Einführung Die eskalierenden Krisen der Gegenwart gefährden das Überleben der Spezies Mensch. Sie zwingen uns dazu, die tieferen Ursachen zu erkennen, um diese Selbstzerstörung vielleicht noch zu stoppen.
Hier wird die These vertreten: die aktuellen Krisen haben ihre Ursache in einer kollektiven Tendenz zum Autoritätsgehorsam, als Folge eines seit Jahrtausenden bestehenden Machtmissbrauchs. Dieser Machtmissbrauch war und ist auch heute noch so weit verbreitet, dass er vielen als etwas „Normales“ vorkommt, so als gäbe es keine Macht ohne Missbrauch der Macht.
Jahrtausende lang waren es die „Herren“ – der Adel und der Klerus, die für sich das alleinige Recht beanspruchten, Land zu besitzen. Den „Leibeigenen“ wurden fast alle Rechte abgesprochen. Ihre Aufgabe war es, das Land der Herren zu bewirtschaften. Wieso nahmen sie das einfach hin? Die Doktrin der Kirche bewirkte, dass sie „in Freuden dienten“, indem sie ihnen einredete, sie seien schuldig, von Geburt an („Erbsünde“) und bedürften der Erlösung. Deshalb habe der allmächtige Gott (wieder ein „weisser alter Mann!) seinen einzigen Sohn am Kreuz geopfert, um ihre Schuld zu tilgen – wie ein Opferlamm. Um diese Erlösung zu erlangen, müssten sie ihm ähnlich werden: sich aufopfern für andere. Diese Doktrin, begründet von Paulus, berief sich auf Jesus. Aber sie stellte seine Botschaft auf den Kopf. Statt „Erbwürde“ (Gott liebt euch!) nun die „Erbsünde“. Diese Verfälschung erwies sich als ungeheuer wirksam, um Menschen ihrem gesunden Selbstwert – und ihrem gesunden Menschenverstand! – zu entfremden und zu verwirren, sodass sie bereit waren, „in Freuden zu dienen - und zu leiden“! 90% unserer Vorfahren waren bis vor 300 Jahren Leibeigene! Diese „unheilige Allianz“ zwischen Adel und Klerus hat inzwischen an Macht eingebüsst.
Heute sind es die Wirtschafts- und Finanzkonzerne, die gezielte Falschmeldungen verbreiten, z.T. als „Wissenschaftliche Erkenntnisse“ verbrämt, – und abweichende, wissenschaftliche Erkenntnisse und deren Vertreter zu diffamieren – um die Öffentlichkeit und die Politiker gezielt in ihrem Interesse zu manipulieren.
Die drohende Klimakrise und die notwendigen Massnahmen, um sie zu verhindern, waren seit Jahrzehnten bekannt. Eine Kanzlerin, selber Naturwisssenschaftlerin, die sich als „Klimakanzlerin“ feiern liess, und ihre Minister, haben ihre Macht dazu benutzt (missbraucht!), um wirksame Gegenmassnahmen zu verhindern, weil ihnen die kurzfristigen Interessen der heimischen Automobilindustrie wichtiger waren. Sie haben dabei gegen ihren Amtseid verstossen. Werden sie dafür zur Rechenschaft gezogen? Sie leugnen weiter ihre Verantwortung, verhindern immer noch einen Bewusstseinswandel, bzw. beziehen ungeniert ihre Ruhepensionen.
Statt dessen werden die Teilnehmer der „Letzten Generation“ bestraft und vorbeugend (!) ins Gefängnis gesteckt. Weil die eskalierende Klimakrise ihre Zukunft gefährdet, wollen sie durch ihre Klebe-aktionen erreichen, dass ein Tempolimit eingeführt und das 9-€-Ticket fortgesetzt wird.
Und die Mehrheit schweigt – immer noch. Ist sie auf Autoritätsgehorsam programmiert? Ist sie immer noch in einer Leibeigenen-Mentalität gefangen?
