Im Teufelskreis der Selbst-Abwertung und Selbst-Beschuldigung Ero Langlotz 23.5.23
Heute ist Pfingsten. Pfingsten ist ein kirchliches Fest, es erinnert an die Sendung des Geistes Gottes zu den Jüngern Jesu und seine bleibende Gegenwart in der Kirche.“ Die Amtskirche vertritt – wie auch die beiden anderen monotheistischen Religionen Judentum und Islam vertreten die Vorstellung von einem männlichem, allmächtigen Schöpfergott. Und sie verriet die Botschaft Jesu „Ihr seit Gottes Kinder“ durch die Lehre von der Erbsünde. Diese Doktrin war hervorragend geeignet, den Menschen Schuldgefühle zu vermitteln, sodass sie bereit waren, „in Freuden“ zu dienen und zu leiden. So konnte eine „unheilige Allianz“ entstehen zwischen kirchlicher und weltlicher Macht. Adel und Klerus beanspruchten für sich das alleinige Recht, Land zu besitzen. Die Leibeigenen mussten das Land bewirtschaften – aber sie hatten bis vor 300 Jahren keine eigenen Rechte. Die Mächtigen maßten sich ein Gewohnheits-Recht des Stärkeren an. Die Kirche bot ihnen die Möglichkeit, diese Macht zu legitimieren, sodass sie ihre Macht als “von Gottes Gnaden“ bezeichnen konnten. Auch mit dem Ende des Feudalismus hörte der Machtmissbrauch nicht auf. Heute wird das Recht des Stärkeren pseudo-darwinistisch gerechtfertigt mit Verweis auf die Natur: „Survival of the fittest.“ Darwin jedoch meinte mit dieser Formulierung etwas ganz anderes: Je besser eine Spezies an die jeweilige Umwelt anpasst, umso grösser sind ihre Überlebenschancen. In der Natur gibt es kein Beispiel für eine Anhäufung individueller Macht – auf Kosten des Kollektivs! Die „Macht“ eines Leittiers dient dem Überleben der Herde. Wenn Macht in dieser Weise dem Gemeinwohl dient, dann ist sie nicht schädlich, sondern nützlich! Das einzige Beispiel für ein „schmarotzerhaftes“ individuelles Wachstum auf Kosten der anderen finden wir beim Krebsgeschwulst: einzelne Zellen „entarten“: ihr Wachstum und ihre Funktion ist nicht mehr abgestimmt auf den Gesamtorganismus. Sie teilen sich ungebremst, reissen alle Ressourcen an sich, zerstören die Strukturen der Nachbarorgane und zerstören dadurch am Ende den Gesamtorganismus, und damit sich selbst!
In der Gegenwart erleben wir gerade eine krisenhafte Ausbreitung von Verwirrung und Selbst-Zerstörung. Als deren tiefere Ursache erkennen wir immer mehr den Missbrauch von Macht durch schmarotzerhafte Machtanhäufung – auf Kosten der Gemeinschaft, zu Lasten der Umwelt.
Da erscheint es mir wichtig, daran zu erinnern, dass es in allen monotheistischen Religionen – mehr geduldet als gefördert – eine spirituelle Tradition gab und gibt, derzufolge jeder Mensch einen unmittelbaren Zugang zu dem Göttlichen hat – unabhängig von der Vermittlung durch Kirche und Priestern.
Ibn-Arabi – ein Sufi-Lehrer aus dem 12. Jahrhundert lehrte, dass Gott und die Schöpfung physisch (d.h. nach ihrer Natur) eins sind. Dem entspricht die Vorstellung von Carl Gustav Jung, dass unser Wesenskern, unser Selbst der „göttliche Funke“ in uns ist. Diese Vorstellung von der zentralen Rolle des eigenen Selbst für Selbstwertgefühl und Orientierung vertritt auch die „humanistische Psychologie“ (Perls, Moreno, Satir). In dieser Tradition steht auch unser Konzept der „Selbst-integrierenden Stressor-Auflösung“. Das Bewusstsein, Teil eines grösseren schöpferischen Ganzen zu sein, gibt uns eine innere Würde, einen intrinsischen Selbstwert, unabhängig von Leistung oder Gehorsam. Dieses Selbstwertgefühl ist immer verbunden mit Respekt für die anderen, und vor allem auch, für die Erde, die uns hervorgebracht hat, die uns trägt und nährt, bedingungslos. Solange wir sie nicht selber zerstören.
