Überwältigende Liebe In letzter Zeit erlebe ich immer wieder, wie Menschen, deren Liebesfähigkeit Jahrzehnte lang gelähmt war durch Trauer, Schmerz, Scham, Schuld und Selbstabwertung durch den Prozess der Selbst-Integration wieder zu Selbst-Liebe und Selbst-Achtung finden. Ihre Fröhlichkeit und Lebendigkeit erwacht, sie können ihr Herz wieder öffnen, um wahre Liebe annehmen und geben zu können. Ihnen wird bewusst, dass sie sich das schon immer zutiefst gewünscht, aber gar nicht mehr für möglich gehalten haben. Daher sind sie von diesen eigenen Veränderungen überrascht und tief bewegt und dankbar.
Und auch ich als Begleiter, sozuagen als Zeuge dieses Prozesses, bin immer wieder davon überwältigt, wie liebenswert Menschen sind, die es wagen sich auf diesen Transformationsprozess einzulassen. Hass als Schlüssel zur Liebe? In der Arbeit mit frühen Beziehungstraumen – zum Beispiel bei der Aufstellung Karola https://youtu.be/hK7rRrT-xhI – zeigt sich immer wieder eine paradoxe Dynamik, die für die Betroffenen zur lebenslang wirksamen Falle werden kann. Jedes Kind hat die tiefe Sehnsucht, gesehen zu werden und geliebt zu werden, so wie es ist. Nur so kann es sich selber, seinen Wesenskern als wertvoll erleben. Nur wenn sein wahres Selbst in dieser Weise „geweckt“ wird, kann es ein eigenes Selbstwertgefühl entwickeln, das unabhängig ist von Leistung oder Anerkennung durch andere. Nur so kann es zu Selbstachtung und dem Bewusstsein der eigenen Würde kommen. Dieses Selbstwertgefühl ist später die Voraussetzung dafür, um wahre Liebe annehmen – und schenken zu können.
Wenn Eltern nicht Liebe geben können . . Eltern, die aufgrund eigener Traumata kein Selbstwertgefühl entwickeln konnten, sind in der eigenen Bedürftigkeit stecken geblieben. Sie fühlen sich durch diese Bedürfnisse des Kindes überfordert. Wie sollen sie etwas geben, was sie selber nicht bekommen haben? Im Gegenteil erwarten sie – oft unbewusst – von einem Kind, dass es ihr Selbstwertgefühl stärkt, dadurch, dass es ein pflegeleichtes, gehorsames und erfolgreiches Kind ist. Dem Kind vermitteln sie das als Ausdruck von „Liebe“ zu den Eltern, so als hätten sie das Recht, von ihrem Kind diese „Liebe“ einzufordern. Dafür sind sie dann auch bereit, dem Kind Anerkennung und „Liebe“ zu schenken. Aber das ist nicht die „wahre“ Liebe die das Kind braucht. . . . dann lernt das Kind, sein wahres Selbst zu unterdrücken, ja zu hassen. Um in dieser lieblosen Realität zu überleben, lernt es, seine Lebendigkeit und Spontaneität, seine Gefühle und Bedürfnisse zu verstecken, so als sei das falsch oder sogar gefährlich. Stattdessen entwickelt es ein Überlebens-Selbst, angepasst an die Erwartungen und die unausgesprochenen Bedürfnisse seiner traumatisierten Eltern, so als sei es für deren Schicksal verantwortlich. So lernt es, sich emotional benutzen zu lassen, um dennoch ein Existenzrecht zu haben und wertvoll für die Eltern zu sein. Diese „magisch-grandiosen“ Tendenzen, verbunden mit der Tendenz zur Selbstabwertung erzeugen ein in sich widersprüchliches Überlebens-Programm, mit dem das Kind sich identifiziert, so als sei das seine Identität. Diese innere Zerrissenheit ist die Ursache für Stress und Verwirrung und sie bestimmt später sein Selbstbild, sein Erleben und sein Verhalten, unbewusst. Ohne dass es das selber erkennen oder gar ändern können.
Der „gesunde Hass“ muss unterdrückt werden Wenn in dieser Weise ein hilfloses Kind in seinem wahren Selbst ignoriert, abgewertet, für falsch erklärt oder beschuldigt wird, dann ist das massive seelische Verletzung, schlimmer als Prügel. Das kann einen „gesunden“ Hass auslösen, umso mehr, je vitaler das Kind ist. Diesen – bisweilen mörderischen! – Hass zu zeigen, kann für das Kind lebensgefährlich sein. Das verstärkt daher seine Tendenz, diesen Hass zu unterdrücken und sich selber falsch und schuldig zu fühlen. So verurteilt es sich selber dafür, dass es diese Eltern hasst, die doch selber so belastet und trotzdem so „lieb“ sind.
