Anliegen Ein Paar, Andrea und Hans kommt zu einem Aufstellungsseminar. Der jüngere, 14-jährige Sohn Peter ist wegen einer Psychose in stationärer Behandlung. Die Medikamente helfen nicht.
Vorgeschichte Beide Eltern sind belastet. Der Vater, Hans, hatte eine schwere Kindheit, wuchs ungeliebt bei Fremden auf. Als Andrea 25 Jahre alt war, verliebte sich ihr Vater in eine andere Frau, und verliess die Familie - die bis dahin so harmonisch schien. Andrea's Mutter konnte das nicht verkraften. Ein halbes Jahr später tötete sie den Vater, und kam für 5 Jahre ins Gefängnis. Andrea hatte das Gefühl, dass nun auch ihre Mutter gestorben sei, dass sie beide Eltern verloren habe und zog mit ihrem Mann in eine weit entfernte Stadt, um Abstand zu bekommen. Sie bekam ihr erstes Kind, dass gesund ist. Nach Haftentlassung der Mutter zog sie jedoch zurück in die Heimatstadt. Sie glaubte, sie nicht alleine lassen zu können, und nahm wieder Kontakt zur Mutter auf. Danach wurde der jüngere Sohn, Peter geboren, der jetzt die Psychose hat. Aufstellung A. stellt ihre Herkunftsfamilie auf: die Mutter steht abgewandt am Rand. ca. 4 m seitlich von ihr, der Vater, Blick zur Mitte. Sie und ihr erwachsenes Selbst stehen seitlich zwischen Vater und Mutter, ihr kindliches Selbst dem Vater schräg gegenüber. Mein Bild, sie steht zwischen Vater und Mutter, als müsse sie vermitteln. Meine Hypothese: Wenn sie den mörderischen Konflikt der Eltern zu ihrem Thema macht, in ihren „inneren Raum“ nimmt, - so als müsse sie in sich diesen Konflikt versöhnen - dann kann sie das zerreissen, sie verrückt machen. Sie selber ist stabil, aber der Sohn, der in ihren „inneren Raum“ kommt, findet dort dies Thema und wird von diesem Thema überfordert, wird daran verrückt. Das soll durch die Aufstellung überprüft werden.
Aufstellungsverlauf Andrea Als sie mit ihren Selbstanteilen auf Distanz zu Mutter und Vater geht, wird deutlich, dass es die Mutter zu ihrem von ihr getöteten Mann zieht, auf sein „Totenschiff“, so als wolle sie ihm in den Tod folgen. Andrea hat sich zwischen Mutter und Vater gestellt, ist ihrerseits auf dem „Totenschiff“ des Vaters. Bei der Überprüfung zeigt sich zunächst, dass sie mit ihrem Vater identifiziert ist, auf dessen „Totenschiff“. Sie kann da aussteigen. Auch mit der Mutter ist sie identifiziert, wollte ihr sowohl den getöteten Ehemann, aber auch deren „Selbst“ vertreten. So als könne und solle sie dadurch die Mutter daran hindern, zu sterben, so als sei der Tod etwas Schlimmes. Andrea konnte aus allen Rollen herausgehen, die sie für die Mutter übernommen hatte. Sie konnte ihr das übernommene Schwere symbolisch zurückgeben - „Mutter, das ist dein Schicksal, ich lasse es bei dir. Und wo immer dein Schicksal dich hinführt, ich stimme dem zu. Und wenn du in den Tod gehen möchtest, werde ich dich nicht daran hindern.“ Und sie selbst konnte symbolisch den eigenen Raum, die eigene Energie zurücknehmen, die sie der Mutter gegeben hatte. Jetzt war die Annäherung an ihre eigenen Selbstanteile möglich. Sie konnte ihren eigenen Raum dadurch in Besitz nehmen, dass sie ihn der Mutter gegenüber abgrenzte.
Kommentar Als Psychiater habe ich viel Erfahrung mit Psychose-Patienten. Ich habe immer wieder gesehen, dass Patienten, kaum hatten sie sich von der Psychose erholt, wieder die Nähe zu ihrem problematischen Elternhaus suchten. Danach ging es ihnen viel schlechter, sie mussten wieder in die Klinik oder die Dosis der Antipsychotika erhöhen. Daraus lernte ich: es gibt Eltern, die sind so verwirrend und destruktiv, dass ein Kind dadurch psychotisch werden kann. Und um nicht wieder zu erkranken, muss es zu den Eltern auf Distanz gehen. Andrea hatte offenbar selbst dieses Bild, als sie in eine andere Stadt zog. Vor der Geburt des 2. Sohnes jedoch zog sie wieder in die Nähe der Mutter. Sie konnte sich gegenüber dem verwirrenden Konflikt ihrer Mutter nicht abgrenzen. Sie selber konnte das kompensieren, aber Peter wurde durch sie „infiziert“ - und dekompensierte. Meine Überlegung: Wenn Andrea möchte, dass ihr Sohn gesund wird, muss entweder er auf Distanz zu seiner Mutter, Andrea gehen, oder Andrea muss selber zu ihrer eigenen Mutter auf Distanz gehen. Ich teilte A diese Überlegungen mit.
