KIRCHE UND AUTONOMIE DIE WIDERSPRÜCHLICHE BOTSCHAFT DER KIRCHE
Thesen aktualisiert 18.5. 2016 von Ero Langlotz
Gerade komme ich vom morgendlichen Joggen im englischen Garten zurück. Morgensonne, der Gesang der Vögel..Der Bärlauch blüht, die weissen Blüten schauen aus wie sich entfaltende Silvesterraketen. Der Duft nach Knoblauch... Über der Wiese noch Nebelschwaden und beim Laufen werden im Morgennebel immer deutlicher : eine Schafherde. Das Blöken der jungen Lämmer. Der strenge Geruch des Schafkots...
Der Kontrast zwischen dieser morgendlichen Idylle und den täglich eskalierenden globalen Katastrophen könnte nicht grösser sein. Warum kann der Mensch diesen Frieden und dies Glück nicht teilen? Warum lassen wir zu, dass verwirrte Macht-Kartelle diese Natur und damit die Ressource unserer Kinder zerstören?
Als systemischer Psychiater studiere ich seit 40 Jahren die Entstehungsbedingungen menschlichen Leids - und menschlichen Glücks. Dabei wurde mir deutlich: Autonomie, das heisst selbstbestimmtes Leben erfordert Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden, und Abgrenzung gegenüber dem, was nicht das Eigene ist, und Wertschätzung für das Eigene, das Selbst. Dann erst entsteht ein innerer Raum, in dem sich das „Selbst“, das uns die Natur als etwas Einmaliges geschenkt hat, entfalten kann. Mit diesem Selbst verbunden, bin ich orientiert und handlungsfähig. Trotz Aufklärung und allen Befreiungsbewegungen ist die Tendenz zur Selbst-Entfremdung, zu einer „Selbst“-losen Unterwerfung unter eine Obrigkeit noch sehr verbreitet, ja sie nimmt wieder zu. Das scheint mir die tiefere Ursache für die zunehmende globale Selbstzerstörung zu sein.
Konditionierung zum Autoritäts-Gehorsam Als systemisch orientierter Therapeut entwickelte ich eine immer feinere Wahrnehmung für subtile – und weniger subtile – Manipulationen, mit denen Eltern, aber auch Institutionen ihre Macht über andere aufrecht erhalten, indem sie deren Autonomie blockieren. Wenn einem Kind vermittelt wird, es sei selber nicht liebenswert, oder es dürfe sich nicht abgrenzen („Nein“-sagen), dann lernt es, sich in anderen Räumen zuständig zu fühlen, sich für fremde – statt für eigene – Interessen einzusetzen, oder dem anderen seinen eigenen Raum zu Verfügung zu stellen, als habe er ein Recht dazu. Diese frühen Konditionierungen bewirken eine Selbst-Entfremdung und eine Tendenz, sich fremden Autoritäten zu unterwerfen. Durch Die Methode der Systemaufstellungen ist es möglich, seinen Platz im Familiensystem zu finden: nicht selten steht man am fremden Platz z.B. eines früh verstorbenen Angehörigen der Eltern – und kann deshalb nicht bei sich sein. Wenn ich den Klienten zusätzlich einen Repräsentanten für sein Selbst aufstellen lasse, dann wird das Ausmass und die Ursache der Selbst-Entfremdung sichtbar. Das macht es möglich, diese Zusammenhänge zu studieren und durch gezielte Interventionen die Konditionierung zu lösen. Diese Lösung wird erschwert durch mehr oder minder ausgeprägte innere Widerstände, durch Gefühle, es sei verboten, lieblos oder schuldhaft, sich von diesen Konditionierungen zu lösen. Es sind eben diese verwirrten Gefühle, welche die Konditionierung aufrecht erhalten. Symbolische Bilder und Rituale erweisen sich als erstaunlich wirksam, sowohl um solche Konditionierungen zu verursachen, aber auch um sie bewusst zu machen und zu lösen, da sie unmittelbar – sozusagen unter Umgehung einer kritischen bewussten Instanz - auf unbewusste Schichten der Seele wirken. (Langlotz Symbiose in Systemaufstellungen, mehr Autonomie durch Selbstintegration, Springerverlag, August 2015) In den letzten Jahren wurde mir immer deutlicher, wie ausser den autoritären Strukturen der Familie auch andere Machtstrukturen die Autonomie-Entwicklung des Menschen beeinträchtigen