Milgram und seine Experimente
Der US-amerikanische Psychologe Stanley Milgram führte in den 1960ern seine bekannten Experimente zum Autoritätsgehorsam durch. Im Eichmann-Prozess stellten die Holocaust-Täter sich als brave Familienväter vor, die nur gehorsam die Befehle von oben befolgten. Hannah Arendt, die diesen Prozess beobachtete, prägte damals den Begriff von der „Banalität des Bösen“.
Milgram nahm das Argument des Autoritätsgehorsams ernst und wischte es nicht als billige Ausrede vom Tisch. Er wagte es, durch ein wissenschaftliches Experiment die Existenz eines Autoritätsgehorsams zu überprüfen und seine Verbreitung zu untersuchen. Zunächst mit Probanden aus USA – einem Land mit langer demokratischer Tradition – um Vergleichswerte zu haben für eine spätere Untersuchung in Deutschland, dem diese demokratische Tradition offensichtlich gefehlt hat. Ein Versuchsleiter erklärte den Probanden, sie würden an einem wissenschaftlichen Forschungsprogramm teilnehmen, welches die Wirksamkeit von elektrischen Stromstössen auf den Lernprozess der „Schüler“ untersucht. Ihre Aufgabe sei es, falsche Antworten der fiktiven „Schüler“ (in Wirklichkeit Schauspieler) durch (ebenfalls fiktive) Stromstösse zu „bestrafen“, und zwar durch an Stärke zunehmende Stromstösse. Dabei sollten sie sich nicht durch die (realistisch wirkenden, aber vorgetäuschten) Schreie der „Schüler“ beeindrucken lassen. Das Ergebnis aber war schockierend, für Stanley selber, aber auch für seine Kollegen: 66% der Probanden setzten die Stromstösse bis zur maximalen (möglicherweise gesundheitsgefährdenden!) Stärke fort, trotz der realistisch anmutenden Schmerz-Schreie der Schüler! Und das, obwohl sie psychosomatische Stressreaktionen zeigten (Schweissausbrüche, Unwohlsein). Hinterher beteuerten viele, dass sie so etwas niemals freiwillig machen würden. Milgram liess sich durch die Anfeindungen der Kollegen – „das Experiment sei unethisch, da es die Probanden traumatisieren würde“ – nicht beeindrucken – und bewies damit Resilienz, das heisst seinen „Ungehorsam“ gegenüber Fachautoritäten! Er vertiefte noch die Experimente, um dies unerwartete Ergebnis besser zu verstehen und um mögliche Zweifel an dem Ergebnis auszuräumen. Allerdings hielt er selber es nicht mehr für nötig, diese Experiment mit deutschen Probanden durchzuführen. – Das taten andere, mit dem gleichen Ergebnis! – Nach 10 Jahren veröffentlichte er sorgfältig seine Befunde. Er war so ehrlich, einzugestehen, dass er sich die Ursache des Autoritätsgehorsams nicht erklären konnte. Sein resigniertes Resumee: „Damit hat uns die Natur etwas mitgegeben, das für das Überleben der Menschheit sehr gefährlich werden könnte.“ Und er empfahl seinen Kollegen dringend, die Ursachen zu erforschen. Ich fühle mich Milgram sehr verbunden. Er ist 1933 – 8 Jahre vor mir – geboren und starb schon 1984 – mit erst 51 Jahren an Herzinfarkt. Mich bewegt sein Mut und seine Klarheit – umso mehr, da ich glaube eine Antwort auf seine Frage nach der Ursache des Autoritätsgehorsams gefunden zu haben.
Ist Autoritätsgehorsam naturgegeben – oder erlernt?
Die entscheidende Frage lautet: Ist Autoritätsgehorsam angeboren –wie Milgram befürchtete – und damit unveränderbar? Ich behandele diese Frage in drei Schritten.
• Ist Macht zwangsläufig mit Machtmissbrauch verbunden? Ist Macht und Machtgefälle naturgegeben, sind sie unvermeidbar?
• Wenn nicht: Warum ist es uns bisher nicht gelungen, diesen Missbrauch als solchen zu zu ächten und dessen Folgen zu verhindern? • Gibt es eine Lösung?
