Die Schicksals-Aufstellung – Abgrenzung gegenüber dem Familienschicksal und Integration des eigenen Schicksals – ermöglicht gerade traumatisierten Klienten die wertvolle und bis dahin unbekannte Erfahrung von Gelassenheit und Urvertrauen. In einem Fall jedoch kam es zu einer starken Dissoziation.
FALLBEISPIEL Eine ca. 55-jährige Klientin ist sehr traumatisiert und extrem unabgegrenzt. Sie leidet an anfallsweisen Bewusstseinsstörungen, die medizinisch als epileptische Anfälle diagnostiziert und daher mit Antiepileptika behandelt werden. Im Autonomie-Diagramm hat sie statt eines grossen Kreises einen extrem kleinen Kreis. Auch ihre Abgrenzung ist daher extrem eingeschränkt. Ich schlage ihr eine Schicksals-Aufstellung vor, und sie stimmt zu. Schon als ich ihr einen Stuhl als Repräsentant für das Familienschicksal gegenüber stelle, reagiert sie sehr aufgewühlt. Auf dem Platz des Familienschicksals fühlt sie sich merkwürdigerweise sicherer. Doch als sie zurück auf ihren Platz geht und sich dem Familienschicksal gegenüber abzugrenzen, verzieht sie ihren Mund, sie ist wie abwesend, so als würde sie gleich einen Krampfanfall bekommen. Es gelingt mir, sie wieder aus diesem Zustand herauszuholen. Ich vermute eine heftige Dissoziation, vielleicht auch die Ursache ihrer „epileptischen“ Bewusstseinszustände? Ein derartig heftiges Abgrenzungsverbot sehe ich sehr selten!
AUFSTELLUNG MIT FIGUREN Ich schlage ihr vor, mit Figuren zu arbeiten. Figuren sind kleiner und daher weniger bedrohlich als Stühle. Eine Pappscheibe symbolisiert ihren Raum. Sie sucht Figuren heraus für ihr „Ich“ - oder Focus – und für ihr Selbst. Ihr „Ich“ stellt sie in den eigenen Raum. Ihr „Selbst“ ist anscheinend so gefährlich, dass sie es weit weg stellt! Sie spürt selber, wie sie beginnt, zu dissoziieren. Ich frage sie, was ihr in dieser so belasteten Kindheit geholfen hat, zu überleben? Sie denkt nach und dann fällt ihr ein Märchenbuch ein. Besonders „Die zertanzten Schuhe“ war ihr sehr wichtig: 12 Prinzessinnen waren – durch einen unbekannten Fluch – jede Nacht unterwegs und kamen mit zertanzten Schuhen zurück. Der besorgte König bot dem, der den Fluch löste, eine Tochter als Frau an. Als 11 Prinzen dabei keinen Erfolg hatten, meldete sich ein Bauernjunge. Unterstützt durch den Zaubermantel einer Fee – der ihn unsichtbar machte – konnte er den Fluch lösen und bekam die Prinzessin zur Frau. Sie stellte die Fee, den Bauernjungen und den Zaubermantel (ein Tempotaschentuch) in ihren Raum – sofort ging es ihr besser. Indem sie einen Finger auf die jeweilige Figur legte, konnte sie spüren, „wie es ihr geht“. Hatte sie noch die verletzenden Eltern als „Introjekt“ in ihrem Raum? Sie suchte zwei Figuren für die beiden aus, stellte sie in ihren Raum – und das fühlte sich zwar gewohnt und nicht bedrohlich – aber doch sehr belastend an. Sie konnte sich – nach anfänglichem Zögern – entschliessen, die beiden Eltern aus ihrem Raum heraus und in deren Raum zu stellen. Ihrem „Ich“ ging es danach besser! Danach konnte sie erneut einen Blick auf ihr Selbst werfen und blieb entspannt. Nachdem sie auch noch die (abwertende) Sichtweise der Eltern – die „Brille“ abgelegt hatte, konnte sie wahrnehmen, dass ihr Selbst gar nicht gefährlich ist. Sie konnte es näher zu ihrem Raum kommen lassen, aber noch nicht in diesen Raum. Eine ihrer Ressourcen, der Bauernjunge – eine grosse grüne Figur – erschien ihr jetzt zu gross. Sie hatte die Assoziation, dass er ein Aspekt ihres Selbst war, das überforderte kindliche Selbst. Als sie sagte: „bei mir darfst du auch klein sein“, ging es ihrem „Ich“ besser. Sie tauschte die grosse grüne Figur gegen eine kleine aus. Am Schluss stand auch ihr Selbst in ihrem eigenen Raum – allerdings noch am Rand, dem Ich noch nicht zu nahe. Sie machte ein Foto mit ihrem Handy, um diese Situation festzuhalten.
KOMMENTAR Bei extrem traumatisierten Klienten scheint das Aufstellen von Figuren als Stellvertreter für Personen eine wertvolle Alternative zur aufstellung mit Stühlen zu sein. Wenn ihr Autonomie-Diagramm ein sehr eingeschränktes Autonomie-“Feld“ zeigt, dann haben sie bisweilen auch die Tendenz, in der Aufstellung zu dissoziieren. Dissoziation – das Abspalten vom Körper und von den Gefühlen – erscheint in dieser Situation wie eine Überlebensstrategie – solange eine gesunde Abgrenzung gegenüber dem traumatisierenden Fremden noch nicht gelingt. Da ist die Verwendung von Figuren für die „Ressourcen“, die in der belasteten Kindheit das Überleben ermöglichten, eine grosse Hilfe. Gestärkt durch diese Ressourcen kann der Klient besser erkennen, welche traumatisierenden „Introjekte“ er im eigenen Raum hat. Er kann sich entscheiden, diese Introjekte herauszustellen und sich an sein Selbst annähern. Trauma erscheint als Falle: das traumatisierende Introjekt verstärkt die Selbst-Abspaltung – und umgekehrt. Durch die Einbeziehung der „Resssourcen“ kann es dem Klienten gelingen, aus dieser Falle herauszukommen. Die Ressourcen müssen gezielt erfragt werden. Mal ist es - wie hier – eine Märchenfigur, oder Pipi Langstrumpf, Johanna von Orleans, oder auch Pumuckl. Bisweilen ist es eine Heilige, ein Baum oder ein Tier, oder „Mutter Erde“.