können: früher der autoritäre Staat (Kaiserreich, Naziregime, DDR), heute die Schule, das Militär, der Arbeitsplatz. Und hinter diesen Strukturen gibt es eine „altehrwürdige“ Institution: Die Kirche. Sie hat Autonomie nicht nur diffamiert, sondern im Keime erstickt. Die Vorstellung einer Erbsünde hat den Menschen ihre angeborene „Erb-Würde“ genommen. Die Forderung nach Gehorsam als Tugend hat Menschen zu willenlosen Werkzeugen für die jeweiligen Machthaber gemacht. Diese Konditionierung über 2000 Jahre hat – ohne dass uns das bewusst ist - unsere Identität und unsere Wahrnehmung geprägt. Auch wenn wir uns schon lange von der Kirche entfernt haben! Konditionierung wirkt über Generationen hinweg! Da ich mich früher der Kirche sehr verbunden gefühlt hatte, war das doppelt erschreckend für mich. Einmal als ich das Ausmass und die Wirksamkeit dieser verwirrenden Botschaft erkannte, zum anderen, als mir bewusst wurde, dass ich selber – und wohl die meisten anderen – das bisher nicht in dieser Deutlichkeit erkannt hatte. So als gäbe es da ein Wahrnehmungsverbot, das über Jahrtausende unsere Wahrnehmung verfälscht. Natürlich bewirken auch andere Religionen, besonders die so genannten „Offenbarungs-Religionen“ eine ähnliche Selbst-Entfremdung. Die Berufung auf eine Offenbarung, auf heilige Schriften, deren Bedeutung nur durch Priester vermittelt werden kann, schafft ein Machtgefälle zwischen Autorität und den Gläubigen und führt meist zu Abhängigkeit und Unterordnung. Eine Ausnahme macht da der Buddhismus, der ja eigentlich keine Religion sondern eine Weisheitslehre ist. Ich konzentriere mich hier auf die Kirche, vor allem in ihrer römischen Form. Wir erleben und kritisieren mit Recht die zerstörerischen Exzesse eines fundamentalistischen islamischen Terrors. Aber sind wir nicht blind für die subtilere, aber daher viel wirkungsvollere Konditionierung durch autoritäre Selbst-Entfremdung nach dem Modell der Kreuzestheologie?
Schauen wir uns die Zusammenhänge in Ruhe an, Schritt für Schritt. Eine Warnung an den Leser: Ich werde die Zusammenhänge sehr drastisch schildern. Das wird für manche Leser schockierend sein, wird sich anfühlen wie Verrat oder Schuld, selbst dann, wenn sie sich von der Kirche distanziert haben! Daran erkennen sie die Auswirkung ihrer Konditionierung. Wenn sie jetzt „die Brille“ der Familie und der Kirche ablegen, und durch die „Brille des gesunden Menschenverstandes“ die Zusammenhänge betrachten, könnte der Schock nachlassen. Das ist ihre Chance für Dekonditionierung!
THESE 1 Die Botschaft des lebendigen Jesus Jesus ging zu den Armen, Unterdrückten und den für sündig erklärten, wie der Ehebrecherin und brachte ihnen seine Botschaft: Ihr seid – wie ich - Gottes Kinder! Kann die Würde des Menschen überzeugender ausgedrückt werden? Diese „Erbwürde!“ beinhaltet: wir sind von Geburt an unschuldig und rein. Jesus lässt uns sozusagen unsere „Christus-Natur“ entdecken – und die der anderen! Jesus stellte die Gesetze der Religion in Frage, vertrieb die Händler aus dem Tempel. Jesus war auf überraschende Weise autonom – deshalb wurde er von den römischen Machthabern verfolgt und wie ein Verbrecher lebend ans Kreuz genagelt. Wie konnte seine Botschaft durch die Kirche ins Gegenteil gekehrt werden?
THESE 2 Das Dilemma der Jünger Jesu Sie hatten Jesu Botschaft so verstanden, dass er „Gottes Reich“ auf Erden herstellen wollte. Statt dessen war er nun von der römischen Macht wie ein Verbrecher verurteilt worden. Sie gerieten in ein schreckliches Dilemma: Wie konnte er dann Gottes Sohn sein? Wie konnte Gott diesen schändlichen Tod seines Sohnes zulassen? Und auch sie selber als seine Anhänger gerieten in Verdacht, die römische Obrigkeit in Frage zu stellen und wurden verfolgt. Wie konnte dies doppelte Dilemma gelöst werden?
