Die aktuelle Eskalation eines Teufelskreises von Hass und Gewalt veranlasst mich, mit Euch über diese Themen zu meditieren.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Mit diesem Satz beginnt unsere Verfassung.
In meiner therapeutischen Arbeit mit frühen Beziehungstraumen wird mir täglich bewusst, welche tiefe Bedeutung dieser Satz für die Qualität menschlicher Beziehungen und für die Lösung der unvermeidbaren Konflikte hat.
1. Selbstwert, Selbst-Achtung Jeder Mensch hat ein existenzielles Bedürfnis danach, sich wertvoll zu fühlen. Sich wert zu fühlen, geachtet und geliebt zu werden, bedingungslos, einfach weil er da ist, weil er so ist, wie er ist. Das nennen wir das intrinsische Selbstwertgefühl. Dieses Selbstwertgefühl ermöglicht dem Menschen eine eigene, authentische Orientierung. Er kann Liebe empfangen und selber Liebe schenken. Er kann seine gesunde Kraft für sich einsetzen, um sich zu schützen, oder um eigene Visionen zu verwirklichen. Das ist die Voraussetzung dafür, um sich glücklich zu fühlen.
2. Frühe Beziehungstraumen und der Verlust der Selbst-Achtung Häufig allerdings vermitteln die wichtigste Beziehungspersonen, die Eltern, ihrem Kind etwas ganz anderes. Aufgrund eigener Erfahrungen von Abwertung und Benutzt-werden konnten sie selber kein Selbstwert-Gefühl entwickeln. Daher konnten sie ihrem Kind diese bedingungslose Liebe nicht geben, sondern tendierten dazu, ihr eigenes Kind abzuwerten und emotional für sich zu benutzen. In dieser „Realität“ lernte das Kind, sich mehr nach den Bedürfnissen und Erwartungen dieser Eltern zu orientieren, als nach den eigenen, um die lebensnotwendige Zuwendung der Eltern nicht zu verlieren. Um wenigstens diesen „extrinsischen“ Selbstwert zu haben, lernte es, sein Eigenstes zu verstecken, oder sein wahres Selbst abzulehnen. Statt dessen identifizierte es sich nun mit einem „falschen“ Selbst und dem dazugehörigen „Programm“. Ohne intrinsischen Selbstwert aber können die Betroffenen bedingungslose Liebe nicht annehmen oder selber schenken. Sie vermuten, wieder benutzt zu werden, bzw. versuchen, andere durch „Liebe“ zu manipulieren. Wenn sie dann den Verlust ihrer Liebesfähigkeit, den Verlust ihrer Glücksfähigkeit erkennen, werden sie bitter und böse, auf sich selbst und auf die Eltern. Das belastet ihre Beziehungen zu den Eltern. Wenn das Grundbedürfnis eines Kindes nach Achtung und bedingungsloser Wertschätzung nicht erfüllt wird, kann das bei ihm massive Wut und Hass auslösen. In seiner Hilflosigkeit und Ohnmacht muss es jedoch diese gesunde Wut unterdrücken, sodass sie sich staut und zu einer „Wutbombe“ entwickelte. Diese Bombe begleitet die Betroffenen ihr ganzes Leben – ohne dass ihnen der Zusammenhang mit den früheren Verletzungen immer bewusst ist. Getriggert durch „banale“ Anlässe kann sich diese Bombe immer wieder entladen, als Hass-Attacken nach aussen – oder auch gegen das eigene Selbst als Depression, als seelische und körperliche Destruktion. Das belastet alle ihre Beziehungen, ohne dass ihnen die Zusammenhänge bewusst sind. Zumal Wut und Hass „blind“ machen und die eigene natürliche Intelligenz blockieren können. Auch das Phänomen Amok, der Mord an Lehrern und Mitschülern, der meist mit Selbstmord des Täters verbunden ist, hat hier seine tiefere Wurzel. Die Betroffenen fühlten sich von den Anderen in ihrer würde und Selbstachtung verletzt.
3. Der Hass. Die „Wutbombe“ und wie sie „entschärft“ werden kann.
Die Aufstellungsvideos auf unserem YT-Kanal zeigen, welchen Ausweg aus diesem Dilemma wir in unserer Arbeit mit frühen Beziehungstraumen gefunden haben. Folgende Schritte sind erforderlich:
Das eigene Selbst entdecken und achten Sich des eigenen intrinsischen Selbstwertes bewusst werden, der unabhängig von der Zuwendung der Eltern als Potential existiert. Selbst dann, wenn dies Potential von den eigenen belasteten Eltern nicht „geweckt“ werden konnte. Hilfreich ist dafür die Überlegung: das Leben kommt zwar durch die Eltern zu uns. Aber es ist der Kosmos, oder „Mutter Erde“, die uns (durch die Eltern) hervorbringt, trägt und nährt – bedingungslos. Das Bewusstsein, auf diese Weise Teil eines grösseren, schöpferischen Ganzen zu sein, gibt uns eine Würde, die unabhängig ist von Leistung und Gehorsam.