Die Spezies Mensch mit ihrer Intelligenz hat durch Wissenschaft und Technik die Welt revolutioniert. Warum ist sie bisher unfähig die Ursachen dieses Problems zu erkennen um eine Lösung zu finden? Wenden wir uns der Reihe nach diesen Fragen zu.
I. Ist Macht zwangsläufig mit Missbrauch verbunden?
Auch in der Natur finden wir Macht und Macht-Gefälle.
I.1 Machtgefälle zwischen Spezies Füchse ernähren sich von Mäusen – nicht umgekehrt! Ein eindeutiges Machtgefälle! Aber wenn die Füchse mehr Fuchswelpen werfen, und deshalb mehr Mäuse fangen, nimmt die Zahl der Mäuse ab. Die Fuchswelpen verhungern. So können die Mäuse sich wieder vermehren. Offensichtlich wirkt da ein selbstregulierendes Prinzip! Dies ist nur ein Beispiel für Selbstregulation, das wir innerhalb verschiedener Nahrungsketten finden. Hier ist das Machtgefälle ein Aspekt der Selbstregulation. Und diese Selbstregulation dient dem Überleben aller Spezies, nicht nur dem Überleben einer Spezies. Dies Prinzip hat Leben auf dieser Erde über Millionen von Jahren möglich gemacht – trotz Katastrophen wie Asteroideneinschlägen und Vulkanausbrüchen. Hier wird jedoch schon deutlich: Wenn der Mensch seine Intelligenz einseitig für eigene Ziele so einsetzt, dass er dadurch die Artenvielfalt dezimiert, dann gefährdet er dadurch das eigene Überleben.
I.2 Machtgefälle innerhalb einer Spezies Hier finden wir zwei Varianten: a weibliche Variante: Eine Herde orientiert sich wie von selbst an einer Leitstute, die auf Grund ihrer Erfahrung weiss, wo es Nahrung gibt, und wie sie möglichen Gefahren begegnen kann.
b männliche Variante: Der Leithengst, der die Herde schützt und Rivalen vertreibt, sodass nur er die Stuten seiner Herde decken kann. So wird das Erbgut des stärkeren weitergegeben. Beide Phänomene können als Elemente einer Selbstregulation verstanden werden. Die Antwort auf Frage I: Macht und Machtgefälle ist bei Tieren Ausdruck einer natürlichen Autorität. Sie wird nicht missbraucht für persönliche Ziele. Macht dient daher immer dem langfristigen Überleben der Spezies.
II Warum gelingt es uns nicht, diesen Missbrauch als solchen zu zu ächten und dessen Folgen zu verhindern?
II.1. Der Mensch und die Macht Auch bei den ersten Menschen, die in Gruppen als Nomaden, als Jäger und Sammler lebten, gab es diese natürliche Autorität, ähnlich wie bei den Tieren. Der Erfahrenste in einer Gruppe führte als Häuptling die Gruppe.
II.2 Macht und Besitz Das änderte sich mit der Entwicklung von Sesshaftigkeit und der Möglichkeit, mehr Besitz zu erwerben, als für den Lebensunterhalt erforderlich war. Durch unterschiedlichen Besitz entstand ein Machtgefälle. Persönliche Macht und Einfluss war nicht mehr alleine durch die „natürliche Autorität“ bedingt, sondern durch das Ausmass an persönlichem Besitz. Wahrscheinlich waren es zunächst die Menschen mit einer „natürlichen Autorität“, die grösseren Besitz erwarben. Und es ist denkbar, dass sie diese zusätzliche Macht im Interesse der eigenen Gruppe einsetzten. Wie es scheint lebten die meisten indigenen Völker nach diesem Modus. Sie verbrauchten nicht mehr, als die Natur ihnen bot. Sie lebten im Einklang mit der Natur Europa hat diese Länder als „unterentwickelt“ bezeichnet, und leitete aus dieser Bewertung so etwas wie ein Recht ab, diesen Ländern die „Zivilisation“ zu bringen. Rückblickend erweist sich diese Argumentaton als schamlose Verschleierung Kolonialistischer Unterwerfung und Ausbeutung.