Wenn der „Kanal für die gesunde Wut“ blockiert ist . . Wenn in dieser Weise der gesunde Kanal für Wut und Hass blockiert ist, „sucht“ sich diese Energie andere Kanäle und richtet sich destruktiv gegen andere, Unschuldige. Das kann zu Kriminalität, zu Mord und Amok führen! Meistens richtet sich die Aggression jedoch gegen sich selber, das führt zu Depressionen, zu psychosomatischen und somatischen („autoaggressiven“) Erkrankungen – das ist „sozial verträglicher“!
. . . dann ist auch der „Kanal“ für die Liebe blockiert. Selbst-Abwertung und Selbst-Hass bewirken, dass die Betroffenen sich selber nicht für liebens-wert halten. Um dennoch die ersehnte Liebe bekommen zu können, versuchen sie sich diese Liebe durch Leistung oder durch Geschenke zu „verdienen“. Aber das was sie dann bekommen, ist nicht die wahre, bedingungslose Liebe. Sie hat daher diesen schalen Beigeschmack. Manche versuchen in ihrer Verzweiflung den anderen durch – mehr oder auch weniger gut – verschleierte Manipulationen dazu zu zwingen, sie zu lieben. Ein historisches Beispiel dafür ist der Preussen-König Friedrich I. – der Vater von Friedrich II. Er war wegen seiner Härte gefürchtet. Einmal, als Bürger aus Angst vor ihm wegliefen, lief er ihnen nach, schlug sie mit seinem Stock: „Lieben sollt ich mich! Lieben!“
Wenn aber tatsächlich jemand ihnen seine spontane absichtslose Liebe schenken möchte, dann werden sie misstrauisch, vielleicht sogar feindlich. Sie befürchten, manipuliert zu werden. Ihr Herz ist verschlossen. Sie können Liebe nicht annehmen. So „verhungern“ sie am gedeckten Tisch“!
Hass als Schlüssel zur Liebe Das Verständnis für diese komplexe Dynamik ermöglicht einen Lösungsweg, der hier kurz skizziert werden soll. Sobald durch die Trauma-Aufstellung das fehl gespeicherte Trauma von damals als toxisches „Introjekt“ erkannt wird, kann die Klient*in es benennen und aus dem eigenen „Identitätsraum“ entfernen. Damit ist die Ursache für Verwirrung und Stress beseitigt. Die Wahrnehmung für eigene und fremde Grenzen, für wahres und falsches Selbst bei sich, aber auch bei den Bezugspersonen ermöglicht eine neue Orientierung. Das eigene wahre Selbst wird „rehabilitiert“ und bekommt wieder seinen zentralen Platz in der Mitte. Dann kann auch die unterdrückte und gestaute Wut als berechtigt erkannt, und endlich an die richtige „Adresse“, gegen den Verursacher gerichtet werden: gegen das falsche Selbst der Bezugspersonen. Wenn in dieser Weise der „Kanal“ für die gesunde Wut wieder geöffnet, und die „Wutbombe“ entschärft ist, dann wird auch der Blick frei für das wahre Selbst der Bezugspersonen. Durch eigene Traumata mehr oder weniger getrennt von diesem wahren Selbst, konnten sie ihrem Kind nicht immer ihre wahre Liebe zeigen, sondern reagierten verletzend und abwertend. Jetzt kann die Klient*in selber überprüfen, ob sie ihr Herz öffnen kann für die – imaginierte – wahre Liebe der Eltern. Das ist ein sehr bewegender Augenblick: endlich die nährende Liebe zu spüren. Statt wie bisher zu verhungern „am gedeckten Tisch“, nun zu erleben: ich werde geliebt – weil ich es wert bin. Das ist überwältigend auch für „Zeugen“. Und das weckt die Hoffnung, dass immer mehr Menschen ihren (unbewusste Selbst-) Hass verwandeln in wahre Liebe.
Den Weg öffnen in eine lebenswerte Zukunft Ist nicht unser Gesellschafts-System und unser Wirtschafts-System mit seiner einseitigen Orientierung an Leistung, Profit und Wachstum die Folge von frühen Erfahrungen von Selbst-Entfremdung – seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden? Vielleicht brauchen wir diese schrecklichen aktuellen Krisen, um uns endlich wieder an unser eigenes Potential zu erinnern? Um in uns selber unser wahres Selbst zu entdecken: Das Bewusstsein, Kind dieser Erde zu sein, die uns hervorgebracht hat, die uns trägt und nährt, bedingungslos. Dies Bewusstsein, Teil eines grösseren schöpferischen Ganzen zu sein, öffnet unser Herz, die Quelle dieser „primären Energie“:
Die absichtslose wahre Liebe.
Artgerechte Beziehungen. Besitz verbunden mit Verantwortung für das Gemeinwohl.