THESE 3 Die Kreuzestheologie – eine Überlebensstrategie? Es war Paulus, der durch die jüdische Theologie geschult, eine – geradezu geniale - Lösung fand. Er deutete den Verbrechertod Jesu um in ein Opfer: Gott habe seinen einzigen Sohn geopfert, um die Sünden der Menschen zu tilgen. Jesu Botschaft mit seiner Kritik an den Mächtigen und die dadurch ausgelöste Bestrafung durch die Staatsgewalt mit dem Foltertod am Kreuz – die typisch römische Todesstrafe – wurde ausgeblendet. Der Foltertod wurde umgedeutet zu einer Heilstat Gottes. Jesu Leiden und Tod nicht mehr Folge staatlicher Gewalt an einem Unschuldigen, sondern Quelle von Erlösung und Heil. Das beinhaltete notwendigerweise das Konstrukt einer angeborenen Sünde: Jeder Mensch sei, durch Adams Sündenfall verursacht, im Zustand der „Erbsünde“. Er sei von Grund auf verderbt und bedürfe der Erlösung. Dies könne nur durch den Opfertod des Gottessohnes geschehen. Nicht die staatliche römische Macht war für die Marter des Gottessohnes verantwortlich – sondern Gott selber! Und er tat das nur, um die Sünden der Menschen zu sühnen – als ob alle Menschen - seine Geschöpfe! - sündig wären und als ob er keine andere Möglichkeit zur Lösung hätte. Hier wird die alttestamentliche Aufforderung Gottes an Abraham, seinen Sohn Isaak für Gott zu opfern, noch übertroffen durch die Variante, dass Gott seinen eigenen Sohn opfert, für die Menschen. Was für ein makabres Bild Gottes – aber auch des Menschen! Ist das nicht Gotteslästerung? Und „Menschenlästerung“? Jahrhunderte blutiger Christenverfolgungen trugen dazu bei, dass die Kreuzestheologie des Paulus immer mehr Gewicht erhielt. Gleichzeitig wurde in den Evangelien - wahrscheinlich das Ergebnis späterer „Korrekturen“- die Verantwortung für den Tod Jesu den Römern abgenommen – Pilatus: „Ich wasche meine Hände in Unschuld!“ - und den jüdischen Priestern zugeschoben: „Sein Blut komme über uns und unsere Nachkommen!“ (Kreuzigung war die römische Form der Todesstrafe, die jüdische Form der Todesstrafe war die Steinigung)
Durch diese kühne Umdeutung und die Entlastung des Pontius Pilatus wurden beide Aspekte des Dilemmas beseitigt. Der revolutionäre Aspekt von Jesu Lehre, die dem Einzelnen einen eigenen Wert zuspricht gegenüber der Macht (Autonomie!), wurde ausgeklammert, die Verantwortung für seinen Tod den jüdischen Priestern zugeschoben. Dadurch wurde die Christengemeinde „kompatibel“ mit der römischen Staatsmacht, die Verfolgungen liessen nach. Die „Überlebensstrategie“ des Paulus zeigte Wirkung! Die – inzwischen römische – Kirche wurde zur Staatskirche des römischen Reichs.
THESE 4 Die Umwertung, ja Vergötzung des Leidens – und DIE MACHT Aus systemischer Sichtweise bedingen und verstärken sich diese beiden Aspekte. Die - angeblich - „Frohe Botschaft“ lautet nun: Gott hat seinen einzigen Sohn geopfert, um die Sünden der Menschen zu sühnen. Jesu Leid am Kreuz wird nun eine heilende, eine befreiende Wirkung zu gesprochen. Besonders spanische Maler haben die Kreuzesqualen mit einem erschreckenden Realismus dargestellt. Die geradezu inbrünstige meditative Versenkung über dieses heilbringende „süsse“ Leiden bewirkt eine tiefe Verwirrung von Gefühl und Verstand. Die klare Wahrnehmung für Recht und Unrecht wird getrübt. Die gesunde Kraft, sich gegen - eigene und fremde! - Unterdrückung, Unrecht und Leid erfolgreich zu wehren wird dadurch geschwächt, ja für Sünde erklärt.