Aufstellungsverlauf Hans Hans stellt die Gegenwartsfamilie auf, sich die Frau und die beiden Kinder:..einfügen!.................. Zunächst überprüfen beide, ob sie sich im Raum des anderen befinden, dem Partner das ersetzen wollen, was ihm fehlt und können das lösen. Dann geht es um die Beziehung von Hans zu dem Sohn Peter. Es wird deutlich, dass er ihm viel zu nahe ist, ihm sein Selbst ersetzen möchte, seinen Raum einnimmt, als müsse er auf seinem Boot „Kapitän“ sein. Hans' eigenen Selbstabteile sind dabei weit entfernt, speziell zu seinem „kindlichen Selbst“ hat er grosse Distanz. Ich erkläre Hans meine Hypothese: er möchte an seinem Sohn das „wieder gut machen“, was er selbst als Kind erlebt hat. Das heisst, er verwechselt seinen Sohn mit sich selbst, mit seinem inneren verlassenen und verletztem Kind. Bildlich gesprochen: sein „inneres Kind“ sitzt verlassen und hungrig im Keller und sein Sohn „ertrinkt“ in Vaterliebe. Indem er selbst keine Grenze zu seinem Sohn hat, kann auch dieser nur schwer eine Grenze aufbauen.
Das leuchtet Hans ein. Schrittweise kann er die Rollen abgeben, die er im Raum seines Sohnes übernommen hat – es fällt ihm sehr schwer, immer wieder wird er von Weinkrämpfen überwältigt. Er kann ihm kaum sein Schicksal – symbolisiert durch den Stein – überlassen. „Ich musste dir einiges zumuten, ich kann es nicht ungeschehen machen. Es gehört jetzt zu deinem Leben dazu. Wenn du es als Herausforderung annimmst, kannst daran wachsen! Dem Sohn (Stellvertreter) geht es jedoch mit jedem Schritt besser! Nun kann sich Hans mit seinen Selbstanteilen verbinden, speziell mit dem „kleinen Hans“ der so Schweres erleben musste. Er bedankt sich bei ihm, dass er das alles ausgehalten hat, kann würdigen, wie stark der kleine Hans ist. Zum Schluss kann er seinen Raum gegenüber dem Sohn Peter dadurch in Besitz nehmen, indem er sich ihm gegenüber abgrenzt, unterstützt durch sein „Krafttier“.
Kommentar Auch Hans konnte sich gegenüber Peter nicht gut abgrenzen – wegen seiner eigenen Traumatisierung. Daher konnte auch Peter von ihm nicht lernen, sich abzugrenzen, das heisst, das „draussen“ zu lassen, was ihn gar nichts angeht!
Rückmeldung Hans nach 14 Tagen: Nach wie vor haben wir das Gefühl, dass sich bei uns einiges bewegt. R. hat erstmals fünf Tage bei uns verbracht und ist nun für (geplante) zwei Tage wieder in die Klinik eingetreten. Ausser dem Wiedereintritt ist alles gut verlaufen. Aber dies erscheint mir nur normal zu sein.
Weihnachten haben wir ruhig gefeiert, auf den Wunsch von Raphael haben wir (wie alle Jahre) auch die Mutter von Andrea eingeladen. Dies war aus unserer Sicht auch sozial logisch, wäre eine andere Lösung für Peter nicht verständlich gewesen. Trotzdem war sehr interessant, wie sich unsere Jungs der Grossmutter gegenüber verhalten haben. Der Ältere hat sich sehr konsequent von ihr abgewendet (sonst gar nicht seine Art...) und Peter wollte weder beim Essen noch in der Stube neben ihr sitzen. Dies notabene ohne dass wir irgendwas gesagt hätten.
In unserer Beziehung Vater - Sohn nehme ich Veränderungen wahr. Ich selber fühle mich nicht mehr in der selben Art für Peter verantwortlich, wie dies vor meiner Aufstellung der Fall gewesen ist. Zudem fällt mir plötzlich auf, wie Peter mich in gewissen Situationen zu schonen versucht. Dies kann ich ihm, da ich dies nun wahrnehme, gleich wieder abnehmen. Ich hoffe, dass ich ihm damit den Weg etwas ebnen helfe.
