Intelligenz wird definiert als geistige Leistungsfähigkeit, speziell im Problemlösen. Natürliche Intelligenz gehört zur Grundausstattung der – daher auch so bezeichneten – Gattung homo sapiens.
Ein Blick auf die Gegenwart mit ihren eskalierenden Krisen: Wirtschaft, Umwelt, Klima, Kriege macht deutlich, dass das Potential der natürlichen Intelligenz weitgehend nicht benutzt wird.
Manche hoffen daher auf die „künstliche Intelligenz“. Ich habe mich mit dem KI ChatGBT darüber unterhalten (https://youtu.be/U784izYNWV8), und erkannt: KI hat mit Intelligenz („Problemlösung“) nichts zu tun. KI kann in kürzester Zeit eine monströse Masse an Informationen zu Verfügung stellen, deren Verlässlichkeit aber nicht berücksichtigt wird. Das kann die Verwirrung verstärken.
Warum benutzen wir unsere natürliche Intelligenz so wenig? Was kann die Traumatherapie zu dieser Frage beitragen?
1. „Erlernte Denkverbote“ als Folge früher Beziehungs-Traumata Als Psychiater habe ich mit der Methode der Selbst-integrierenden Stressorauflösung (SITA) die Beobachtung gemacht, dass als Folge früher Beziehungstraumata die Betroffenen gelernt haben, sich mehr nach den Ansichten und Bedürfnissen Anderer zu orientieren – als nach den eigenen. Damit verbunden ist so etwas wie ein Verbot, seine eigene Intelligenz zu benutzen, um eigene Überzeugungen zu entwickeln und danach das eigenes Verhalten zu orientieren. Diese erlernten Denkverbote können in einer Aufstellung als Folge eines frühen Beziehungstraumas erkannt und aufgelöst werden. Wenn die Betroffenen erkennen, dass sie ihr aktuelles Problem nicht lösen können, solange sie sich nach ihrem verwirrten Gefühl orientieren, sind sie bereit, sich nach ihrem Verstand (Intelligenz) zu orientieren. Dann können sie schon heute aus ihrer Verwirrung aussteigen. Meist löst sich dann das „Problem“ von selbst. Auf meinem YT-Kanal gibt es dafür viele konkrete Beispiele.
Lassen sich diese Beobachtungen auch auf unser Verhalten in den aktuellen Krisen anwenden? Wenn sich eine Wahrnehmung oder eine Entscheidung verboten anfühlt, dann nimm dir 5 Minuten Zeit um dich zu fragen: was würde mein Verstand dazu sagen? Du hast das Recht, authentisch zu sein, das heisst, dich nach deinem Verstand zu orientieren – statt nach den Ansichten anderer! Vielleicht spürst du dann in deiner vertrauten Umgebung Widerstand. Um dir selber treu zu bleiben, musst du vielleicht zu manchen auf Distanz zu gehen. So wirst du anziehend für andere, die auch auf dem Weg sind zu einem authentischeren Leben.
2. Kollektive Wahrnehmungs- und Denk-Verbote Bei meiner Erforschung kollektiver Traumata bin ich unter anderem auf die Rolle der kirchlichen Doktrin gestossen. Aufgewachsen in einer christlichen Familie lernte ich die eigenen Denk- und Wahrnehmungs-Verbote zu erkennen, die mich daran gehindert hatten, die inneren Widersprüche dieser Doktrin zu durchschauen. Vertraue auch du auf deinen Verstand und wage es, zu erkennen:
Jesus ging zu den Verstossenen, den Armen und „Sündern“ und predigte ihnen: „Ihr seid Gottes Kinder!“ Jesus verkündete ihnen – und uns – eine „Erbwürde“. Er vertrieb die Händler aus dem Tempel, und stellte sich gegen die Priester, welche für die römische Besatzungsmacht von der verarmten Bevölkerung die Steuern eintrieb. Deswegen wurde er von der römischen Besatzungsmacht als Aufrührer gefangen genommen und am Kreuz zu Tode gefoltert. Für seine Jünger war das eine doppelte Enttäuschung. Hatte er ihnen nicht „Gottes Reich auf Erden“ versprochen? Und jetzt wurden sie selber verfolgt, als Anhänger eines Aufrührers. Es war der Schriftgelehrte Paulus, der durch eine geniale Geschichtsverfälschung eine Lösung fand, die der Kirche Christi nicht nur das Überleben ermöglichte. Als anerkannte römische Staatsreligion teilte sie über Jahrhunderte mit Kaisern und Königen die Macht.