Durch die Annahme einer „Erbsünde“ wird das „Selbst“, werden die menschlichen Bedürfnisse nach Selbstbestimmung, wird der Körper mit seinen Bedürfnissen (Sexualität) als „verderbt“ diffamiert, Abgrenzung wird als Ungehorsam, als Sünde bezeichnet. Höchste Tugend ist nun: Gehorsam wie ein „corpo muerto“ (Ignatius von Loyola, Gründer des Jesuitenordens), um Instrument sein zu können für den göttlichen Willen. Das nimmt dem Menschen seine eigene Würde, macht es möglich, ihn zu „verzwecken“, für fremde Interessen zu instrumentalisieren. Eine Konsequenz dieser Verwirrung ist die Maxime: der Zweck heiligt die Mittel. Das „Selbst“, die Quelle der eigenen Würde und Kraft wird vergiftet. So wird die Voraussetzung für Autonomie: „Selbst“-Wert und Fähigkeit zur Abgrenzung, im Keime erstickt. Menschen werden zu willenlosen Werkzeugen für etwas „Höheres“, angeblich für Christus, für die Kirche, aber dadurch auch für eine andere Macht. Das ist Konditionierung zur Selbst-Entfremdung.
Diese Dynamik war erschreckend erfolgreich: Die Instrumentalisierung des Menschen - und der Natur - hat zu einer bisher ungeahnten Konzentration von Macht geführt, hat eine bis dahin unbekannte Entwicklung von Kunst, Wissenschaft und Technik ermöglicht. Aber Kunst, Architektur, Musik wurden zur Verherrlichung, zur Selbstdarstellung kirchlicher und weltlicher Macht missbraucht. Zwei Beispiele: Der Petersdom in Rom wurde durch den Ablasspfennig finanziert („sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt“). Tausende von Jungen wurden im 16. und 17. Jahrhundert kastriert, damit einige wenige als Kastraten in der Kirche die hohen Stimmen singen konnten. Denn den Frauen war durch den Satz des Paulus – „die Frau soll in der Kirche schweigen“ – verboten, in der Kirche ihre Stimme zu erheben. Durch diese Machtkonzentration wurde die christliche Kultur und Wissenschaft und die daraus entstandene Technik den anderen Kulturen überlegen. So hat sie anderen Kulturen, die im Einklang mit sich und ihrer Umgebung lebten, ihrer Würde und Unschuld abgesprochen, sie unterdrückt, ausgenutzt. Unter dem Vorwand, sie aus ihrer Rückständigkeit zu befreien und ihnen die wahre Religion zu bringen, wurden ganze Kontinente missioniert und kolonialisiert. Dadurch wurden diese Kulturen geschwächt, den eigenen Traditionen entfremdet, ausgeplündert und versklavt – und dem abendländischen Machtbereich einverleibt.
THESE 5 Kreuzestheologie und Selbst-Entfremdung Die Umdeutung der Kreuzesfolter Jesu durch die Römer, zu einer Erlösungstat Gottes, und die Aufforderung an die Gläubigen, diesem gekreuzigten, gefolterten Jesus gleich zu werden, war ein genialer theologischer Schachzug, der das Überleben der christlichen Gemeinschaften ermöglichte. Aber diese Umdeutung beinhaltete ein Programm der Selbst-Entfremdung. Diese Botschaft führte dazu, dass die „Christus-Natur“ in uns – die Jesus befreien wollte – erneut gekreuzigt wird, und diesmal durch die (römische) Kirche. So kreuzigt die Kirche jeden einzelnen ihrer Gläubigen erneut, damit er dem von der Macht gefolterten Jesus gleich wird. Und um diese Identifizierung mit dem geopferten Jesus auf die Spitze zu treiben, wird der Christ zu einem makabren Ritual verpflichtet, er muss jeden Sonntag symbolisch das Fleisch und das Blut des von den Römern gefolterten Jesus essen. Er verleibt sich den Gefolterten in einem kannibalischen Ritual ein - um ihm ähnlich zu werden. Die Stilisierung diese Rituals zu einem „heiligen Sakrament“ bewirkt, das jeder kritische Gedanke bereits im Keim erstickt wird. Systemischen Therapeuten, die die Hypnotherapie mit einbeziehen, ist die starke Wirkung derartiger „hypno-systemischer“ Interventionen auf das Unbewusste gut bekannt. Allerdings verwenden Therapeuten diese Interventionen dazu, um hemmende Konditionierungen des Klienten zu lösen – nicht um sie zu installieren. Durch diese Selbst-Entfremdung werden freie Menschen zu "schweigenden Lämmern" gemacht, die sich willenlos und widerstandslos unterdrücken, ausnützen und ausbeuten lassen. So wird Selbst-Folter und Selbst-Unterwerfung verklärt zu einem „Gottesdienst“. Diese Verklärung von Unterwerfung und Folter hat - hypnosystemisch gesehen – 2000 Jahre lang eine Konditionierung zur Selbst-Entfremdung bewirkt. Das Gefühl und die Wahrnehmung für das Unrecht staatlicher Gewalt wurde verwirrt. Das Bedürfnis nach Autonomie und die Kraft, sich erfolgreich gegen Unterdrückung und Folter zu wehren, wurde als Ungehorsam und Sünde diffamiert. Und wenn die gesunde Autonomie erst einmal gebrochen ist, dann werden die Betroffenen auch zum gefügigen Werkzeug für andere Mächte.
