sie mit den Worten „was vorbei ist, ist vorbei. Es gibt kein Zurück! Was mausetod ist wird auch nie wieder lebendig!“ Trauma führt immer zu einer Störung des „Zeitgitters“, das längst vergangene Trauma und die damit verbundenen Überlebensstrategien werden „festgehalten“ so als gehörten es auch heute noch zur eigenen Identität. Und erst durch dies Festhalten können sie auch heute noch wirken! Durch dies einfache Ritual kann Klient*in nicht nur mental, sondern KÖRPERLICH erfahren, dass das vergangene Trauma vorbei ist.
7. ANNÄHERUNG AN DAS KINDLICHE SELBST Nach Abgrenzung und Gegenabgrenzung ist die Verbindung zum erwachsenen, zum „nicht domestizierten“ SELBST deutlich besser. So verbunden mit ihrer erwachsenen Seite kann sich Klient*in nun dem kindlichen Selbst, ihrem “inneren Kind“ zu wenden, welches das Trauma von damals überlebt hat. An dieser Stelle gerät eine Klient*in bisweilen zurück in die Rolle des damals traumatisierten Kindes. Therapeut erinnert sie daran, dass sie hier und heute erwachsen ist, um ihr die Erfahrung zu ermöglichen, dass sie selbst das verletzte Kind von damals trösten und schützen kann. Wenn sie als Kind in ihrer Familie nicht gesehen oder gar abgewertet wurde, dann schlägt Therapeut der Klient*in vor, noch einmal die „Brille“ (Sichtweise) der Familie „abzulegen“. Um mit ihren eigenen Augen zu sehen, und dem Kind zu sagen: „du bist goldrichtig - und ganz unschuldig!“ Nun kann sie würdigen, dass ihr kindliches Selbst das alles ausgehalten hat, und ihm versichern, dass „das Schlimme“ schon lange vorbei ist und nie wieder geschehen wird! Und dass sie heute als Erwachsene verhindern kann, dass sie noch einmal verletzt wird. Durch diesen Dialog fasst das Kind – vertreten durch einen Repräsentanten – wieder Mut, fühlt sich sicher und geschützt, und möchte natürlich auch wieder Spass haben. „Bei mir darfst du auch etwas anstellen, und ich stehe persönlich für dich Schmiere!“ Danach kann Klient*in beide Selbstanteile gleichzeitig spüren. So fühlt sie sich in sich selber vollständig und wieder geerdet.
8. SCHRITTE INS HIER UND JETZT Jetzt kann Klient*in sich umdrehen, das Schwere hinter sich lassen und statt dessen sich, verbunden mit ihren SELBST-Anteilen, mit 7 Schritten durch eine Türe ins Hier und Jetzt gehen – und die Türe zur Vergangenheit hinter sich schliessen.
Dieser strukturierte Prozess verwendet die Symbolische Ebene der Aufstellung und „klärende Sätze“ und Rituale, die unmittelbar über den Körper auf das Unbewusste einwirken. So kann in einem verdichteten Prozess das „Introjekt“ Trauma bewusst gemacht und ausgeräumt werden und so die Konditionierung durch ein Trauma aufgelöst werden. Das zeigt in der Regel rasche und nachhaltige Wirkung. Häufig ist allerdings ein traumatisches Geschehen mit mehreren Trauma-Aspekten verbunden, die einzeln als Introjekt gespeichert sind und daher einzeln ausgeräumt werden müssen. Wenn das Terrain in dieser Weise „vermint“ ist, dann müssen sozusagen diese „Minen“ einzeln entfernt werden. Ero Langlotz, München 29.11.2017