DIE FRAGE STELLT SICH: WARUM IST SELBSTWERTGEFÜH, UND DER RESPEKT FÜR DIE ANDEREN UND FÜR DIE NATUR HEUTE SO SELTEN GEWORDEN?
I. Selbstverbindung und Selbstwertgefühl
In der Arbeit mit frühen Beziehungstraumen können wir sehr detailliert beobachten, wie das Selbstwertgefühl einer Klient*in durch die ersten Beziehungserfahrungen mit Eltern und Grosseltern bestimmt wird, meist für ein ganzes Leben lang. Waren bereits die erste Beziehungspersonen traumatisiert, und konnten deshalb kein eigenes Selbstwertgefühl entwickeln, dann konnten sie meist auch den eigenen Kindern kein Selbstwertgefühl vermitteln. Das war die emotionale Realität des Kindes. Um dennoch überleben zu können, passte es sich an diese Realität an. Es verinnerlichte die einzelnen Aspekte dieser Realität: das eigene Trauma, die Bezugspersonen mit deren Traumata und die eigenen Anpassungsstrategien. Es speicherte diese Elemente ab, und entwickelte daraus ein Programm, das sein Selbstbild, sein Erleben und Verhalten bestimmt, bis heute Da es unbewusst gespeichert ist, als Introjektion, halten die Betroffenen es irrtümlich für einen Teil ihrer Identität. Daher können sie selber es nicht ändern. Da es jedoch mit dem eigenen Wesen, dem eigenen „wahren Selbst“ nicht vereinbar ist, lernen sie, das eigene Selbst zu unterdrücken oder abzuspalten. So wird das Introjekt zum Stressor, der ihr ganzes Leben prägt. Nicht nur das, dies Überlebensprogramm bestimmt unbewusst auch die Wahl des Partners. Daher wiederholen sich die konflikthaften Beziehungen der Kindheit in der Gegenwart.
Die Lösungsstrategie der Selbst-integrierenden Stressor-Auflösung besteht daher aus drei Prinzipien: Die Klient*in wird sich dessen bewusst, 1) dass sie einen unverlierbaren und unzerstörbaren eigenen Wesenskern hat, und 2) dass ihre Trauma-Introjektion reversibel ist. Bisher hat das Introjekt ihre Selbst-Verbindung blockiert, sodass sie sich mehr nach dem erworbenen Stress-Programm orientiert hat,. Nun kann sie sich 3) dazu entscheiden, das Trauma-Introjekt aus ihrem Identitätsraum zu entfernen und statt dessen das eigene Selbst zu integrieren.
1. Das eigene wahre Selbst Entscheidend für die Lösung ist, dass die Therapeut*in der Klient*in überzeugend vermittelt, dass sie einen gesunden Wesenskern, ein eigenes wahres Selbst hat – selbst dann wenn das von ihrer Umgebung immer geleugnet wurde, sodass sie selber es gar nicht kennen lernen konnte. Die Annahme eines eigenen wahren Selbst ist zentraler Bestandteil der „humanistischen Psychologie“, zu der unter anderem Virginia Satir (Familienrekonstruktion), Fritz Perls (Gestalttherpie) und Jacob Levy Moreno (Psychodrama) gehören. Auch Carl Gustav Jung verwendet die Vorstellung von einem Selbst, und bezeichnete es als „den göttlichen Funken in uns“.
Bei allen Klient*innen beobachte ich eine geringe, oder völlig fehlende Selbst-Verbindung, und daher auch ein eingeschränktes Selbstwertgefühl. Dennoch spüren die meisten Klient*innen eine tiefe Sehnsucht nach dieser Selbstverbindung, oder sie erinnern sich daran, dass sie in kostbaren Augenblicken schon eine Ahnung von diesem Zustand der Selbstverbindung bekommen hatten – meist in der Natur, im fernen Ausland, mit Abstand zum toxischen Zuhause.
