Die Probleme der Klient*innen Wir sehen immer deutlicher, dass tief sitzende Selbstwertprobleme, negative Glaubenssätze („ich bin schuldig“, „ich bin falsch“, „ich habe kein Recht, zu leben und glücklich zu sein“) und eingefahrene Verhaltensmuster meist die Folge früher Beziehungstraumen sind. Diese Veränderungen können nicht leicht beeinflusst werden, bisweilen auch nicht durch lange Therapien. Manche Betroffene erleben sich dann wieder als „Versager“. Das verstärkt natürlich ihre Selbst-Abwertung. Diese Veränderungen können ihr ganzes Leben prägen, auch ihre beruflichen und privaten Beziehungen. Denn diese Themen sind unbewusst gespeichert im limbischen System.
Limbisches System
Belastende Erfahrungen die mit überwältigenden Gefühlen von Angst, Wut, Ohnmacht einhergehen, werden (als „Konglomerat“) zusammen mit den beteiligten Personen und der damaligen Situation im limbischen System gespeichert. Das ist ein entwicklungsgeschichtlich früher Gehirnteil, der bereits vor der Entwicklung des Grosshirns wirksam war und daher dem Bewusstsein nicht zugänglich ist.
Das ist der Gund dafür, dass dies im limbischen System gespeicherte Konglomerat vom Bewusstsein (Cortex) nicht kontrolliert oder verändert werden kann. Es bestimmt daher das Selbstbild, das Erleben und das Verhalten des Betroffenen, ohne dass dieser das bewusst steuern kann. Daher erlebt er das als inneren Zwang, der ihn hilflos macht.
Dazu kommt, dass das Trauma mit seinen Gefühlen getriggert werden kann durch situative Aspekte der früheren belastenden Erfahrung (Person, Ort, Sinnesreize wie Geruch, Geräusch etc.). Verständlich, dass die Betroffenen dazu neigen, solche Situationen zu meiden, die sie „triggern“
Das könnte verstanden werden als ein archaisches, noch sehr undifferenziertes Überlebensprogramm – vielleicht um die Wiederholung eines Traumas zu verhindern? Aber den Betroffenen bringt es nur Leid. Diese Überlebens-Strategien sind starr, unflexibel, daher „passen“sie oft nicht in der jeweiligen Situation. Dies Programm kann auch zu Wiederholungen der frühen toxischen Beziehungen führen: Die Betroffenen suchen unbewusst ähnlich belastete Partner, bei denen sie das „gelernte“ Überlebensprogramm verwenden können. Die Betroffenen erleben sich selber als instabil, als innerlich zerrissen, nicht kongruent mit sich selber. Solange sie diese Inkongruenz wahrnehmen – das heisst solange sie noch eine Vorstellung von ihrem eigentlichen Wesen haben – leiden sie darunter. Das trägt zum STRESS bei, der ebenfalls zu den Traumafolgen gehört.
Andere identifizieren sich so mit diesen Traumafolgen – und dem Trauma – dass sie keine Vorstellung von einem gesunden Wesenskern haben. Ja sie machen Ihr SELBST vielleicht noch für ihr Leid verantwortlich und hassen sich selber dafür. Sie schämen sich – so als wäre das alles ihre Schuld. Wenn überhaupt, dann suchen sie erst spät therapeutische Hilfe. Doch nicht immer mit Erfolg.
Therapie
Manche Therapieformen (nach dem „Extinctionsmodell“1) orientieren sich nach Diagnoseschemata und versuchen, abgestimmt auf die Symptome das Selbstbild, Verhalten und Erleben des Klienten durch ein speziell dafür entwickeltes Lernprogramm zu verändern. Das ist mühsam und kostet viel Kraft - für Klient*innen und Therapeut*innen. Das "alte" Programm wird jedoch dadurch nicht gelöscht, sondern nur überlagert durch ein neues Programm. Die Klient*innen orientieren sich kognitiv nach ihrem neuen Programm und behalten eine emotionale Unsicherheit. Und die Wirkung kann nachlassen, da das im limbischen System gespeicherte "Programm" nur überlagert und nicht gelöscht wurde. Gerade mehrfach traumatisierte Klient*innen, die trotz langer und unterschiedlicher Therapiebegleitung immer wieder Rückfälle erleben müssen, verbuchen diese als persönliches Versagen. Das verstärkt noch ihre - bereits ausgeprägte - Selbstabwertung und kann sich bis zum Selbsthass steigern. Wie in einem Teufelskreis geraten sie so immer mehr in eine Falle, aus der sie selber nicht herausfinden.
