In Systemischen Aufstellungen klärt eine Klient*in ein Problem, indem sie Stellvertreter*innen aufstellt. Dabei folgt sie einem inneren Bild. So wird ein unbewusstes inneres Bild im Aufstellungsbild sichtbar und bewusst. Dies Verfahren ist daher ein hervorragendes Forschungs-Instrument, um unbewusste Dynamiken bewusst zu machen. Aus den Beobachtungen ist es möglich, Hypothesen zur Dynamik zu formulieren und daraus Lösungs-Strategien zu entwickeln, deren Gültigkeit sofort in der Aufstellung bestätigt – oder widerlegt werden kann.
BEOBACHTUNG Bei systemischen Trauma-Aufstellungen erleben wir immer wieder das paradoxe Phänomen, dass die Klient*in das Trauma und die damit verbundenen Trauma-Gefühle (Ohnmacht und Angst) unbewusst gespeichert hat und dass sie diese nur schwer „loslassen“ kann. Obwohl es vorbei ist, obwohl sie – bei einem eigenen Trauma - es überlebt hat, sie hält es fest, so als würde sie mit dem Trauma etwas verlieren, das wertvoll ist wie ein Schatz, oder hilfreich wie ein Schutz. So als könne das präsent gehaltene Trauma verhindern, daß sie noch einmal von einem derartigen Trauma überrascht und überwältigt wird. Dabei bringt das Trauma-Introjekt entscheidende Nachteile mit sich: es blockiert die Verbindung zu dem eigenen unbeschwerten SELBST, und bewirkt, dass die Klient*in aus einem Alarmzustand gar nicht mehr herauskommt – auch nach vielen Jahren nicht! Bei übernommenen Traumata lässt sich dies Festhalten des Traumas erklären durch eine unbewusste Loyalität zu der Bezugsperson, deren Trauma eine Klient*in übernommen hat. In der Aufstellung wird dann das Loslassen des Traumas erlebt wie ein Verrat an dieser Bezugsperson. Aber wie kann man das Festhalten des Traumas bei einem eigenen Trauma erklären?
HYPOTHESEN ZUR DYNAMIK... Die Erfahrung von Trauma war verbunden mit einem schmerzlichen Überrollt-Werden von Angst und Ohnmacht. Die eigene Kontrolle ging verloren. Das SELBST-Vertrauen, das eine Klient*in – mehr oder weniger – bisher erworben hatte, wurde erschüttert. Das Trauma erwies sich sozusagen als mächtiger als ihr SELBST. Hypothese I: die Klient*in hat durch diese Erfahrung das Vertrauen in ihr SELBST verloren, und orientiert sich mehr nach dem Trauma als nach ihrem SELBST. Obwohl das Trauma vorbei ist, und in dieser Form nie wieder kommt, hat sie daher auch heute noch das Trauma und die damit verbundenen Trauma-Gefühle gespeichert, in der Illusion, als könne sie dadurch ein weiteres Trauma besser bewältigen. Hypothese II: Damit ist dann eine „Hab-Acht“-Haltung verbunden, als müsse sie alles im Blick haben, um es besser kontrollieren zu können, da sie dem eigenen SELBST – und dem Schicksal - nicht trauen kann. Hypothese III: Um diese illusionäre Kontroll-Haltung aufrecht erhalten zu können, musste die Klient*in geradezu das Trauma und die damit verbundenen Gefühle von Ohnmacht und Angst festhalten. So „beisst sich die Katze in den Schwanz“. So entstand die „Trauma-Falle“. Das kann als eine illusionäre Überlebens-Strategie verstanden werden, die allerdings nur Nachteile mit sich bringt: Diese ständige „Hab-Acht“- Haltung kostet sehr viel Energie und führt zu Erschöpfung und Depression. Dabei ist sie nicht wirksam, im Gegenteil, die Fixierung auf das Trauma begünstigt sogar die Wiederholung des Traumas.
...UND DIE ÜBERPRÜFUNG In der Trauma-Aufstellung kann die Klient*in diese Hypothesen in einem Klärungs-Prozess überprüfen. Zunächst stellt sie das Trauma und ihr SELBST auf und dabei zeigt sich, dass sie das Trauma in ihren Raum stellt, so dass es ihr näher steht, als ihr eigenes SELBST. Das ist unangenehm, aber vertraut. Und das Hinausstellen des Traumas fühlt sich für sie als gefährlich an, so als würde sie etwas Wertvolles verlieren. Es braucht einige Überzeugungsarbeit des Therapeuten, bis die Klient*in erkennt, dass das Trauma lange vorbei ist und dass sie es überlebt hat. Also gehört es Hier und Heute gar nicht mehr zu ihrer Identität. Wenn sie jetzt – ihrem Verstand folgend – das Trauma aus ihrem Raum herausstellt, spürt sie Befreiung und wieder mehr Verbindung zu ihrem SELBST. Als nächstes nimmt die Klient*in das Trauma erneut in ihren Raum, und erst jetzt, nach dieser ersten Differenzierung erlebt sie das Trauma als bedrohlich, bisweilen so sehr, dass sie Anstalten macht, ihren eigenen Raum – und damit ihr SELBST – zu verlassen! Diese Flucht-Reaktion kann verstanden werden als Hinweis auf eine Tendenz zur Dissoziation!