Möglich wurde das durch eine verfälschende Umdeutung, die auch noch als „frohe Botschaft“ bezeichnet wurde um so den Verstand noch mehr zu verwirren.
Demnach war es Gottes Entscheidung, seinen einzigen Sohn zu opfern, um so die Menschen von ihrer durch Adam verursachten „Erbsünde“ zu befreien. Statt Erb-Würde also nun Erb-Sünde. Wir alle seien von Geburt an „verderbt“ und benötigten die Heilsmittel der Kirche. Diese Doktrin erwies sich als ein sehr wirksames „Rezept“, um Menschen abhängig zu machen, bereit, sich für die Interessen anderer mit Freuden zu Verfügung zu stellen. Über Jahrhunderte durften nur die „Herren“ – der Adel und der Klerus – Land besitzen, dass eigentlich von Mutter Erde uns allen zugedacht ist!? 90% unserer Vorfahren waren Leibeigene, die fremdes Land bewirtschaften mussten, aber selber keine Rechte hatten. Und die „Herren“ – Kaiser, Könige, der Adel – konnten ihre Macht legitimieren als „von Gottes Gnaden“. Diese „unheilige“ Allianz von Adel und Klerus gab es auch in anderen Regionen mit monotheistischen Religionen. Sie ist bei uns schon lange abgelöst worden durch eine andere Allianz der Mächtigen, in Wirtschaft und Politik. Diese Mächtigen missbrauchen ihre Intelligenz, um die Realität zu verdrehen, um auf diese Weise Menschen durch Angst und Schuldgefühle abhängig zu machen.
Fazit: Wenn wir es wagen, uns nach unsere natürlichen Intelligenz zu orientieren, dann erkennen wir eine (beabsichtigte?) Schwächung der natürlichen Intelligenz seit Jahrhunderten! Durch eine traditionelle Erziehung, die nicht Selbstwert stärkt, sondern Ängste und Schuldgefühle erweckt, um (vorauseilenden) Gehorsam und Leistungsbereitschaft zu erzielen. Diese Erkenntnis kann uns die Kraft geben, unsere natürlichen Intelligenz wieder – oder endlich zu vertrauen.
Mutter Erde Es gibt eine natürliche Religiosität. Unser Leben kommt zwar durch unsere Eltern zu uns. Aber eigentlich verdanken wir unsere Existenz „Mutter Erde“, die uns trägt und nährt, bedingungslos. In der Natur können wir daher das Glück erleben, dass wir uns als Teil eines grösseren schöpferischen Ganzen erkennen. Das gibt uns unsere Würde, unverlierbar. Umso mehr, wenn wir von Menschen enttäuscht wurden.
Die Fackel des Lebens Das Leben kommt von weit her zu uns. Auch wenn die einzelnen Generationen vor uns (die Fackelträger) mit Leid oder Schuld behaftet waren, das Licht der Fackel ist immer rein. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir getrost das Leid und die Schuld bei den früheren Generationen (Fackelträgern) belassen, und uns an dem reine Licht erfreuen. Und wir können dankbar achten, dass die früheren Generationen nicht „die Fackel haben fallen lassen“, bevor sie das Licht an die nächste Generation weiter gegeben haben.