Rückmeldung Hans 23.3.2013 Peter ist auf einem viel stabileren Niveau, aber nach wie vor nicht 100% -ig. Er ist nun letzten Montag von der Akutstation auf eine spezialisierte Aussenstation ins gewechselt. Dort gehen sie von einem langfristigen Aufenthalt aus. Nach wie vor fährt er weder Bus noch Zug. Im Auto will er nach wie vor nicht auf der Autobahn fahren. Von einem engen Betreuer auf der Akutstation wurde mir vor 10 Tagen erzählt, wie Peter nach wie vor alles was um ihn herum passiert aufsauge wie ein Schwamm. Nach meinen Beobachtungen hat er weder innere, noch äussere Grenzen. Ich wünschte ihm systemische Selbstintegration... Andrea hat ihrer Mutter im Januar persönlich mitgeteilt, dass sie der Meinung sei, dass sie ihre Geschichte im Interesse von Peter anschauen sollte. Die Mutter von Andrea hat dies alles sehr reserviert entgegengenommen. Sie hat uns gefragt, ob sie sich jetzt nicht mehr bei Peter melden dürfe. Zudem hat sie auch mit uns praktisch keinen Kontakt mehr. Meine Hypothese ist, dass sie ihre bisherige Strategie des Aussitzens wieder anwendet und hofft, dass alles von selber geht... Gleichzeitig hat sie sicher Angst, enge Familienmitglieder zu verlieren. Heute hat Andrea Geburtstag. Nun hat sie von der Mutter eine Karte erhalten, auf welcher diese Andrea nur mit ihrem ledigen Namen anschreibt. Wieder geht meine Phantasie weit... Meine Fragen: - Wie schätzt du die Situation ein? - Wie können wir weiter mit der Mutter umgehen? - Könnte deine Therapie für Raphael auch nebst der psychiatrischen Behandlung in Spiez stattfinden? - Könnte man dich ev auch für ein oder zwei Tage zu uns nach Burgdorf (oder so) holen? - Wäre ev auch möglich, dass man auch der Mutter einen Termin bei dir anbieten würde?
Rückmeldung Hans 3.9.2013
Andrea hat heute eine neue Arbeitsstelle angetreten. Ich bin der Meinung, dass sie sich mit ihren familiären Fragestellungen viel beschäftigt hat, heute aber der Meinung ist, es nun auch gut lassen zu können. Sie hat mit ihrer Mutter in längeren Abständen Kontakt zum auswärtigen Kaffeetrinken (einmal monatlich). Hans: Mir geht es gut. Langsam etwas unsicher, wie sich dies mit Peter entwickeln wird. Grundsätzlich in der Tendenz aber positiv eingestellt. Ich habe weiterhin die Rolle, Dinge am laufen zu halten oder bei Peter zeitweise auch wieder "Fortschritte" etwas nachdrücklicher einzufordern. Ich bin auch derjenige, welcher denkt, eine Aufstellung seiner Herkunftsfamilie könnte nochmals helfen. Severin: Der ältere Bruder von Raphael ist in der Lehre. Hat aktuell die Lehrstelle gewechselt. Wird aus meiner Sicht immer autonomer, an was wir uns immer besser gewöhnen. Übernimmt vom Bruder zum Glück keine Unsicherheiten oder Ängste o.ä. Severin hat im vergangenen Halbjahr mal eine Einzeltherapiesitzung gemacht, weil er danach gefragt hat. Ist der Meinung, dass ihm diese gut geholfen hat. Peterl: Ist nun bereits seit 10 Monaten in der Klinik. Im März hat er auf eine Therapiestation mit 10 Jugendlichen gewechselt. Er, wie auch wir, wird dort enorm professionell betreut. Für uns ein alle Glücksfall. Peter wehrt sich seit da auch nicht mehr, auf die Station zurückzukehren, wie dies am Anfang der Fall gewesen war. Die Psychiater sprechen mittlerweile bei Peter von einer Angststörung, nicht mehr von einer Psychose. Er hat teilweise zwar noch etwas skurile Gedanken (zum Glück keine Stimmen oder Bilder), wird aber immer sicherer. Seit Juni 13 erhält er nur noch wenig Neuroleptika und dafür Medikamente gegen die Angst. Dies hat bei ihm zu einer klaren Verbesserung geführt.