Durch Besitz erworbene Macht konnte aber auch missbraucht werden für persönliche Ziele: Vergrösserung und Erhalt der Macht. Die Völkerwanderungen In mehreren Wellen wanderten Menschengruppen aus zentralasien und nordeuropa in fremde Gebiete, Und die spätere Geschichte zeigt, dass sie fast immer von den Mächtigen, den Herren eingesetzt wurde, um ihre Macht zu vergrössern und zu stabilisieren, auf Kosten anderer. Sie setzten ihre Macht dazu ein, um andere zu benutzen, um andere für ihre eigenen privaten Interessen einzusetzen.
II.3 Selbst-Domestikation Der Mensch ist die einzige Spezies, die – dank ihrer Intelligenz – Angehörige der eigenen Spezies wie Haustiere besitzt und benutzt: Sklaven, Leibeigene. Um den natürlichen Widerstand der Betroffenen zu brechen setzten die Mächtigen unterschiedliche Mittel ein: körperliche und seelische Gewalt, aber auch subtilere Formen psychischer Manipulation: indem sie den Betroffenen das Bewusstsein einer eigenen Würde nahm, bei ihnen Ängste oder Schuldgefühle weckte. In den gemässigten Klimazonen mit ihrem erhöhten Überlebensrisiko (Kälte, Hunger, Armut) nutzten die Mächtigen auch diese Not der Betroffenen aus, um ihre Macht zu vergrössern, indem sie sich gefügig machten. Das war einerseits die Voraussetzung für die Entwicklung von Kultur, Wissenschaft und Technik. (Zivilisation). Andrerseits wurde dadurch eine hierarchisch-patriarchale Gesellschaftsform stabilisiert, die uns noch heute prägt. So entstand eine Macht-Überlegenheit – auch militärisch – gegenüber den Kulturen wärmerer Klimazonen, deren Zusammenleben noch mehr von einer natürlichen Autorität und einer Verantwortung für die eigenen Ressourcen (Natur und Umwelt) bestimmt war. Dieses patriarchalische Prinzip wurde so zum Motor für die Kolonialisierung: Kulturen, die durch ihre Tradition mit ihrer Umwelt in Einklang lebten, wurden ihrer Tradition entfremdet, ihrer Güter beraubt, und ausgenützt, unter dem zynischen Vorwand, ihnen den wahren Glauben, die Zivilisation oder Demokratie zu vermitteln.
II.4 Besitz und Recht Die Mächtigen nutzen ihre Macht, um die Gesetze in ihrem Sinne zu bestimmen. Privater Besitz ist durch Gesetze geschützt. Privare (lateinisch) heisst rauben – privatus bedeutet also geraubt! Auch wenn es um lebenswichtige Ressourcen geht, die knapp sind, wie Grund und Boden (Wohnungen, Landwirtschaft) Nahrungsmittel oder Wasser – die Besitzenden setze ihre Macht dazu ein, sie zu erwerben um damit zu handeln und den eigenen Besitz zu vermehren. So werden diese knappen Ressourcen immer mehr zu Objekten der Spekulation. Nach 1945 war diese Macht noch gesetzlich reguliert (z.B. „soziale Marktwirtschaft“ unter Ludwig Erhardt). Durch den Wegfall der Regulierung (Neoliberalismus) geriet das System aus den Fugen. Heute dient Macht nicht mehr dem Überleben der Gruppe, der Spezies, sondern den persönlichen Interessen der Besitzenden. So konnte es zu einer Spaltung der Gesellschaft kommen zwischen einer kleinen Zahl der „Superreichen“1) und der Mehrheit der Besitzlosen, die gelernt hatten, sich in „vorauseilendem Gehorsam“ zu unterwerfen und ausnutzen zu lassen.
