Aus aktuellem Anlass teile ich mit Euch hier einen Aufstellungs-Geschichte zum Thema "Zwillings-Nähe":
Katja ist schon ein paarmal für eine Sitzung bei mir gewesen. Bei der letzten Aufstellung hat sie sich von einem verlorenen Zwilling abgegrenzt – ein Thema, mit dem sie sich nach eigener Aussage schon recht lange beschäftigt hat. Sie erzählt, dass dabei erst ein tiefer Schmerz hochgekommen ist, doch dieser hat sich dann in eine große Erleichterung verwandelt. Was ihr aber seitdem nicht aus dem Kopf geht ist das Bild einer himmlischen Nähe zwischen ihr und dem Zwilling. Ein Gefühl, „dass da im Mutterleib offenbar mal geherrscht haben muss“. Die Sehnsucht nach dieser Nähe lässt sie nicht los. Da ist der tiefe Wunsch eng mit einem Gegenüber zu verschmelzen. Diesen Wunsch könne sie nicht loslassen und er belastet sie besonders in ihren Beziehungen, wo dieser Wunsch nach Nähe als Anhänglichkeit fehlinterpretiert wird und ihre Partner überfordert. Es sei, als ob diese Nähe – das „ozeanische Gefühl“, das in den Beschreibungen zum verlorenen Zwilling immer wieder genannt wird – tief in ihrem Körper abgespeichert sei.
Um ihrer Sehnsucht auf den Grund zu gehen wechseln wir in die Aufstellung. Katja wählt einen Hocker, der die „Zwillings-Nähe“ repräsentiert und positioniert diesen – zusammen mit zwei Hockern, die für ihre Selbstanteile stehen – im Raum. Das Bild, das sich ergibt ist deutlich: Katja steht ganz dicht bei der „Zwillings-Nähe“. Der Kontakt zu ihren Selbstanteilen ist zwar nicht komplett abgeschnitten – sie stehen nur in etwas Abstand zu ihr – doch sie schenkt ihnen keine wirkliche Aufmerksamkeit. Wie gebannt ist sie auf die „Zwillings-Nähe“ konzentriert. Wir legen einen Schal als Grenze zwischen Katja und die „Zwillings-Nähe“, dass klar werden kann, was in ihren Raum gehört und was nicht. Dies ist zunächst ungewohnt und schmerzlich für sie, ganz so als würde nun etwas fehlen. Es ist aber auch entspannter und weniger angestrengt als zuvor. In einem nächsten Schritt setzt sie sich auf den Hocker, der für die „Zwillings-Nähe“ steht um zu überprüfen, wie vertraut ihr dieses Element ist, das eigentlich überhaupt nicht in ihren Raum „Hier und Heute“ gehört. Sie schließt friedlich die Augen, lässt sich tief in den – objektiv recht ungemütlichen – Hocker hineinfallen und ist mit einem Mal ganz versunken. Ein bisschen wirkt sie wie ein schlafendes Baby, das in eine Decke gekuschelt ist. An ihren Reaktionen und an ihren Antworten ist klar: hier kennt sie sich aus und hier möchte sie auch am liebsten bleiben. Alles andere ist ihr „eigentlich ziemlich egal“. Das Problem: bei diesem „Andere“ handelt es sich um ihren eigenen Raum und ihr eigenes Selbst. Da scheinen Konflikte vorprogrammiert. Um ihr den Abschied von der „Zwillings-Nähe“ zu erleichtern ergänzen wir einen zweiten Hocker neben ihr der für den „Schmerz über den Verlust des Zwillings“ steht. Denn auch dieser Verlust ist ja einmal Fakt gewesen und er ist zudem eng mit der Erfahrung dieser intimen Nähe verbunden. Erst ist sie etwas erschrocken, dass da etwas neben ihr ist, was die wohlige Versunkenheit stört. Doch obwohl es unangenehm ist, es fühlt sich stimmig an. Sie wechselt ein paarmal zwischen den beiden Hockern hin und her. Auf dem Hocker, der für den Verlust steht, fühlt sie sich unwohl, hat das Gefühl eines tiefen Schmerzes verbunden mit Panik. Zu guter Letzt ergänzen wird auch noch einen Hocker für den Zwilling. Jetzt nimmt die Szene langsam feste Konturen an. Katja wird klar, dass sie mit der Sehnsucht nach der Zwillingsnähe auch immer den Schmerz über den Verlust festgehalten hat. Die Beiden sind offenbar nur im Paket zu haben. Nun kann sie zum ersten Mal eine bewusste Entscheidung treffen um aus freien Stücken aus dem Raum des Zwillings aussteigen und in ihren Raum zurückkehren. Dies ist zwar noch komplett neu und braucht eine Menge Mut, doch mit jedem Schritt der Abgrenzung kommt sie mehr zur Ruhe und hat das Gefühl geerdeter zu sein und mehr bei sich anzukommen. Und sie macht eine wichtige Entdeckung: Mit dem Selbst – dass sie in der Form eines Kissens fest umschlungen hat – kann sie so eng verschmelzen, wie sich das schon immer gewünscht hat. Ohne, dass diese Nähe von einem anderen Menschen abhängig ist und ohne dass diese Nähe von einem ständigen Gefühl des drohenden Schmerzes und des Dramas „verunreinigt“ wird. „Eigentlich geht es mir ganz gut mit mir selbst – ich brauche ja nix von Aussen um diese Nähe zu spüren!“.
Lieber Phil, ich bin wieder sehr beeindruckt von deiner Kreativität und deinem Fingerspitzengfühl. Dadurch bleibt unser Konzept zwar immer "in progress" - statt endlich einmal abgeklärt in die "Halle der ewigen Wahrheiten" zu gelangen. Aber wie wir beide wissen, ist das ein gutes Zeichen. So bleiben auch wir in Bewegung.8-) Ero Langlotz