Die aktuellen Krisen lösen bei vielen Menschen Sorgen, Ängste Depressionen und (psycho-)somatische Gesundheitsstörungen aus. Die meisten Familien – nicht nur in Deutschland – sind über Generationen hinweg traumatisiert durch Krieg, Verlust von angehörigen, Vertreibung und Flucht, nicht selten mehrfach: Kriegs-Enkel, Kriegs-Urenkel. Ich erlebe täglich, wie durch die Krisen in meiner Familie und bei meinen Klient*innen alte eigene oder übernommene Verlust- und Gewalt-Traumata „getriggert“ werden.
Aber jede Krise hat auch ihre Chancen. Wenn die Betroffenen bemerken, dass ihre bisherigen „Sicherheitskonzepte“: einseitige Orientierung an Leistung, Besitz, Konsum, sich als Illusion erweisen, haben sie die Chance zu einer Neu-Orientierung, indem sie sich auf ihre naturgegebenen Ressourcen besinnen.
Als Trauma-Therapeut hätte ich dafür folgende Anregungen.
Fehlende Abgrenzung Die Betroffenen sind nicht nur dadurch belastet, dass sie leichter getriggert werden als andere. In meiner täglichen Arbeit sehe ich, dass Traumatisierte sich generell schlecht abgrenzen können, gegenüber fremden Ansichten, aber auch gegenüber fremden Leid. Dieses Symbiosemuster verstehe ich als Trauma-Folge. Jeder kann es selber bei sich überprüfen durch den von uns entwickelten Autonomiefragebogen. https://www.e-r-langlotz.de/selbst-diagn...elbst-diagnose/ Menschen mit wenig Abgrenzung suchen in Beziehungen vor allem Harmonie und verschmelzende Nähe. Daher haben sie die Tendenz, abweichende Ansichten bei sich – oder auch beim Gegenüber! – zu unterdrücken, und gehen dabei mehr oder weniger subtil vor. Sie neigen zum „Mit-Leiden“ – so als seien sie selber davon betroffen. Oder sie mischen sich – ohne Auftrag! – in die Angelegenheiten des Anderen ein. Und sie selber – aber auch das Gegenüber – halten das für „Liebe“. Bisweilen so sehr, dass sie es sich selber nicht mehr erlauben können, unbeschwert und glücklich zu sein. Wie fatal diese Haltung ist, lässt sich mit dem Bild von zwei Ruderbooten verdeutlichen. Wenn einer – oder meistens beide – glauben, den anderen „retten“ zu müssen, indem sie aus ihrem Boot heraus die Ruder des anderen bewegen, dann fallen meist beide ins Wasser! Wenn sich jeder von beiden auf die eigenen Ruder konzentriert, haben beide gute Chancen, trocken ans Ufer zu kommen!
Um sich nicht völlig im anderen zu verlieren, greifen dann manche in ihrer Not zu einer „Strategie der Überabgrenzung“. Sie unterdrücken ihre Gefühle, geben sich hart und kalt. Bis sie es nicht mehr aushalten. Nicht selten „kippen“ sie auch zwischen diesen beiden entgegengesetzten Haltungen hin und her. Ihnen fehlt die Grenze, die Struktur, die ihnen erlaubt, gleichzeitig im Kontakt beim Gegenüber zu sein, ohne sich dabei selber zu verlieren. Nur so ist wahre Begegnung möglich zwischen zwei Menschen, die ganz verschieden sein können und sich in dieser Verschiedenheit gegenseitig respektieren. Hier könnte ein Abgrenzungs - oder Struktur - Training hilfreich sein, z.B. durch „Schattensegeln“ bei den Aufstellungs-Videos.
Was können die Betroffenen noch tun, um gut für sich zu sorgen (im Sinne von Self-Care)?
