Anliegen Eva, eine 55-jährige Frau, verheiratet, drei Kinder, ist belastet durch ihr Herkunftssystem. Sie ist unehelich geboren, fühlte sich von der Mutter nicht geliebt. Erst mit 13 Jahren hat sie erfahren, dass ihr Stiefvater, der sehr freundlich zu ihr war, nicht ihr Vater ist. Ein angeblicher Vater entpuppte sich ebenfalls als nicht der wahre. Sie kennt ihren Vater nicht. Sie hat immer wieder Einbrüche und vermutet da einen Zusammenhang und denkt, das könne das nur lösen, wenn sie ihren Vater findet.
Der Leiter schlägt ihr vor, ihre Beziehung zu dem unbekannten Vater zu klären.
Aufstellungsbild Sie stellt den Repräsentanten für den Vater sich in 3 Meter Entfernung gegenüber, die beiden Selbstanteile entfernt in die Ecken des Raums mit abgewandtem Gesicht!
Offenbar wirkt der abwesende Vater wie ein Trauma, insofern, als er sie von ihren Selbstanteilen trennt! Der Leiter bittet den Repräsentanten des Vaters, sich vorübergehend zu setzen und begleitet Eva bei ihrer Annäherung an ihre Selbstanteile. Da sie sehr unsicher und verloren wirkt, stellt er ihr eine Repräsentantin für „Mutter Erde“ in den Rücken, mit den Worten: „Manchmal sind die Eltern sehr verletzend oder gar nicht präsent, dann findet ein Kind, um zu überleben, woanders seinen Halt, z.B. in der Natur, bei „Mutter Erde“. Sie ist für alle ihre Geschöpfe da, trägt und nährt sie bedingungslos.“ Da fühlt sich Eva gleich viel besser, und es gelingt ihr sich mit der erwachsenen Eva zu verbinden, die sich „frei und unbeschwert fühlt und sich abgrenzen kann“. Verbunden mit der erwachsenen Seite kann sie sich jetzt anders dem kindlichen Selbst zu wenden, das bedürftig ist, das traurig, wütend sein darf, aber auch Spass haben möchte! Sie kann es annehmen und trösten.
Beziehungsklärung zum Vater Jetzt kommt der Vater in den Raum. Der Leiter schlägt ihr den Satz zum Vater vor: „warum warst du nicht da, ich hätte dich so gebraucht!“ Sie beginnt zu schluchzen, kann den Satz nicht sagen. Offenbar gerät sie wieder ganz in die Rolle des verlassenen Kindes.Gefahr der erneuten Traumatisierung! Der Leiter schlägt ihr folgenden Satz vor: „Du bist mein Vater und ich bin vollständig auch ohne Dich! Mein Leben kommt durch dich, aber ich brauche dich nicht, um erwachsen und vollständig zu sein!“ Das kann sie sagen und sie richtet sich dabei auf.
Identifizierung …. Sie prüft, wie es ihr auf Vaters Platz geht: dort geht es ihr gut da fühlt sie sich besser! Sie selbst ist darüber sehr erstaunt, damit hatte sie nicht gerechnet! Es scheint, dass sie, angesichts ihrer realen Verlassenheit, den Vater idealisiert hat, dass er für sie so etwas wie ein imaginierter Fluchtpunkt war. Das hat ihr vielleicht das Überleben ermöglicht. Aber das hinderte sie auch daran sich gegenüber diesem abwesenden idealisierten Vater abzugrenzen! Das beeinträchtigte offenbar generell ihre Fähigkeit der Abgrenzung, hinderte sie daran, ihren eigenen Raum in Besitz zu nehmen?
...und Lösung Es gelingt ihr, dort auszusteigen. Sie gibt dem Vater alles zurück, was in seinen Raum gehört, kann sich ihre eigenen Energie wieder zurückholen, die sie unbewußt auf den fehlenden Vater gerichtet hatte. Er gibt Eva ihr Schicksal, den Vater nie kennen gelernt zu haben, symbolisch zurück, als Herausforderung, die zu ihrem Leben gehört - an der sie sichtlich bereits gewachsen ist.
Abgrenzung Um mit sich selber verbunden bleiben zu können, grenzt Eva jetzt ihren Raum gegenüber dem Vater ab, unterstützt von ihrem Krafttier, dem Löwen. Umgekehrt erlebt sie, dass der Vater sich ihr gegenüber abgrenzt. „Das ist Meins, das geht dich nichts an, halt dich da heraus!“ Und „Es ist schon lange vorbei, es gibt kein zurück!“
Abschied Nachdem diese unbewußte Verschmelzung gelöst ist – die sie daran gehindert hat, das Thema Vater loszulassen – kann sie sich jetzt verabschieden, ohne sich dabei „amputiert“ zu fühlen! Sie umarmt ihn noch einmal lange und blickt ihm dann nach, wie er seinen Weg geht, „dahin, wo es kein Leid und keine Schuld gibt, nur Liebe und Licht!“ Das übernommene Fremde lässt sie zurück. Verbunden mit ihren Selbstanteilen geht sie „sieben Schritte“ in einen neuen Lebensabschnitt.
Kommentar Die Beispiel zeigt eindrücklich, dass ein Klient auch mit einem unbekannten Vater symbiotisch identifiziert sein kann – vielleicht indem er ihn idealisiert hat, im Sinne einer imaginierten Bezugsperson. Wie wir wissen, ist es für die Ablösung, den Übergang vom „Symbiosemodus“ in den „Autonomiemodus“ erforderlich, sich gegenüber den Bezugspersonen abzugrenzen. Das erfordert realen Kontakt und Auseinandersetzung – schmerzlich aber gesund. Das kann schon schwierig sein, wenn Vater und Mutter bekannt und – mehr oder weniger - anwesend sind. Geradezu unmöglich aber scheint die Abgrenzung gegenüber einem unbekannten Vater, gegenüber einer imaginierten Bezugsperson zu sein! Ganz ähnlich wie in den Situationen, wo man eine wichtige Bezugsperson vor der Pubertät verliert, durch Trennung oder Tod. Die Folge: die Betroffenen bleiben im „Symbiosemodus stecken“. Ohne die Erfahrung der Abgrenzung, ohne eigenen Raum sind sie in Gefahr, sich im Raum eines Partners – oder einer anderen Person - einzurichten, mit allen Aspekten einer Symbiose.
Auch hier hilft das „Paradigma“ des eigenen Raums, die bizarren Dynamiken besser zu verstehen und – vor allem – einen Lösungsweg zu öffnen, durch den die nicht gelungene Ablösung nachgeholt werden kann, sodass auch der Strukturmangel des fehlenden eigenen Raumes „geheilt“ werden kann, im Sinne einer Nachreifung.