II.5 Aufklärung, Revolutionen, Demokratie Es gab schon immer Menschen, die diesen Missbrauch der Macht als Unrecht erlebten und versuchten, sich dagegen zu wehren. Die Aufklärung mit der Formulierung der Menschenrechte ermöglichte die Entwicklung von demokratischen Regierungen. Revolutionäre Bewegungen (Frankreich, Russland) versuchten gewaltsam die Machtverhältnisse zu ändern. Aber nicht selten missbrauchte die Revolutionäre, sobald sie an die Macht gekommen waren, ihre Macht noch schlimmer als die von ihnen vertriebenen und ermordeten früheren Herren. Aber auch eine demokratische Verfassung mit den im Grundgesetz verankerten Menschenrechten, konnte diese Entwicklung nicht verhindern. Die Mächtigen hatten die Mittel und sie fanden Wege, um Demokratie unwirksam zu machen: Lobbyismus, Parteispenden, Verbreitung von Falschmeldungen und In Frage-stellen wissenschaftlich nachgewiesener Fakten.
II.6 Bewusstseinswandel In den letzten Jahren wird das Ausmass und die Verbreitung vom Machtmissbrauch immer deutlicher. Betroffene wagen es, sich zu wehren, die Schuldigen zu benennen, auch wenn sie dafür zunächst geächtet, diskriminiert und verfolgt werden. Zwar riskieren „Whisteblower“, die Machtmissbrauch in Konzernen und Behörden öffentlich machen – ihr Leben und ihre Freiheit. Die Beispiele Edward Snowden und Julian Assenge und viele andere zeigen, dass auch in demokratisch regierten Ländern wie der USA Machtmissbrauch auch heute noch staatlich geschützt wird, und dass Whistleblower verfolgt und u.U. mit Todesstrafe bedroht werden. Das macht die Verlogenheit und Scheinheiligkeit dieser Regierungen überdeutlich.
Andrerseits werden die Skandale von Machtmissbrauch in der Kirche, aber auch in Schulen, Hochschulen, Sportvereinen an Musik- und Balettschulen immer mehr publik. Das zeigt, dass sich im öffentlichen Bewusstsein eine Veränderung vollzieht. Langsam aber hoffentlich unumkehrbar.
III. Gibt es eine Lösung?
III.1 Beitrag der Trauma-Psychologie Die ersten Beziehungserfahrungen eines Kindes in seiner Familie sind prägend für sein Selbstbild, für sein Erleben und für sein späteres Verhalten. Familien werden in unserer Gesellschaft zwar traditionell hoch geschätzt. In Wirklichkeit sind jedoch die Eltern mit ihrer beruflichen Überforderung und ihre von ihnen vernachlässigten – oder verwöhnten – Kinder mit ihren Problemen sehr alleine gelassen. Das zeigt sich aktuell u.a. am Mangel von Kita-Plätzen. Als Arzt habe ich mich in den letzten Jahren intensiv mit frühen Beziehungstraumen beschäftigt. Dabei diente mir die Aufstellung mit Symbolen als wertvolles Instrument, um diese Zusammenhänge sichtbar zu machen, zu verstehen und schliesslich um wirksame Lösungsstrategien zu entwickeln. Dabei wurde mir deutlich, wie extrem das Machtgefälle zwischen Eltern und Kind ist. Und wie verbreitet dementsprechend ein Machtmissbrauch in Familien ist – zumal die Eltern selber oft durch eigene Trauma-Erfahrungen in ihrer eigenen Lebensbewältigung eingeschränkt sind. Und daher – überfordert durch die Bedürfnisse des Kindes – diesem gegenüber oft abweisend, gereizt oder abwertend reagieren. Ein Kind, das so früh Gewaltmissbrauch, Ablehnung und Abwertung durch die eigenen Eltern erlebt, kann kaum ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln. Immerhin hat es überlebt. Doch um zu überleben, ist es gezwungen sich zu verbiegen. Um zu überleben, entwickelt es mit Intelligenz und Kreativität typische Überlebensstrategien, die unbewusst als „Überlebensprogramm“ gespeichert, sein späteres Leben bestimmen. In der Aufstellung kann dies Programm überprüft und damit einer Klient*in bewusst gemacht werden. Typisch ist eine Kombination von Selbst-Verleugnung und magisch grandiosen Fantasien, als Kompensation, da sie die Illusion geben, wertvoll zu sein – trotz ständiger Demütigungen. Selbstverleugnung: die Tendenz, eigene Gefühle, Bedürfnisse und Überzeugungen zu unterdrücken, um sich • vor Verletzungen zu schützen, bzw. • die überlasteten Eltern zu