Im Sommer konnte er zwei Wochen Ferien bei uns verbringen, das hat uns allen sehr gut getan. Besonders Peter hat bemerkt, dass er je länger daheim je weniger Unsicherheiten gehabt hat. In der zweiten Ferienwoche war ich der Meinung, dass er gar keine Einschränkungen mehr gehabt hat. Im Juli hat er sich zudem wieder in den öffentlichen Bus gewagt, gestern Sonntag ist er mit mir zum ersten mal wieder Zug gefahren. Die vage Perspektive heute ist, dass er nach den Herbstferien (mitte Oktober) wieder zurück nach Hause und in die Schule kommen kann.
Therapie: Wir haben die Familienproblematik mit dem behandelnden Arzt eingehend diskutiert. Er hat zudem unsere Vorstellungen und Einsichten in einer Supervision besprochen. Er äusserte die klare Meinung, dass für und Eltern die systemische Arbeit an der Grossmutterthematik angesagt ist. Da Peter bisher, wegen seiner Ängste sowieso keine grossen Strecken fahren kann, war ein Besuch mit ihm bei dir deshalb kein Thema mehr.
Andrea und ich haben in diesem Sommer noch 7 Tage Zweierurlaub gemacht. Für uns war zuerst eine Hürde, dass Peter deshalb übers Wochenende in der Klinik bleiben musste. Dann hat es uns aber sehr gut getan. So sind wir recht gut unterwegs, wenn auch die Situation noch nicht so ist, wie wir sie uns wünschen würden.
Als Psychiater habe ich viel Erfahrung mit Psychose-Patienten. Ich habe immer wieder gesehen, dass Patienten, kaum hatten sie sich von der Psychose erholt, wieder die Nähe zu ihrem problematischen Elternhaus suchten. Danach ging es ihnen viel schlechter, sie mussten wieder in die Klinik oder die Dosis der Antipsychotika erhöhen. Daraus lernte ich: es gibt Eltern, die sind so verwirrend und destruktiv, dass ein Kind dadurch psychotisch werden kann. Und um nicht wieder zu erkranken, muss es zu den Eltern auf Distanz gehen.
Was glauben Sie Dr. Langlotz, warum gehen die Psychose- Patienten, bzw. suchen die Nähe wieder der destruktiven und verwirrenden Elternhaus? Der Grund aus Ihrer Sicht interessiert mich sehr.
Liebe Fatma, eine wichtige Frage. Der Grund für dies Phänomen liegt nach meiner Einschätzung einmal in der fehlenden Abgrenzung. Die Betroffenen erleben sich selbst buchstäblich als Teil (als "Prothese") der Eltern - bzw. die Eltern als Teil ("Prothese") von sich. Zum anderen erhoffen sich die Betroffenen immer noch, endlich als Kind gesehen und geliebt zu werden. Weil sie von den Eltern nicht lernen konnten, sich selbst diese Liebe und Anerkennung zu geben. So sitzen sie in der Falle. In der Falle der Symbiose. Psychose ist Ausdruck einer sehr heftigen kollektiven Symbiose.
( 8.2.2013) Vorbemerkungen Identifizierung und Selbst-Entfremdung In Aufstellungen sehen wir immer wieder, dass Klienten mit dem frühverstorbenen Vater der Mutter oder mit dem fehlenden Partner der Mutter identifiziert sind, so als wollten – oder müssten – sie der Mutter das ersetzen, was ihr fehlt. Eine Mutter, die den Verlust des Vaters – oder des Partners – nicht verkraftet hat, kann den Sohn nicht als Sohn sehen, sondern erwartet unausgesprochen von ihm, ihr das zu ersetzen, was ihr fehlt. Der Sohn, wenn er als Sohn keine Chance hat, wahrgenommen zu werden, geht in die Rolle der fehlenden Person, um das Gefühl zu haben, für die Mutter unentbehrlich zu sein: falsches Selbst. Dabei muss er das unterdrücken, was er eigentlich ist: sein wahres Selbst. Die Illusion, unentbehrlich zu sein geht jedoch einher mit der schmerzlichen Erfahrung, zu versagen. Soviel Mühe er sich auch gibt: er kann ja diese Rolle gar nicht ausfüllen. So als müsse ein Ballett-Tänzer Gewicht heben – oder umgekehrt. Wenn ein Elternteil verwirrt ist, vertritt nicht selten ein Kind auch dessen gesunden Anteil, sein „Selbst“. Dabei stellt es eigene Bedürfnisse zurück, ist „mit tausend Antennen“ beim Elternteil um zu spüren, was es braucht, um glücklich zu sein. Das fühlt sich sehr edel und selbstlos an. So als sei man unentbehrlich für die Lebensfähigkeit des Elternteils – wie eine Prothese. Wer sich nur als Prothese für andere wertvoll fühlt, braucht jemanden – Partner oder ein Kind - für den er Prothese sein kann!