Das Selbst der Eltern entdecken und achten Natürlich haben auch die Eltern ihr angeborene Würde, ihr wahres Selbst – auch wenn sie mit ihm – aufgrund der eigenen Traumen – nicht verbunden sein konnten. Wenn ein Kind dies wahre Selbst der Eltern erkennen und achten kann, dann kann es davon unterscheiden das Trauma-bedingte „falsches Selbst“, von dem es so tief verletzt wurde. Erst diese Unterscheidung ermöglicht es, das eigene verwirrende Gemisch ambivalenter Gefühle zu klären. Wenn die gesunde Wut gegen das „falsche Selbst“ der Eltern gerichtet werden kann – ohne Schuldgefühle! – dann wird auch der „Kanal“ für die wahre Liebe wieder frei. Zu den Eltern und zu den heutigen Bezugspersonen.
Liebe und Achtung – statt Hass Dann kann ein Kind den Eltern für das Leben danken, dass es durch sie erhalten hat. Das Feuer des Lebens ist immer rein – daher kann es Leid und Schuld bei den Eltern lassen. Und sie dafür achten, dass sie nicht gestürzt sind, sondern diese „Fackel des Lebens“ weiter gegeben haben.
Diese Verbindung mit der eigenen unverlierbaren Würde ist erforderlich, um eigene Grenzen wahrnehmen und schützen zu können, und um fremde Grenzen wahrnehmen und respektieren zu können. Das bezeichnen wir als Struktur. Dann öffnen sich wieder die „Kanäle“ für die gesunde Kraft/Wut und für das Empfangen und Geben von wahrer Liebe.
Verletzungen der Würde und Hass bei politischen Konflikten Geschult durch diese Beobachtungen bei familiären Konflikten, richten wir jetzt unseren Blick auf den politischen Konflikt zwischen Israel und Palestina, dann erkennen wir Parallelen. Könnte dies tiefere Verständnis auch hier Lösungen ermöglichen?
Die Juden, seit Jahrtausenden verfolgt und vernichtet – zuletzt durch den von Deutschen verursachten Holocaust – hatten den verständlichen Wunsch nach einer Heimat, nach einem Land, wo sie sich zuhause und sicher fühlen können. Daher wurde ihnen 1945 das Land Palestina von den damaligen Besatzungsmächten zugewiesen. In dieser Region, die in der Antike von Juden bewohnt wurde, war der jüdische Bevölkerungsanteil 1945 nur noch eine kleine Minderheit. Die Mehrheit, ca. 90% waren arabische Palestinenser, für die Palestina ihre Heimat war. Für sie war der Verlust der Heimatrechte – erzwungen durch die Übermacht von Israel und seinen Verbündeten (unter anderen vor allem die USA) – eine tiefe Verletzung ihrer Würde. Dieser Konflikt verschärfte sich über die Jahrzehnte, • durch den Zuzug vieler Juden nach Israel, die in anderen Ländern unterdrückt wurden. • Durch die ständigen Demütigungen der (islamischen) Ölstaaten durch Wirtschaftsimperialismus der USA. So kam es zu einer Solidarisierung zwischen den islamischen Staaten einerseits gegenüber der USA und ihrem Schützling Israel andrerseits. Der über Jahrzehnte angestaute Hass fand sein Ventil in Al Qaida. So kam es zur Terroraktion gegen die Twin-Towers.
Eskalation des Hasses Offensichtlich wurde 1945 von Israel und seien Unterstützung die Brisanz dieses Konfliktes nicht oder zuwenig erkannt. Das oben zitierte Grundrecht auch der palestinensichen Bevölkerung auf Würde wurde damals nicht respektiert, sondern grob verletzt. Wenn Palestinenser sich dagegen zur Wehr setzten, wurden sie wie Verbrecher verfolgt und getötet. So eskalierte der Teufelskreis von Verletzungen und Hass immer mehr. Gestern sah ich einen Fernsehbericht: palestinensische Kinder identifizieren sie mit dem Hass gegen die jüdischen Unterdrücker, und halten das selber für Liebe gegenüber ihren ermordeten Vorfahren. Ja ihre eigenen Mütter fordern von ihnen diese Haltung als Beweis ihrer „Liebe“. Wenn die wahre Liebe verschüttet wurde durch Leid und Verletzung, dann bleibt nur noch dieser Hass – als verwirrte Liebe – übrig.