Systemische Selbst-Integration Durch systemische Aufstellungen mit psychiatrischen Klient*innen war es mir möglich, die Prinzipien von Autonomie und Symbiose zu erkennen und daraus wirksame Lösungsstrategien zu entwickeln.2 Es zeigte sich immer deutlicher, dass das Symbiosemuster durch unverarbeitete („maladaptiv gespeicherte“) Traumata verursacht wird. Die Corona-Pandemie zwang zu einer Umstellung von Präsenz-Aufstellung mit Stellvertretern auf Online-Aufstellungen mit farbigen Holzklötzchen. Nur dadurch war es möglich, die subtilen Dynamiken bei frühen Beziehungstraumen noch genauer wahrzunehmen, zu verstehen und gezielt zu lösen. So entstand eine neue Methode:
Selbst-integrierende Stressorauflösung Durch das Aufstellen mit Symbolen kann die Klient*in erkennen, dass ihr limbisches System ein altes Trauma so gespeichert hat, dass sie dadurch heute noch stärker beeinflusst als von ihrem ihr eigener Wesenskern, ihrem SELBST! Statt Selbst-bestimmt lebte sie immer noch Trauma-bestimmt. Die symbolische Ebene der Aufstellung macht ihr möglich, dies fehl-gespeicherte Programm als Ursache für ihre Probleme zu erkennen – und durch gezielte Abgrenzungsmanöver zu löschen! Dabei erlebt sie zugleich die inneren Widerstände (Abgrenzungsverbot) aber auch die Befreiung durch die Erfahrung, wieder handlungsfähig zu sein. Und es zeigt sich immer wieder: das Trauma-Introjekt ist nicht Teil ihrer Identität. [/i]Nicht das Trauma muss integriert werden, sondern ihr Selbst, welches durch das Trauma überlagert oder abgespalten war. Und sie erlebt sich wieder als identisch mit sich selbst, als kongruent. Zerrissenheit und Stress sind vorbei. Die wieder gewonnene Selbst-Achtung öffnet ihr Herz, die Liebe kann wieder fliessen. Und die angestaute Wut kann endlich „an die richtige Adresse“ gerichtet werden.
Rekonsolidierung Unsere Vorgehensweise entspricht dem von Thomas Hensel 3 beschriebenen Konzept einer „Stressorbasierten Psychotherapie“. Er begründet dieses Konzept mit den neueren Erkenntnissen der Gedächtnisforschung. Demnach ist das Gehirn bis ins hohe Alter noch lernfähig. Es ist also dazu fähig, ein als „Stressor“ gespeichertes Trauma zu löschen. Um diese Fähigkeit zu aktivieren ist allerdings eine spezielle Vorgehensweise erforderlich. Hensel beschreibt sehr genau diesen „Algorithmus“. Diese Sressor-basierte Therapie berücksichtigt die Diagnosen-übergreifende Rolle früher Traumata. Indem sie diese Stressoren löscht, arbeitet sie Ursachen-orientiert und nicht Diagnosen-orientiert. Indem sie die angeborenen Selbstheilungsmechanismen der Rekonsolidierung berücksichtigt, kann sie mit geringerem Aufwand bessere Therapieergebnisse erreichen.
[i]Persönliche Bemerkung: Für mich war die Begegnung mit Hensel`s Konzept sehr bestärkend und bereichernd. Die Vorgeschichte dazu ist bezeichnend. Als ich in einem traumatherapeutischen Standartwerk4 keinen Hinweis darauf fand, dass das Trauma-Introjekt reversibel ist – sodass die Behandlung der Traumafolgestörungen sekundär oder sogar entbehrlich ist – schrieb ich die ca. 30 Autoren an, um sie danach zu befragen. Keiner dieser akademischen Forscher antwortete auf die Frage des Forschers aus der Praxis! Für mich ist das ein Hinweis darauf, dass in unseren akademischen Instituten immer noch ein hierarchischer Stil herrscht, mit einem vorauseilenden Autoritätsgehorsam, der Innovationen eher blockiert, statt sie zu fördern. Siehe Ignaz Semmelweiss Wien 1847 (Kindbettfieber als Folge mangelnder Hygiene der Ärzte), oder Stanley Milgram 1960 (Seine Experimente zeigten eine erschreckende Verbreitung des Autoritätsgehorsams). Beide wurden wegen ihrer innovativen Beobachtungen von Fachkollegen angegriffen und zu Unrecht beschuldigt. Beide starben früh, Semmelweiss in der Psychiatrie, Milgram an frühem Herzinfarkt. Er war nur 8 Jahre älter als ich! Aber es gab eine Ausnahme: Einer der 30 Autoren antwortete: Thomas Hensel verwies mich auf sein Konzept! Wir begegneten uns und entdeckten weitere Gemeinsamkeiten: eine therapeutische Haltung, die das Potential unserer Klient*innen wahrnimmt und aktiviert – statt sie mit ihren Defizit-Symptomen zu identifizieren. Wir wurden Freunde. Kombinierte und komplexe Beziehungstraumen Und die Entwicklung ging weiter. Zunächst untersuchten wir nur die Auswirkungen von traumatische Beziehungen zu einem Elternteil. Angeregt durch Beobachtungen des US-amerikanischen Pioniers der Familientherapie, Murray Bowen untersuchten wir das kombinierte Beziehungstrauma zu beiden Eltern. Wie zu erwarten war das Verwirrungspotential einer solchen Beziehung zu zwei traumatisierten Eltern noch ausgeprägter – und die Lösung in einer Sitzung daher sehr viel wirksamer. Und wir untersuchten auch komplexe Beziehungstraumen, durch das Hinzunehmen weiterer damals belastender Personen (dominante abwertende Grossmutter). Auch aktuelle komplexe Beziehungs-Traumen (z.B. zwischen Mutter und Ehepartner) können mit diesem Format untersucht und gelöst werden.