KRITIK INNERHALB DER KIRCHE Diese Vermischung der „jesuanischen“ Lehre mit der paulinischen Verfälschung, diese offensichtliche Diskrepanz innerhalb der kirchlichen Lehre führte immer wieder zu Konflikten, zur Entstehung von neuen Gruppen, die sich an der ursprünglichen Lehre Jesu orientierten. Diese Gruppen wurden z.T. als „Häretiker“ von der Kirche brutal unterdrückt und ausgemerzt, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Manche Gruppierungen konnten überleben, z.T sogar innerhalb der Kirche – Franziskus und sein Orden, die Mystiker, die Befreiungstheologie – oder sie spalteten sich ab: die reformierten Kirchen von Luther, Zwingli und Calvin. Aber auch diese Reformierten haben die selbst-entfremdende Wirkung der Kreuzestheologie nicht erkannt und daher nicht in Frage gestellt. Veröffentlichte Kritik an der Kreuzestheologie innerhalb der Kirche ist sehr selten. Zu diesem Thema findet man nur wenig: einen deutschen Theologen Klaus-Peter Jörns: „Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum“ (Gütersloh, 5. Aufl. 2010). Den schweizer Theologen Ulrich Hedinger („Kritik an der Kreuzestheologie“, Tübingen) eine schweizer Theologin – Vertreterin einer „feministischen Theologie“: Doris Strahm. Die beiden letzteren stellen auch einen Zusammenhang her zwischen einer „Vergötzung des Leidens“ und dem heute verbreiteten Machtmissbrauch kirchlicher, aber auch weltlicher Machtstrukturen wie Wirtschaftskonzernen und Finanzwirtschaft. Doris Strahm wurde – als sie sich weigerte, ihre Kritik zurück zu nehmen – nicht mehr zu kirchlichen Ämtern zugelassen.
KRITIK VON AUSSEN Kant und Dostojewski Es gab bekannte Kritiker der kirchlichen Unterdrückung: zum Beispiel Emmanuael Kant und die von Ihm angestossene Aufklärung. Aber das von ihm beschriebene Phänomen der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ konnte durch eine nur verbale Aufklärung nicht gelöst werden. Wie wir heute sehen, ist dieser Autoritätsgehorsam durch Konditionierung entstanden. Um ihn zu lösen, bedarf es anderer Methoden. Auch Dostojewski hat in seiner bekannten Parabel vom Großinquisitor das Dilemma der doppelten Botschaft eindrücklich geschildert: Jesus ist wieder auf die Welt gekommen, ins Sevilla der Ketzerverbrennungen. Die Menschen erkennen ihn und er heilt Kranke. Der Grossinquisitor sieht das und lässt ihn gefangen nehmen und ins Gefängnis bringen, um zusammen mit anderen Ketzern verbrannt zu werden. Der greise Inquisitor besucht ihn im Gefängnis: warum bist du wieder gekommen? Wir haben dich und deine Lehre geliebt – aber wir mussten sehen, dass die Menschen sie nicht verstehen. Sie wollen gehorchen. Der Grossinquisitor öffnet Jesus die Gefängnistüre:“aber komme nie mehr wieder!“ Jesus küsst den greisen Großinqusitor zum Abschied. Die Ostkirche so scheint mir hat diese Kreuzestheologie nicht in dieser Ausprägung übernommen. Für sie stand nicht der gekreuzigte, sondern der auferstandene Christus im Zentrum der Verkündigung. KRITIK DURCH PSYCHOTHERAPIE Deutliche Kritik gab es von Seiten der Psychotherapie, die ja in der Regel den Klienten dabei unterstützt, zu mehr Autonomie und Selbstverantwortung zu finden. Bereits Freud hat sich kritisch zur Rolle der Religion geäussert. In der Gegenwart ist unter anderen Tilmann Moser mit seinen Büchern „Gottesvergiftung“ (1976) und „Von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott“ (2003) zu nennen.