Der allmächtige (männliche!) Schöpfergott – eine Fiktion der Machthaber? Wenn wir erkannt haben, wie Mächtige – Adel und Klerus – das Bild von einem männlichen Schöpfergott über Jahrtausende dazu missbraucht haben, um andere zu schwächen und ihren Macht-Missbrauch zu legitimieren, ist es dann nicht an der Zeit – trotz erlernter Verbote – dies Gottesbild grundsätzlich in Frage zu stellen? Um so mehr wenn wir erkennen, dass immer wieder fanatische Gottes-Krieger – unterschiedlicher Religionen – unsägliches Leid an Unschuldigen verüben. „Man mordet nie so leicht, wie wenn man „im Namen Gottes“ mordet.“
Der Mensch ist eine sehr verwirrte Spezies. Er behauptet, an einen allmächtigen Gott zu glauben, der die Erde erschaffen hat – und zerstört zugleich diese Erde, die ihn trägt und nährt. Autor unbekannt
3. Autoritätsgehorsam. Stanley Milgram und seine Experimente Der bekannte amerikanische Psychologe Stanley Milgram hat bereits vor 60 Jahren das Phänomen des Autoritätsgehorsams durch Experimente untersucht – veranlasst durch den damaligen Prozess gegen Eichmann. Der hatte sich zu seiner Verteidigung auf seine Pflicht zu Gehorsam berufen. Milgram war – wie die meisten seiner Berufskollegen – der Überzeugung, Autoritätsgehorsam sei ein deutsches Problem – verantwortlich u.a. für den Holocaust. Und er hatte den Mut, diese Überzeugung durch ein Experiment zu überprüfen. Er war entsetzt, als seine Experimente ihm bewiesen, dass dies Phänomen auch bei 2/3 seiner US-amerikanischen Probanden vorliegt. Obwohl seine Fachkollegen ihn und seine Experimente deswegen heftig kritisierten, vertiefte er seine Experimente – mit dem gleichen Ergebnis. Er selbst konnte sich das damals nicht erklären. Er hielt es aber für notwendig, seine Fachkollegen aufzufordern, dies Phänomen zu erforschen. Er hatte die Überzeugung gewonnen: „Damit hat die Natur uns Menschen etwas mitgegeben, das für die Zukunft der Menschheit existenziell gefährlich werden könnte!“ Heute, 60 Jahre später, erkennen wir, wie Recht Milgram mit seiner Warnung hatte. Milgram selbst zeigte durch sein Verhalten das Gegenteil eines Autoritätsgehorsams. Aber er wurde dafür nicht anerkannt, sondern im Gegenteil abgelehnt. Er verlor seine Anstellung bei der Stanford-University und starb früh an Herzinfarkt.
Meditation Milgram hatte • den Mut, eine allgemeine Überzeugung in Frage zustellen, indem er sie durch ein Experiment überprüfte. Das ist die Vorgehensweise der Wissenschaft, um zu Erkenntnissen zu kommen, die unabhängig sind von den Interessen der Wirtschaft oder der Politik. Und er hatte weiter • den Mut, diese wissenschaftliche Erkenntnis auch dann zu vertreten, als er dadurch Nachteile in Kauf nehmen musste. Er hat seine natürliche Intelligenz benutzt, trotz innerer und äusserer Verbote. Auch andere Wissenschaftler haben Erkenntnisse zu Klima, Umwelt und Wirtschaft zusammen getragen. Je mehr wir – und die Politiker, die wir wählen – uns an diesen Erkenntnissen orientieren, gegen inneren UND äusseren Widerstand, um so mehr wird es gelingen, die Krisen unserer Zeit zu bewältigen.
Autoritätsgehorsam ist erlernt Heute wissen wir besser als Milgram, was frühe Beziehungstraumata sind, wie verbreitet sie sind, und wie sich sich auf Selbstbild, Erleben und Verhalten der Betroffenen auswirken. Das bedeutet, unsere Wahrnehmungs- und Denkverbote, und deren Folge, ein vorauseilender Autoritätsgehorsam sind nicht angeboren, sondern erlernt, als Teil eines Überlebensprogramms! Diese Einsicht ermöglicht es dem Einzelnen, sein „Überlebens-Programm“ zu löschen, um Probleme und Konflikte zu lösen.
Kann nicht ein kollektiver Bewusstseinswandel auch etwas zur Lösung kollektiver Konflikte beitragen?
Kollektive Verwirrung Sebrenica und das Modell Blutrache Früher hatten Menschen noch kein Bewusstsein einer eigenen Identität, sie identifizierten sich mit ihrer Familie. Das war auch die Ursache für das Phänomen der Blutrache bei Familien-Fehden: Der älteste in der Familie eines Ermordeten hatte die Pflicht, den Mörder zu töten, um die Ehre der Familie wieder herzustellen. Diese kollektive Verwirrung trug dazu bei, dass Leid und Schuld die betroffenen Familien über Generationen belastete. Diese Identifikation mit dem Schicksal eines Vorfahren ist Ausdruck einer kollektiven Symbiose. Das wirkte über Generationen, bisweilen über 500 Jahre hinweg. Der Massenmord von Serben an Muslimen in Sebrenica wurde von den Serben verstanden als „Rache“ der Serben für ihre Unterwerfung durch osmanische Muslime im 16. Jahrhundert.