schonen, und • um sich besser an die Bedürfnisse und Überzeugungen des Anderen anpassen zu können, im Sinne eines „vorauseilenden Autoritätsgehorsams“. Magisch-Grandiose Tendenzen: Die Illusion, durch diese Strategien der Selbstverleugnung dem anderen (heimlich?) überlegen zu sein, ja sogar für ihn wertvoll zu sein, als sei man verantwortlich für dessen Probleme. Um die eigenen Gefühle (Schmerz, Trauer, Wut) nicht zu spüren gehen die Betroffenen gerne auf eine „höhere Ebene“: auf eine theoretisch-rationale Ebene, auf eine spirituelle Ebene oder in Fantasiewelten. Sie neigen zu Perfektionismus, Kontrolle, und Selbst-Überforderung, so als seien sie für die Probleme der anderen zuständig. Das gibt den Betroffenen ein illusionäres Selbstwertgefühl, das wir als „extrinsisch“ bezeichnen, da es bedingt ist durch Anerkennung von Aussen. Zugleich führt diese Selbst-Überforderung immer wieder zu der Erfahrung, es nicht zu schaffen und verstärkt so das bereits ausgeprägte Selbstwertproblem. Das erklärt das brüchige Selbstwertgefühl und die innere Zerrissenheit, den inneren Stress der Betroffenen. So wird das Überlebensprogramm der Kindheit zum lebenslangen Stressprogramm, zum inneren „Stressor“. Fixiert auf einen „extrinsischen“ Selbstwert – Anerkennung von anderen durch eigene Leistung – definieren sie sich ihr Leben lang durch Leistung, orientieren sich nach äusseren Autoritäten (Autoritätsgehorsam!). Sie haben gelernt, eigene Bedürfnisse und Gefühle, ihren eigenen Wesenskern zu unterdrücken, so als sei er auch heute noch unerwünscht oder falsch.
Dies „Programm“ – unbewusst und daher unkorrigierbar gespeichert – bestimmt ein Leben lang das Selbstbild, das Erleben und das Verhalten. Auf diese Weise hält es die Betroffenen in der „Traumazone“ ihrer Kindheit fest und blockiert ihre Entwicklung zum Erwachsenwerden, verhindert Selbst-Bestimmung und zukunftsorientierter Lebensgestaltung als Erwachsene.
III.2 Selbst-Integration durch Stressor-Auflösung Dies hier geschilderte Verständnis von Beziehungstrauma als Ausdruck von Machtmissbrauch war möglich durch die Aufstellung mit Symbolen. So wird der Klient*in das unbewusst im Gedächtnis gespeicherte Programm sichtbar und bewusst. Wenn sie erkennt, dass sie auch heute noch bestimmt wird durch dies alte Überlebensprogramm, kann sie es noch in der gleichen Sitzung gezielt löschen, und sich neu orientieren: an ihrem eigenen Wesenskern: an ihrem wahren Selbst. Das Löschen erfordert, • das Erkennen und Unterscheiden der gespeicherten Elemente des Programms: eigenes Trauma, die Bezugspersonen, deren Traumata und Symbole für die eigenen Überlebensstrategien. • Die Entscheidung, alle Elemente, die heute nicht mehr relevant sind und unverträglich sind mit dem eigenen Selbst , zu identifizieren und entschieden, aber mit Respekt aus dem eigenen „Identitätsraum“ zu entfernen. Dann wird die eigene Mitte wieder frei für das eigene wahre Selbst. Nicht mehr das Trauma und das daraus generierte Überlebensprogramm (Stressprogramm) bestimmen ihr Selbstbild, ihr Erleben, ihr Verhalten, sondern ihre neu gewonnene Orientierung am eigenen Wesenskern. Das ist ist ein Prozess der Selbst-Ermächtigung (Self-Empowerment) zugleich emotional berührend und befreiend. Die neu gewonnene Selbst-Verbindung verändert Selbstbild, Erleben und Verhalten der Betroffenen. Die Befreiung von anerzogenen Verboten (betreffend Wahrnehmung und Abgrenzung) ermöglichen ein intrinsisches Selbstwertgefühl – unabhängig von Leistung oder von der Anerkennung durch andere. Die gesunde Kraft kann wieder gerichtet eingesetzt werden, für sich und für die eigenen Ziele – statt destruktiv gegen sich und gegen andere. Selbst-Fürsorge wird möglich, statt dem inneren Zwang, sich für andere Aufzuopfern, um sich nützlich und wertvoll zu fühlen. Das Bewusstsein von Selbstwert öffnet das eigene Herz – um bedingungslose (nicht-konditionierende) Liebe wieder annehmen und selber verschenken zu können. Diese beglückenden Erfahrungen geben dem Leben wieder Sinn.