THESE 6 Kollektive Selbst-Entfremdung - Das globale Zerstörungsprogramm Die Kirche hat – nicht als einzige und nicht zum ersten Mal in der Geschichte – ein Prinzip der Macht-Akkumulation verwendet, das wir heute als Monopol-Kapitalistisches Prinzip bezeichnen würden: sie schaffte zunächst die Bedürfnisse (Bewusstsein der eigenen Sündigkeit), für deren Befriedigung (Erlösung) sie selber ein Monopol beansprucht. Gleichzeitig werden die eigenen Macht-Interessen verschleiert durch die Ankündigung: „Ich will ja nur dein Bestes“. Dies Prinzip überlebte die Säkularisierung! Es wurde zum Modell für die heutigen Formen des Kapitalismus. Ein Beispiel: Der Nahrungsmittelkonzern Monsanto verspricht, den Hunger der Welt zu mindern und macht in Wirklichkeit durch seine Produkte Millionen abhängig, treiben sie in Verarmung, Hunger, Verelendung und Tod. Der auf diese Weise erzeugte Hass der Unterdrückten und Missbrauchten schlägt jetzt zurück: Terror, Flüchtlingsströme der verarmten und verelendeten Völker. Das Ausmass der globalen Zerstörung wird immer bedrückender. Die Macht-Kartelle aus Finanzen, Wirtschaft und Militär haben es verstanden, jede demokratische Kontrolle auszuhebeln. Die Finanzkonzerne machen Riesengewinne mit virtuellen Geschäften (Investment mit toxischen Papieren). Den Gewinn legen sie in der „realen“ Wirtschaft an. Als Kapitalgeber trimmen sie diese auf Gewinnmaximierung (Stellenabbau, Minimierung der Steuerabgaben und der Gehälter mit Ausnahme der „Boni“). So kommt es zu einem Vermögenstransfer von unten nach oben, die Schere zwischen arm und reich wird immer grösser. Das unregulierte Wachstum hat die Dynamik eines Krebsgeschwulstes und droht die ganze Menschheit zu zerstören. Die Politiker scheinen ratlos. Sie vertreten immer seltener die Interessen ihrer Wähler, sondern lassen sich von Lobbyisten beraten. Die Menschen – durch 2000 Jahre sich selbst entfremdet und in der Tiefe verwirrt – fühlen sich ratlos, hilflos. Sie sehen, wie die demokratisch gewählten Vertreter nicht ihre Interessen vertreten – sondern die der Machtkartelle. Sie spüren am eigenen Leib die zunehmende Verarmung und Verelendung. Die eigentliche Ursache: die verbrecherische Selbstbereicherung der Macht-Kartelle wird verschleiert. Beispiele: Der Mann, der als Finanzminister in Luxemburg legale Steuerschlupflöcher für die Konzerne schuf – und so dazu beitrug, dass den öffentlichen Haushalten zig-Milliarden an Steuergeldern gestohlen wurden – er wurde zum Präsidenten der europäischen Kommision gewählt. Umgekehrt werden die „whistleblower“, die diese und andere Verbrechen bekannt machen, selber wie Verbrecher verfolgt und drakonisch bestraft – wenn sie nicht in Russland Asyl finden.
Und wir Betroffenen sind verwirrt. Alles scheint so kompliziert. Wir können uns gegen Gewalt und Indoktrinierung von heute nicht wehren. Die Lämmer schweigen.