DISSOZIATION Der Therapeut bietet der Klient*in an – quasi als Alternative zur Flucht - dass sie auf einen Schemel steigt. Der Schemel symbolisiert ebenfalls eine Bewegung. Allerdings nicht in der Horizontale (Flucht), sondern in der Vertikale (Dissoziation): in eine andere – höhere – Ebene. Das Bedrohliche des Traumas verringert sich, durch die Illusion, nun einen besseren Überblick haben zu können, eine bessere Kontrolle ausüben zu können. Das ist der Klient*in bekannt. Nun erkennt sie auch den „Preis“ für diese Überlebensstrategie: sie ist nicht mehr mit ihrem Selbst verbunden, sie ist mehr „im Kopf“ als mit ihrem Körper – und dem Boden – verbunden. Das entspricht dem Phänomen der Dissoziation, und kann als – wenn auch illusionäre – Überlebensstrategie verstanden werden, solange das Trauma (irrtümlich!) noch im eigenen Raum gespeichert ist.
DIE BEFREIUNG AUS DER TRAUMA-FALLE Basierend auf diesen Beobachtungen und Überlegungen erscheinen zur Lösung dieser Trauma-Dynamik folgende Sätze bzw. Dialoge geeignet, die der Therapeut der Repräsentant*in des Selbst bzw. der Klient*in vorschlägt: Das SELBST zur Klient*in: ich habe damals das Trauma nicht verhindern können. Das Schicksal war mächtiger. Aber es ist vorbei und wir haben es überlebt! Die Klient*in erkennt, dass sie damals das Schicksal nicht kontrollieren konnte und bestätigt das, indem sie sich vor dem (imaginierten) Schicksal tief verneigt.
ENTFERNEN DES TRAUMA-INTROJEKTES Nachdem die Klient*in in dieser Weise ihrer eigenen Ohnmacht gegenüber dem Schicksal zugestimmt hat, kann sie „auf den Schemel verzichten“ (die Illusion von Kontrolle aufgeben) und sie kann das Trauma – und die Trauma-Gefühle – aus ihrem Raum herausstellen und abgrenzen, die sie bisher in ihrem „Identitätsraum“ festgehalten hatte, so als gehörten sie zu ihrer Identität hier und heute.
Danach schlägt der Therapeut der Klient*in folgende Sätze zu ihrem SELBST vor: Durch das Trauma hatte ich das Vertrauen in dich verloren. Ich habe mich mehr auf das Trauma eingestellt – als auf dich – in der Illusion, durch Kontrolle eine Wiederholung des Traumas verhindern zu können. Ich habe dem Trauma mehr Achtung gegeben als dir. Das hat nichts mit dir zu tun und das hast du auch nicht verdient. Um diese Achtung nachzuholen, verneigt sich die Klient*in tief vor ihrem eigenen SELBST, drei Atemzüge lang. Danach ist der Weg frei. Statt sich wie bisher mit dem Trauma von damals zu identifizieren, kann sie nun spüren, wie es sich anfühlt, mit ihrem eigenen SELBST zu verschmelzen. Das ist der Ausweg aus der Falle des Traumas.
SYSTEMISCHER BEGRIFF VON STRUKTUR Systemische Trauma-Aufstellungen zeigen immer wieder, dass die SELBST-Anteile durch ein Trauma nicht verletzt werden oder verloren gehen. Verletzt durch das Trauma wird die STRUKTUR. Durch die Beobachtungen bei Systemischen Aufstellungen kann ein systemischer Begriff von STRUKTUR genauer beschrieben werden.
Der systemische Struktur- Begriff umfasst demnach folgende Aspekte:
A EIGENE GRENZE WAHRNEHMEN UND SCHÜTZEN Die Fähigkeit, ich-Fremdes von Eigenem zu UNTERSCHEIDEN. Dadurch entsteht eine GRENZE, die den eigenen RAUM umschliesst. Die eigene AGGRESSION (Kraft) wird konstruktiv benutzt, um die GRENZE zu schützen (NEIN-sagen können), und um ICH-FREMDES aus dem eigenen Raum fernzuhalten. Dann wird der eigene RAUM frei, in dem nur ich zuständig bin, in dem sich das eigene SELBST entfalten kann.
B FREMDE GRENZEN WAHRNEHMEN UND RESPEKTIEREN Dazu gehört die Fähigkeit, fremde Grenzen wahrzunehmen, und sie dadurch zu respektieren, dass man nicht ungebeten fremde Grenzen überschreitet, dass man die Abgrenzung (die konstruktive AGGRESSION) des Gegenübers respektiert, ohne sich dadurch verletzt oder gekränkt zu fühlen („Spielregeln zwischen Tigern“), und fremde Zuständigkeitsbereiche dadurch zu respektieren, dass man nicht ungebeten in fremden Räumen tätig wird. Im Lösungsprozess der Selbst-integrierenden Trauma-Aufstellung werden diese Aspekte ganz gezielt untersucht und eingeübt. Diese „systemische“ Struktur geht einher mit Selbst-Verbindung, Resilienz, Konfliktfähigkeit und Fähigkeit zu Kontakt und zur Kooperation auf Augenhöhe.
(Die tiefenpsychologisch orientierte Therapie verwendet ebenfalls den Begriff STRUKTUR, aber sie versteht und definiert ihn anders.)