Das Ausmass an Gewalt und Menschenverachtung auf beiden Seiten schockiert. Überwältigt von Mitgefühl – für die eine oder für die andere Seite – wird der Verstand gelähmt. Der zunächst lokale Konflikt ergreift auch andere, die nicht betroffen sind und droht zum globalen Flächenbrand zu werden. Und das zu einem Zeitpunkt, da bereits andere Krisen der Kontrolle entgleiten.
Daher mein Appell: Erinnerung an die unverlierbare Würde des Menschen, auf beiden Seiten!
Nur wenn wir selber bewusst sind unserer eigenen unverlierbaren Würde, können wir auch die Würde des Anderen erkennen und achten, selbst dann, wenn er durch Schmerz und Wut verwirrt ist. Diese Unterscheidung ist auch hier erforderlich. Der Terror kann nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn gleichzeitig die Würde der Unschuldigen geachtet wird, die Würde, die früher durch Macht-Missbrauch verletzt wurde.
So sieht es auch Daniel Barenboim. Dieser israelische Musiker hat sich schon immer für Verständigung eingesetzt. So hat er ein Orchester gegründet, in dem arabische und israelische Musiker nebeneinander am gleichen Notenpult sitzen. Seine kürzlich veröffentlichte Friedensbotschaft schliesst er mit de Worten:1) „Ich bin überzeugt: Die Israelis werden erst dann Sicherheit haben, wenn die Palästinenser Hoffnung spüren können, also Gerechtigkeit. Beide Seiten müssen ihre Feinde als Menschen erkennen und versuchen, ihre Sichtweise, ihren Schmerz und ihre Not nachzuempfinden.“
Missbrauch der Macht als Urtrauma Auch hier sehen wir das Urphänomen von Trauma wirksam: der Machtmissbrauch. Das Prinzip ist einfach und daher sehr wirksam. Die Mächtigen haben früher einmal ihre Überlegenheit benutzt, um die Macht des Stärkeren - also ihre eigene Macht - für legal zu erklären.
Diese eigene „Propaganda“ wurde aufrecht erhalten, und das damalige eigene Unrecht verschleiert und vergessen. Das war verwirrend für sie selber - und für die Anderen. Wenn die anderen dann Hass und Wut entwickeln und sich dagegen wehren, dann wurde ihnen eingeredet, sie seien im Unrecht. Die Mächtigen sind in dem (Irr-)Glauben, sie hätten das Recht, diesen Widerstand als Terror zu bezeichnen und mit drastischen Strafen zu unterdrücken.
Diese Verwirrung könnte man als Urtrauma bezeichnen, das verantwortlich ist für alle Konflikte und Krisen unserer Welt.
Das bisher ungenutzte Potential unserer natürlichen Intelligenz Wie klein sind wir angesichts der überwältigenden Grösse des Universums: https://youtu.be/OQrXakW1-JI?si=md9s6LXP5XHeuE9m Aber wieviel Intelligenz haben wir, um das zu erkennen und auf diese Weise anderen nahe zu bringen! Ist es nicht erschreckend, dass wir diese Intelligenz nicht dazu benützen, um kleinere und grössere Konflikte gerecht zu lösen? Offensichtlich ist bei diesen Themen unsere natürliche Intelligenz blockiert, durch ein ein erlerntes Wahrnehmungsverbot. Die Folge ist das, was wir als „vorauseilenden Gehorsam“ bezeichnen. Milgram hat durch seine bekannten Experimente gezeigt, dass von diesem Autoritätsgehorsam 2/3 der Bevölkerung betroffen ist.
Ist das der Grund dafür, dass wir uns nicht gegen den alltäglichen Missbrauch der Macht wehren? Nur wenn wir es wagen, unsere "natürliche Intelligenz" zu benutzen, können wir diese Verwirrung durchschauen. Dann können wir erkennen, wie überall die Mächtigen die gemeinsamen Ressourcen an sich reissen, um selber zu wachsen – auch wenn dabei andere zugrunde gehen, auch wenn die Zukunft des Planeten – und damit auch ihre eigene Zukunft! - gefährdet ist. Noch im allgemeinen Untergang glauben sie, Profite machen zu können. Ist das nicht die selbstzerstörerische Dynamik einer Krebsgeschwulst? Erst wenn wir unsere natürliche Intelligenz dazu benutzen, um diese schmarotzerhafte Strategien zu erkennen – bei anderen, aber auch bei uns selber – und als Macht-Missbrauch zu benennen, erst dann können wir diese Selbst-Zerstörung beenden, und die daran Beteiligten ächten als Verbrecher. Auch wenn sie ihr Verhalten verschleiern und behaupten, es nur gut mit uns zu meinen. Oder wenn sie uns einreden wollen, wir würden ja auch davon profitieren.
Vielleicht sind die aktuellen Krisen für dieses schmerzliche Erwachen erforderlich? Es gibt jetzt schon Gruppen, die sich für eine am Gemeinwohl orientierte Wirtschaft einsetzen.