THESE 7 Lösung durch Dekonditionierung Hypno-Systemisch orientierte Therapeuten wissen, dass sie die Befreiung eines Klienten aus eingefahrenen Verhaltensmustern dadurch unterstützen können, dass sie ihm seine frühe unbewusste Konditionierung bewusst machen. Solange sein Gefühl durch diese Konditionierung verwirrt ist, und solange er sich nach seinem Gefühl orientiert, kommt er aus dieser Verwirrung nicht heraus. Die einzige Chance: er orientiert sich nach seinem „gesunden Menschenverstand“. Wenn er erkennt, dass seine verwirrten Gefühle – Schuld, Verrat, Todesangst – Folge einer Konditionierung in der Kindheit sind, fällt es ihm leichter, sie hier und heute als Erwachsener auszuhalten – und sich an seinem Verstand zu orientieren. Das gilt auch für eine kollektive Konditionierung zur Selbst-Entfremdung! Allerdings sitzt eine über Generationen „eingebrannte“ Konditionierung sehr viel fester. Und wenn ein einzelner aus diesem verwirrten Kollektiv „aussteigen“ möchte, muss er damit rechnen, dass er das ganze Kollektiv gegen sich hat. Ohne Unterstützung von Gleichgesinnten scheint das fast unmöglich. Also gilt es, die frühe kollektive Konditionierung zu erkennen und sich von ihr zu befreien. Aber wer hätte die Ursache für diese Konditionierung zur Selbstzerstörung im Allerheiligsten der abendländischen Tradition, in der „frohen Botschaft“ des Evangeliums vermutet!? Und wer rechnet damit, dass diese Konditionierung über Generationen weitergegeben wird, auch wenn die Betroffenen gar nicht mehr zur Kirche gehören? Meine These: Solange wir diese Ursache – neben anderen - der globalen Zerstörung nicht erkennen, können wir auch das immer noch in uns wirksame zerstörerische Programm der Selbst-Entfremdung nicht stoppen.
Gezielte Desinformation Die Machtkartelle verstehen es über „Think-Tanks“, über Lobbyisten, über die Medien die Öffentlichkeit zu desinformieren. Wir sind bereits verwirrt, und die Indoktrination der Machtkartelle verstärkt diese Verwirrung, sodass wir uns desorientiert und hilflos fühlen und resignieren. Zur Orientierung kann uns wieder der „gesunde Menschenverstand“ helfen. Wir können die Machtkartelle durchschauen, sobaldwir uns nicht nach ihren Worten, sondern nach den Auswirkungen ihres Handelns orientieren. Setzen sie sich wirklich für das ein, was die oberste Maxime für uns und unsere Kindeskinder sein sollte: Die Achtung für alle Menschen und für die Schöpfung, und die Erhaltung dieser Erde und ihrer Ressourcen.
THESE 8 Das ungemalte Bild des lebenden Jesu? Die Dekonditionierung wird auch unterstsützt durch eine alternative Geschichte - ein alternatives „Narrativ“ - zum Kreuzestod Jesu: Das Turiner Grabtuch – mit dem ausdrucksvollen Gesicht eines Gekreuzigten. Nach dem Markusevangelium „kaufte Josef aus Arimatäa ein Tuch aus Leinen, ließ ihn [vom Kreuz] herunterholen, in das Leinentuch wickeln und in ein aus dem Fels herausgeschlagenes Grab legen“. Als „nicht von Händen gemachten Abbildes des Erlösers“ (Acheiropoieta) kam ein Grablinnen 944 von Edessa nach Konstantinopel. in den Kreuzzügen wurde es von römisch-katholischen Kreuzrittern, die Konstantinopel plünderten, den griechisch-katholischen Byzantinern gestohlen, und als Grablinnen Christi verehrt („Turiner Grablinnen“). Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben 1978, dass die Blutspuren auch auf der Oberseite des Körpers für eine intakte Herzfunktion sprechen, dass also die Person nicht gestorben war, (das würde der Kreuzestheologie den Boden entziehen). Die Reaktion erfolgte prompt: Ein vom Vatikan veranlasstes Gutachten ergab 1988, dass das Linnen aus dem 14. Jh. stammt, somit nichts mit Jesus zu tun haben könne. Es gibt gute Argumente dafür, dass das Vatikanische Gutachten eine Fälschung ist. dass die untersuchte Gewebeprobe stammte nicht vom Turiner Tuch. Eine erneute Untersuchung des Turiner Grabtuchs wird vom Vatikan verweigert. Und sie wurde erheblich dadurch erschwert dass es inzwischen intensiv restauriert wurde. Nach einer Version, die in tibetisch-buddhistischen Klöstern aufgetaucht ist, starb Jesus nicht am Kreuz, er ging (zurück?) nach Indien bzw. Kaschmir und hatte dort noch viele Frauen und Kinder.