Trigger möglichst vermeiden Die Nachrichten im Fernsehen mit ihren Texten und vor allem auch Bildern wirken oft geradezu toxisch. Einerseits brauchen die Medien Schreckensnachrichten, um ihre Einschaltquoten zu steigern, andererseits gibt es gerade bei Traumatisierten einen verbreiteten Bedarf nach Dramen und Katastrophen. Fatalerweise haben gerade traumatisierte Menschen eine Tendenz, frühere und aktuelle „Dramen“ und Katastrophen in ihrem Bewusstsein präsent zu halten, so als seien sie dadurch besser geschützt. Doch das ist natürlich eine Illusion, und der Preis für diese Illusion ist ein erhöhter Stress-Level (Hyperarousal) der den Betroffenen den Schlaf rauben kann und Erschöpfung, Depressionen und psychosomatische Erkrankungen verursachen kann. Manche scheinen geradezu süchtig zu sein auf diesen Stress. Klient*innen berichten nach einer entlastenden Sitzung manchmal, dass sie den neuen Zustand von Entspannung und Freude kaum aushalten und geniessen können. So als stünde ihnen das gar nicht zu. Oder als wären sie dadurch der nächsten Katastrophe schutzlos ausgeliefert. Daher die klare Empfehlung: Nachrichten nicht übers Fernsehen und schon gar nicht am Abend!
Eigene Kraftquellen wieder entdecken Gefangen in Stress und Erschöpfung vergessen viele ihr eigenes Potential, Kraft und Glück zu „tanken“: in der Natur, durch körperliche Bewegung im Tanz oder im Sport, durch geistige Anregung: Lesen, Lernen, Reisen, oder durch emotionale Anregung: Theater, Konzert oder auch Zirkus! Aber auch durch körperliche Berührung! Manche haben ganz vergessen, dass da ein „Kuschelhormon“ ausgeschüttet wird, das Oxytozin, das wie eine körpereigene „Droge“ Geborgenheitsgefühl, Glück und Zufriedenheit auslöst. Es gibt da unterschiedliche Formen. Wenn ich einen Tip verraten soll: probieren sie mal, Rücken an Rücken zu schlafen! Auch hier gilt: Manche verhungern energetisch – obwohl der Tisch gedeckt ist!
Schmerz und Leid zulassen Zu einer guten Beziehung gehört es, dass man sich gegenseitig auch eigenen Schmerz und eigenes Leid anvertrauen kann – und dass der andere das mit Mitgefühl annehmen und ertragen kann, ohne von Mitleid überrollt zu werden. Alleine den Schmerz Aussprechen zu können, oder weinen zu können, in den Arm genommen zu werden, ist bereits sehr entlastend. Umso mehr wenn sich das Gegenüber dadurch nicht unnötig belastet fühlt. Sobald der Schmerz ausgedrückt ist, können auch wieder andere erfreulichere Gefühle „fliessen“. Die Erfahrung, sich gegenseitig durch Mitgefühl entlasten zu können, kann die Beziehung vertiefen.
Belastende Beziehungen meiden Manche Menschen allerdings missbrauchen Beziehungen. Entweder indem sie das Mitgefühl des Gegenübers benutzen, um sich zu entlasten, ohne ihrerseits Mitgefühl mit dem Leid des anderen zu zeigen. Oder um sich gegenseitig immer wieder im Leid, in der Opferrolle zu bestätigen. Gerade in traumatisierten Familien entsteht Bindung häufig durch das Leid. Wenn einer es wagt, sich von seinem Leid zu befreien und glücklich zu sein, dann fühlen die anderen sich manchmal von ihm verraten, und versuchen sogar, ihm sein Glück auszureden. Um nicht alleine mit ihrem Leid zu sein? Da kann Leid zur „Clubkarte“ werden, welche die Zugehörigkeit garantiert. Oder auch zu einer „Droge“. Daher erleben viele nach eine entlastenden Therapie-Sitzung die schmerzliche Notwendigkeit, sich aus solchen Beziehungen verabschieden zu müssen, weil sie sich da nicht mehr wohl fühlen. Und sie werden dadurch frei für neue, befriedigendere Beziehungen.
Ist das nicht eine Parallele zu einer Gemeinschaft von Saufkumpanen, die den anderen brauchen, um sich mit ihrer Sucht nicht alleine zu fühlen?
Der Verzicht auf derartige „Drogen“ mag zunächst schmerzlich sein. Zugleich befreit er für ein glücklicheres Leben, für artgerechte Beziehungen. So können auch diese Krisen einen Bewusstseinswandel auslösen, der uns zukunftsfähig macht.
Neuer Kommentar