Israel und Palestina Ein aktuelles Beispiel ist der eskalierende Konflikt zwischen Israel und den Palestinensern. Das abscheuliche Morden der Hamas ist verbrecherisch und zu verurteilen. Gerade von uns Deutschen, da der Holocaust an den Juden durch Deutsche verursacht wurde. Aber systemisch gesehen gibt es keine kollektive Schuld. Es gibt nur individuelle Schuld. Und die muss gesühnt werden vom Täter. Das heisst, die monströsen Verbrechen des Holocaust belasten die Täter und ihre Helfer. Ich sehe immer wieder: wenn Täter – und deren Familien – eine Bestrafung verhindern, dann sühnen unbewusst Kinder und Enkel an Stelle der Täter. In der Aufstellung zeigt sich, dass sie - unbewusst – mit dem Täter, nicht selten aber auch mit dessen Opfer(n), identifiziert sind. Dieses „toxische Introjekt“ kann zu Leid, zu Depression und Scheitern führen. Bisweilen ist ein Nachkomme auch mit beiden, mit Täter und Opfer zugleich identifiziert. So als müsse es diesen mörderischen Konflikt in seinem Inneren austragen. Das überfordert oft die Integrationsfähigkeit der Betroffen und sie dekompensieren und werden psychotisch.
Die Lösung für eine so belasteten KlientIn besteht auch hier wieder in der Abgrenzung, gleichzeitig zu Täter UND zu Opfer. „Ich achte euer Schicksal, deine Schuld (zum Täter) und dein Leid (zum Opfer). Ich bin da ganz ohnmächtig. Es steht mir nicht zu, zu urteilen, zu rechtfertigen, oder für etwas zu sühnen.“ Wenn der Einzelne – und ein Kollektiv – in dieser Weise das Geschehen achten können – ohne den illusionären Anspruch, da etwas wieder gut machen zu können – dann wird Versöhnung möglich. Mit sich selbst – aber auch mit den Betroffenen der Gegenseite.
Angemessen angesichts dieser Verbrechen des Holocaust ist der Schmerz und die Trauer darüber, dass das überhaupt möglich war. Darüber, dass Menschen dazu fähig sind, anderen unschuldigen Menschen so unermessliches Unrecht und Leid an tuen können. Und die Entscheidung, die Wiederholung eines solchen Verbrechens zu verhindern.
Für uns Deutsche bedeutet das, den bedrohten Israelis beiseite zu stehen, und sie zu unterstützen, wenn ihre Integrität von aussen durch islamische Fanatiker – aber auch von innen durch jüdische Fundamentalisten bedroht werden. Das heisst, wir sind nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet zu einer konstruktive Kritik, auch dann, wenn israelischer Fundamentalismus die demokratischen Grundrechte in Israel – oder im besetzten Palestina missachtet. Um so mehr da wir aus vielen Beispielen wissen, wie schnell eine Teufelsspirale aus gegenseitigen Verletzungen und Hass eskalieren kann und den ganzen Globus in Brand setzen kann. Gerade erleben wir, wie beide Seiten durch – nicht überprüfbare – Schilderungen der Gräueltaten der anderen Seite versuchen, die Weltöffentlichkeit für ihre Sache zu gewinnen. Auch hier müssen wir es wagen, uns nach unserer natürlichen Intelligenz zu orientieren. Dabei könnten uns Schuldgefühle hindern, die zusätzlich noch von einer israelischen Regierung getriggert werden, mit dem Ziel, jede Kritik an der Politik Israels als „antisemitisch“ abzulehnen und zu unterbinden. Um so eine bedingungslose Unterstützung Israels zu erzwingen.
Natürliche Intelligenz erfordert es, die Existenzrechte beider Seiten zu beachten. Nur dann, wenn wir auf beide Seiten einwirken, um Entspannung und letztendlich Versöhnung zu ermöglichen, kann es eine friedliche Zukunft geben für alle. Diese Haltung in der aktuell aufgeheizten Situation zu vertreten, ist nicht leicht. Man riskiert, von den Fanatikern beider Seiten gleichzeitig attackiert zu werden.