2. Trauma als reversible Introjektion In der „Selbst-integrierenden Stressorauflösung“ symbolisiert die Klient*in ein frühes Trauma durch unterschiedliche farbige Klötzchen: die Klient*in „von heute“ („Fokus“, rot), ihr wahres Selbst (gelb) und ihr kindlich-vitales Selbst (grün). Dazu kommen: das eigene Trauma (roter Würfel), die Bezugspersonen (blau) und deren Trauma (blauer Würfel) und die eigenen Überlebens-Strategien. So gelingt es ihr, das „Programm“ zu rekonstruieren, welches durch die frühen Beziehungs-Traumen kreiert und dann so „sicher“ abgespeichert wurde, dass es dem Bewusstsein nicht zugänglich ist. Die Einzelheiten erkläre ich hier nicht. In meinem YT-Kanal gibt es viele Aufstellungs-Videos, die das verdeutlichen, besonders eindrucksvoll : https://youtu.be/DhLaIrqmL0I Die einzelnen Elemente diese Programms gehören in die Vergangenheit und sind mit dem Wesen der Klient*in heute nicht vereinbar. So wird dieses Programm zum Stressor, der ein Leben lang ungehindert das Selbstbild, das Erleben und das Verhalten einer Klient*in bestimmt hat, ohne dass diese Zusammenhänge ihr bisher bewusst waren.
3. Entfernen der Trauma-Introjektion und Integration des Selbst In dem strukturierten Prozess der Stressor-Auflösung entfernt die Klient*in alle Trauma-Elemente die mit ihrem Selbst unvereinbar sind: das eigene Trauma, die verletzenden Elternaspekte („falsches Selbst der Eltern“) und die Traumata der Eltern. Das habe ich an anderer Stelle bereits mehrfach erläutert. Hier geht es um die eigenen Überlebensstrategien, genauer um die damit verbundenen Einstellungen und Gaubenssätze, welche das eigene Selbst abwerten oder zu Unrecht beschuldigen.
Im Lösungsprozess werden der Klient*in die verschiedenen Aspekte von Selbst-Abwertung und Selbst-Beschuldigung bewusst. Je mehr Selbst-abwertende Glaubenssätze sie entwickelt hat, umso mehr können diese sich gegenseitig verstärken und die Betroffenen in einen Teufelskreis ziehen. So wurde ihre Selbstverbindung blockiert. Jetzt versteht sie, warum sie selber keinen Ausweg finden konnte. Die Einsicht in dies verwirrende „Stress-Programm“ gibt ihr die Kraft, selber das alte Programm zu löschen, um sich stattdessen nach ihrem eigenen Potential (dem wahren Selbst) zu orientieren.
I. Formen von Selbst-Abwertung:
1. „Vorauseilende“ Selbstabwertung. Ein Kind ist schwach und bedürftig. Daher ist es angewiesen auf die Zuwendung der Eltern. Und es hat ein tiefes Bedürfnis, wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden, so wie es ist. Nur so kann es später einmal ein gesundes „intrinsisches Selbstwertgefühl“ entwickeln, das Bewusstsein, es ist wertvoll alleine durch sein DASEIN, dadurch, dass es so ist, wie es ist – unabhängig von Leistung.
Wenn Eltern traumatisiert sind, d.h. wenn sie selber Abwertung statt Wertschätzung erlebt haben, dann können sie ihrem Kind diese Wertschätzung nicht geben. Selbst überfordert, vermitteln sie ihrem Kind bisweilen, dass es unerwünscht, dass es nicht richtig bzw. dass es falsch ist. Diese Abwertungen können subtil sein – oder massiv, sie können verbal erfolgen, oder averbal. Bisweilen erfolgen diese Abwertungen auch durch emotionalen oder sexuellen Missbrauch oder durch körperliche Gewalt. In dieser Situation entwickeln Betroffene eine Strategie, die man als „vorauseilende Selbst-Abwertung“ bezeichnen könnte. Sie werten sich selber ab, sie unterdrücken und verleugnen ihre vitalen Bedürfnisse und Gefühle, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen – oder um die bereits überforderten Eltern zu schonen oder zu besänftigen.