Der Lösungsprozess ist so klar strukturiert, dass Betroffene die befreienden Lösungsschritte in Eigenregie durchführen können, indem sie passende Trauma-Aufstellungen auf meinem Kanal mit eigenen Klötzchen nachstellen.
III.3 Kollektive Auswirkungen Die neue Erfahrung von Selbstwert befreit vom Autoritätsgehorsam. Sie befreit von der bisherigen Abhängigkeit von Macht, Geld, Konsum, Besitz. Diese waren nur Surrogate, untauglicher Ersatz für das Glück der Selbstverbindung. Auch die Steigerung der „Dosis“ war wirkungslos. Diese oft als „Gier“ kritisierte Abhängigkeit von Besitz und Konsum wird jetzt verständlich. Sie war allerdings der Motor für ein ungesundes Wachstum unseres Wirtschafts-Systems mit einer zunehmende Ausbeutung bei uns selbst – und in den „Entwicklungsländern“.
Immer mehr Menschen spüren, dass nicht Erfolg und Besitz glücklich macht, sondern das Bewusstsein, mit sich selber im Einklang zu sein., und die Begegnung mit anderen Menschen, die man anziehend findet, weil auch sie authentisch sind. Wenn Beziehungen in dieser Weise bestimmt werden durch gegenseitige Anziehung und Wertschätzung – statt durch Benutzen und Benutzt-werden – dann kann die wahre Liebe fliessen. Das ist artgerechtes Leben. Und je mehr Menschen erkennen, • dass unser Wirtschaftssystem mit seinem versteckten Machtmissbrauch zu einer kollektiven Selbst-Entfremdung geführt hat, • dass es mit seinen verlockenden Angeboten an Konsum und Besitz („Wohlstand“) dies Glück der Selbstverbindung verhindert,
desto entschiedener können sie die Tausend Variationen von Machtmissbrauch erkennen und als solche benennen und ächten als Ausdruck eines Menschen verachtenden Schmarotzertums. Desto leichter fällt es ihnen, die bevorstehende unvermeidliche Minderung des Wohlstands nicht als Verlust wahrzunehmen.
Sondern als Chance zur Befreiung für eine artgerechte Zukunft.
Diese Ausführungen beantworten auch die Frage nach der Ursache des Autoritätsgehorsams – die Stanley Milgram sich stellte, aber selber nicht beantworten konnte: durch das setting der Experiment-Situation wurden bei den Probanden alte belastende Erfahrungen von Machtmissbrauch „getriggert“, welche die damaligen Überlebens-Strategien aktivierten: psychosomatischen Stress-Reaktionen und einen vorauseilenden Autoritätsgehorsam. Wenn dies Verhaltensmuster erlernt ist, dann kann es auch verändert werden. Aber nur von den Betroffenen selber. Die Mächtigen werden weiter versuchen, ihre Macht zu missbrauchen. Solange wir das zulassen!