Fazit: Die Kreuzestheologie ist aus historischen, theologischen und psychologischen Gründen sehr problematisch. Nun scheint sogar der Kreuzestod Jesu selber historisch ungesichert zu sein.
THESE 9 Abendmahl und Auferstehung Christi - „entgiftet“! Das bedeutet weiter, dass die bisherige Konditionierung durch das Abendmahl: kannibalistische Verinnerlichung des gefolterten Jesus ersetzt wird durch eine neue Konditionierung: Das Abendmahl wird gefeiert als das Brudermahl derer, die durch Jesu Botschaft der Liebe und Befreiung ihre eigene Christusnatur – und die der anderen! - entdeckt haben.
Wenn es gelingt, dass die Botschaft des „lebendigen“ Jesus, 2000 Jahre nach seiner Kreuzeserfahrung, von den Verfälschungen befreit wird, dann kann diese Botschaft wieder in ihrem Licht „auferstehen“: die Befreiung unserer „Christusnatur“ - statt deren Kreuzigung! Ihr seit Gottes Kinder, ihr habt bereits mit der Geburt eure unverlierbare Würde, eure „Christusnatur“ erhalten! Lasst euch diese Würde von niemandem nehmen! Achtet die Erde mit ihren Pflanzen und Tieren, auch sie sind Geschöpfe Gottes, die euch anvertraut wurden. Wehrt euch gegen alle, die die Erde, die euch und eure Brüder und Schwestern benutzen, missbrauchen, in die Armut treiben, sie zu Sündern abstempeln wollen!
Reform von unten? Die Kirchen erleben Verlust an Vertrauen. Das kann auch eine Chance für Veränderung sein. Wir haben zur Zeit einen römischen Papst, der obwohl er von der Amtskirche bestimmt wurde, sich an der Botschaft des lebendigen Jesus orientiert, und dabei den Konflikt mit der Amtskirche riskiert. - Ist das nicht eine Parallele zu dem Phänomen Gorbatschow? - Er befragt die Kirchenmitglieder nach ihrer Meinung z.B. in Fragen Ehe und Familie – ein demokratisches Prinzip?! Vielleicht sucht er die Unterstützung der Kirchenmitglieder für einen Reformprozess? Ist das nicht eine Chance für eine Reform von unten?
Dr. Ero Langlotz Psychiater, Systemtherapeut 80336 München praxis@e-r-langlotz.de www.e-r-langlotz.de
Um eine eigene unbewusste Konditionierung zur Selbst-Entfremdung zu „messen“ und selber zu lösen gibt es Instrumente aus dem „Werkzeugkasten der systemischen Selbst-Integration“. Anleitung zur Selbst-Diagnose und zu einem selbst durchgeführten Autonomie-Training findet sich unter http://www.e-r-langlotz.de/systemische_f...erapie_doit.php
Danke für diesen Text ! Ich habe immer so empfunden...Freiheit offenbart sich zwischen den Polen von macht und Ohnmacht , in der Liebe als einzig menschenwürdige transformierende wahrhaftige Kraft . Angst und Schuld dienen dem Machterhalt aller autoritären , abhängigmachenden Systeme und Strukturen . Es wirkt wie eine kollektive und individuelle Amnesie ..in der Familie wie in der .Gesellschaft. Es braucht viel Mut , sich zu befreien. Und viele haben mit ihrem Leben dafür bezahlt oder mit schweren seelischen Leiden. Gerade in dieser Zeit wird es wieder so deutlich. Dieses Thema hat mein ganzes Leben bestimmt ... bleiben wir dran ..... Lachen und lieben 😇
Sie sprechen mir mit diesem Beitrag aus der Seele! So viele meiner Patienten leiden an den Folgen dieser Programmierung. Oft ist es ihnen nicht einmal bewußt, dass es mit diese 2000 Jahre alten Indoktrination zu tun hat, wenn sie es nicht wagen, ein gutes Leben zu haben und sich immer wieder schuldig fühllen, wo es gar nicht um Schuld geht! Es ist unglaublich, was wir da für Altlasten tragen. Die Pharmaindustrie und auch die Politik nutzen dieses Muster aus, uns in ein unterwürfiges Gehorsam hinein zu manipulieren. Diese Analogie sehen die meisten nicht! Vielen herzlichen Dank für diese klare und anschauliche Darstellung! Sarah Hiener, HP