2. „Brüchiges Selbstwertgefühl“ Bereits Winnicott beobachtete: Wenn ein Kind erlebt, dass sein wahres Selbst, das sich in „spontanen Gesten“ zeigt, nicht wahrgenommen und wertgeschätzt wird, entwickelt es ein „falsches Selbst“. Es lernt – „mit 1000 Antennen“ – die Bedürfnisse und Erwartungen der Bezugspersonen zu erspüren, und sich ausschliesslich nach ihnen zu orientieren – auch wenn es das auf Dauer überfordert und dem eigenen Wesen entfremdet. Die unbewussten Motive: Um erneute Verletzungen zu vermeiden und/oder um endlich wahrgenommen oder wertgeschätzt zu werden. Das bezeichnen wir als Magisch-grandiose Überlebensstrategien
Ein Beispiel: eine Tochter interessiert sich für Fussball, oder für Technik, weil ihr geliebter Vater sich einen Sohn gewünscht hätte. So hat sie zumindest ein „extrinsisches“ Selbstwertgefühl, abhängig von Leistung. Oft geht das einher mit einer Tendenz zu Kontrolle und Perfektionismus. Das hilft ihr zwar, zu überleben. Da es jedoch mit ihrem wahren Selbst („intrinsischem Selbstwertgefühl“) nicht kompatibel ist, spürt sie unterschwellig eine Zerrissenheit. Wenn sie dann selber erkennt, dass sie die Erwartungen und Bedürfnisse der Anderen gar nicht erfüllen kann, verstärkt das ihre Tendenz, sich selber dafür abzuwerten, so als wäre das ihre „Schuld“, so als hätte sie schon wieder versagt. So kann die „magisch grandiose Selbst-Überhöhung“ immer wieder umschlagen in massive Selbst-Abwertung. Diese Verbindung von Selbst-Überhöhung und Selbst-Erniedrigung führt zu einem brüchigen Selbstwertgefühl der Betroffenen.
3. „Selbst-Abwertung 2. Ordnung“ Die bisher genannten Überlebensstrategien stammen aus der Kindheit der Klient*in, als sie noch schwach, hilflos und abhängig war. Da diese unbewusst gespeichert sind, bestimmen sie ihr Selbstbild auch später, als Erwachsene. So bleibt sie emotional in diesem kindlichen Modus von Abhängigkeit und Hilflosigkeit stecken. Wenn sie das erkennt, dann kann es sein, dass sie sich selber dafür beschuldigt und abwertet, so als sei sie selber dafür verantwortlich. Zu Unrecht! Ihr ist nicht bewusst, dass ihr „Programm“, ihre Überlebensstrategien bedingt waren waren durch das damalige Trauma.
4. „Selbst-Abwertung 3. Ordnung“ Wenn eine Klient*in sich in eine Therapie begibt, die mehr auf der rationalen, kognitiven Ebene stattfindet, dann lernt sie zwar ihre „Muster“ kennen. Wenn es ihr aber dann – wegen ihrer emotionalen Blockaden – nicht gelingt, sich von diesen Mustern zu lösen, dann erlebt sie das oft als persönliches Versagen. Nicht wenige machen diese Erfahrung mehrmals. Kein Wunder, wenn sie dann resignieren und glauben, sie würden wieder versagen – während alle anderen es anscheinend schaffen. Auf diese Weise verbauen sie sich selber den Ausweg aus ihrem Stressorprogramm, indem sie den Zugang zur einzig möglichen Alternative – ihrem wahren Selbst – zusätzlich verschliessen.
5. Kein Existenzrecht Weitere Aspekte einer besonders massiven Selbstabwertung finden wir, bei Klient*innen, bei denen die Mutter zuvor ein Kind verloren hat. Manche Betroffene entwickeln dann die Vorstellung, „nur weil dies Geschwister gestorben ist, habe ich mein Leben bekommen.“ Diese Vorstellung kann sich drehen in eine andere, noch belastendere: dies Geschwister musste sterben, damit ich auf die Welt kommen konnte. Das kann Schuldgefühle auslösen, so als würde man auf Kosten dieses Geschwisters leben, oder noch verworrener: so als hätte man selber dies Kind umgebracht. Auch wenn die eigene Mutter im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt einen gesundheitlichen Schaden erlitten hat, fällt es einem sensiblen Kind schwer, das eigene Leben wertzuschätzen und zu entfalten – wenn die Mutter diesen „Preis“ dafür zahlen musste!
II. Der Weg aus dem Teufelskreis der Selbst-Abwertungen
II.1. Das eigene wahre Selbst Entscheidend für die Lösung ist, der Klient*in überzeugend zu vermitteln, dass sie einen gesunden Wesenskern, ein eigenes wahres Selbst hat – selbst dann wenn das von ihrer Umgebung immer geleugnet wurde, so dass sie selber es gar nicht kennen lernen konnte.
Daher knüpfen wir an die bereits erwähnten Vorstellungen an, dass da Göttliche in der Natur, in uns selber zeigt. Wir schlagen einer Klient*in vor, sich daran zu erinnern, dass die Erde uns alle hervorgebracht hat. Dass sie uns trägt und nährt, bedingungslos. Unser Leben kommt zwar durch die Eltern. Die Eltern selbst sind Geschöpfe und Instrumente der Erde. Sie selber können behaftet sein mit Leid oder Schuld. Aber das neue Leben, die Fackel, die sie weitergegeben haben, durch die Generationen hinweg, diese Fackel ist immer rein und unschuldig, da sie uns unmittelbar von der Erde geschenkt wurde. So können wir uns dessen bewusst werden, dass wir Teil sind eines grösseren, eines schöpferischen Ganzen. Das gibt uns einen Wert und eine Würde aus uns selber („intrinsisch“), unverlierbar und unzerstörbar. Je mehr wir Verbindung bekommen zu diesem unserem wahren Selbst, als unserer inneren Orientierung, unserem inneren Kompass, umso mehr werden wir selbstbestimmt, frei und handlungsfähig. Wir können erkennen, was mit unserem Wesen nicht vereinbar ist und können unsere Kraft gesund für uns einsetzen, um uns zu schützen (Abgrenzung gegenüber Fremden, gegenüber Unverträglichem oder gar Toxischem) oder um uns zu wehren (gesunde Wut). Wir sind fähig, wahre (bedingungslose) Liebe zu empfangen – und zu schenken.
II.2. Lösungsdialoge Die Klötzchen-Symbole erlauben der Klient*in, im Lösungsprozess innere Dialoge zwischen sich (dem Fokus) und dem wahren Selbst zu führen, in denen sie die oben genannten Selbst-Abwertungs-Themen formuliert: „Ich habe dich verleugnet und versteckt, um mich vor Verletzungen zu schützen, oder um für andere wertvoll zu sein!“ „Ich habe dich zu Unrecht für meine Selbst-Verleugnung verantwortlich gemacht. Das tut mir leid!“ „Ich habe dir dafür Vorwürfe gemacht, dass die bisherigen Therapien bei mir nur wenig bewirkt haben!“ Diese Sätze geben der Klient*in die Gelegenheit, diese bisher unbewussten Vorgänge zu reflektieren. Und wenn sie erkennt, dass sie stimmig sind, ist sie einerseits bestürzt, aber zugleich erleichtert. Endlich versteht sie diese innere Zerrissenheit, die sie bisher allenfalls unterschwellig gespürt hat. Dann spürt sie Erleichterung und Klarheit – statt der bisherigen Verwirrung. Und sie kann zu ihrem wahren Selbst sagen: „das hatte mit dir gar nichts zu tun! Und das hast du auch nicht verdient!“ Danach legt sie einen Finger auf ihr wahres Selbst und kann selber spüren, ob ihr Selbst ihr dafür „böse“ ist, dass sie es verleugnet, oder zu Unrecht beschuldigt hat. Überrascht kann sie feststellen, dass ihr Selbst ihr gar nicht böse ist! Im Gegenteil von ihrem Selbst – dem göttlichen Funken in ihr – kommt bedingungslose Liebe. Und bei jedem Schritt spürt sie, dass ihre anfängliche Distanz zu ihrem Selbst geringer wird. Bisweilen tut es ihr gut, symbolisch ihre Achtung gegenüber ihrem Selbst nachzuholen, indem sie (ihr Fokus) sich vor dem Selbst verneigt. Danach kann sie mit ihrem wahren Selbst „probe-verschmelzen“ – statt wie bisher mit eigenen oder fremden Traumen.
Kein Existenzrecht Auch in den obengenannten Beispielen (Verlust eines Geschwisters, Gesundheitsschäden der Mutter durch die eigene Existenz) kann die Selbst-Abwertung gelöst werden durch einen imaginierten Dialog mit der betreffenden Person (verstorbenes Geschwister, Mutter). Zum Beispiel: „ich fühle mich dafür schuldig…..dass du gestorben bist ….dass du Nachteile hattest durch meine Existenz.“ Danach legt sie ihren Finger auf das Symbol des Gegenübers, und kann selber dessen Antwort spüren: Etwa: das hat nichts mit dir zu tun! Du bist ganz unschuldig! Lebe die Leben, du bist frei!“
III. Vorteile der Selbst-Integrierenden Stressorauflösung („Klötzchen-Methode“)
Die Symbolisierung der Selbst-Anteile und der Trauma-Elemente durch unterschiedliche Symbole (farbige Holz-Klötzchen und - Würfel) bietet mehrere Vorteile für das Erkennen, Verstehen und Lösen früher Beziehungstraumen.
1. Diagnostischer Aspekt Das Aufstellungsbild bildet ab, in welcher Anordnung die Trauma Elemente damals abgespeichert wurden, sodass sie noch heute die Orientierung der Klientin bestimmen, mehr als ihr verdrängtes oder gar abgespaltenes Selbst. Das Aufstellungsbild macht das bisher unbewusstes Programm sichtbar, welches das Selbstbild, das Erleben und Verhalten einer Klient*in bestimmt, bis heute.
2. Kognitiver Aspekt Die Klient*in kann mit Hilfe der Symbole das damals entstandene Programm rekonstruieren. Sie lernt den Zusammenhang mit den damaligen Belastungen verstehen. Sie erkennt, dass dieses Programm aus der Kindheit stammt und für die Erwachsene hier und heute gar nicht passt, da es ihre Verbindung mit dem eigenen Selbst verhindert.
3. Struktur-Training Wenn die Klient*in jetzt mit dem Klötzchen, das ihren Fokus vertritt, z.B das Trauma-Introjekt von damals symbolisch stoppt, dann fühlt sich das oft verboten an. So erlebt sie noch einmal die im Stress-Programm gespeicherten „Verbote“ der Kindheit als inneren Widerstand (sich abzugrenzen, laut zu sein, ungehorsam zu sein). Sie kann sich heute, als Erwachsene, dazu entscheiden, sich über die Verbote von damals hinweg zu setzen. Als „Belohnung“ erlebt sie dann immer mehr Befreiung. Wenn manche Klient*innen auch nach dem Abgrenzen noch einen „Sog“ zu den Trauma-Elementen verspüren, dann kann das durch eine „Gegenabgrenzung“ gelöst werden. Der Fokus (rotes Klötzchen) stellt sich vor, er geht – „aus alter Gewohnheit“ – noch einmal zurück, zum Trauma...zu den Überlebensstrategien….Und da stoppt ihn sein Wahres Selbst (gelbes Klötzchen) kräftig mit Worten wie: „das geht dich nichts mehr an . . das verwirrt dich nur . . . das fixiert dich wieder an dein Stress-Programm.“ Auf diese Weise wird die Wahrnehmung der Klient*in für eigene - und für fremde Grenzen geschult. Das stärkt ihre "Struktur" und erleichtert die Verbindung mit dem eigenen Selbst. Statt der bisherigen Desorientierung erlebt sie nun Orientierung und Klarheit.
4. Probehandeln im geschützten Raum Mit jedem Manöver nimmt die Wahrnehmung für eigene – und für fremde – Grenzen zu. Die Klient*in spürt bereits beim Lösungsprozess, wie die anfängliche Zerrissenheit und Verwirrung nachlässt, wie sie sich immer klarer und kraftvoller fühlt. Die Symbolisierung durch Klötzchen ermöglicht ihr ein Probehandeln im geschützten Raum. So kann sie – oft zum ersten Mal! – die Erfahrung von Selbst-Verbindung machen. Sie kann sich innerlich aufrichten, sie spürt Ruhe, Weite, Energie. Sie spürt immer mehr ihren Wert, ihre Würde – unabhängig von Leistung, unabhängig von der Meinung anderer!
In der kirchlichen Tradition wird „Sünde“ (von absondern) verstanden als „Abfallen von Gott“, als Verlust der Verbindung mit Gott. Aus unsere Sicht könnten wir den Verlust der Selbst-Verbindung als „Sünde“ verstehen. Doch wenn wir erkennen, dass das nicht „unsere Schuld“ ist, können wir beherzt uns von allem befreien, was wir bisher gespeichert haben, obwohl es mit diesem Selbst unvereinbar ist. So wird Heilung möglich, die Wieder-Verbindung mit dem eigenen Selbst, dem „göttlichen Funken“ in uns.
Wenn dies Verständnis sich verbreitet, dann kann es eine heilende Wirkung ausüben. In diesem Sinne wünsche ich euch allen: frohe Pfingsten!