Die Mutter, M erscheint mit dem 21-jährigen J und dem 18-jährigen K in der Sprechstunde. J hat vor 2-3 Jahren, nach dem Besuch eines Reggae-Festivals (inklusive Drogengenuß) eine psychische Störung entwickelt, neigt dazu, alles auf sich zu beziehen. Der Psychiater diagnostizierte eine paranoide Psychose und verordnete Amisulprid. Die Mutter wirkt klar, geordnet, tatkräftig. J wirkt bedrückt, resigniert, geschwächt. Er ist aber klar und geordnet.
Fallbeispiel Familienanamnese M hat sich von ihrem Mann, dem Vater der beiden Söhne nach ca. 7 Jahren getrennt. Er war depressiv und drogenabhängig. Die Söhne haben Kontakt zu ihm, lebten zeitweise bei ihm.
M 's Mutter erkrankte an einer Psychose, als M 6 Jahre alt war. Sie musste immer wieder in die Klinik. Die Schwester des Mannes brachte sich um, sie war nach einer Vergewaltigung depressiv – evtl. auch psychotisch – geworden. Ein „biologischer Psychiater“ würde da eine genetische Belastung vermuten und sich auf Psychopharmaka verlassen.. Ein systemischer Psychiater schaut nach systemischen Verstrickungen und Lösungen.
Autonomie-Diagramm Alle drei hatten ein eingeschränktes „Autonomie-Feld“, Mutters Abgrenzung war sogar noch etwas geringer als die des psychotischen Sohnes! Wenn beide Eltern traumatisiert sind, entsteht bisweilen ein symbiotisches Kollektiv! Bereits dieser Befund spricht für eine familiäre, systemisch bedingte Abgrenzungsschwäche.
Beziehungsklärung Ich erklärte den dreien das Konzept von Autonomie und Symbiose und schlug Mutter und Sohn vor, gleich in dieser ersten Sitzung ihre Beziehung auf Symbiose zu untersuchen und gegebenenfalls zu klären.
Beide stellten sich sehr dicht gegenüber. Die jeweiligen Selbstanteile standen weit entfernt. Es war sofort sichtbar, dass sie mehr mit dem Gegenüber als mit ihrem Selbst verbunden waren. Als ich sie mehr auf Distanz brachte und einen Schal – Symbol für eine Grenze – dazwischen legte, war das für beide zunächst befremdlich. Der Sohn hatte Mitleid für die Mutter und fühlte sich für sie verantwortlich. Er kannte sich aus auf ihrem Boot. Er konnte aussteigen und ihr symbolisch ihr Schicksal zurück geben. Auch sie fühlte sich auf dem Boot des Sohnes zuständig, wollte ihm sein Selbst ersetzen (wie vielleicht als Kind für die Mutter?) Sie konnte aussteigen, konnte ihm allerdings nur unter grossen Schuldgefühlen sein Schicksal – den Teil der durch sie zu ihm kam – zurück geben.
Anschliessend nahmen beide symbolisch ihre Energie (Aufmerksamkeit, Raum) wieder zurück, die sie dem anderen zur Verfügung gestellt hatten. Danach konnten sie sich ihrem Selbst annähern. J kannte sein Selbst, hatte damit kein Problem.
Dennoch gelang es auch ihr, sich mit diesem „freien und unbeschwerten“ Selbstanteil zu verbinden. Um diese Verbindung zum eigenen Selbst aufrecht zu erhalten, mussten beide ihren eigenen Raum dadurch in Besitz nehmen, dass sie ihn gegenüber dem Anderen abgrenzten. Nach anfänglicher Verlegenheit, Beklommenheit, Hemmungen gelang es ihnen immer besser, unterstützt durch die Imagination eines Tigers, der sein Territorium schützt. Zum ersten mal lachte J, strahlte seine Mutter an. Und sie war ebenfalls erleichtert.
Eine systemische Hypothese zur Entstehung dieser Psychose: Die Mutter scheint ihr freies erwachsenes Selbst gar nicht zu kennen: das Gefühl, auch ohne den anderen vollständig zu sein, es „nicht zu brauchen, gebraucht zu werden“, ist ihr fremd. Sie sah den Sinn ihres Lebens offenbar darin, für andere da zu sein, so als wäre es ihre Identität, „Prothese“ zu sein für andere. Dies Muster hatte offenbar auch ihre Partnerwahl beeinflusst. Ohne „eigenes Boot“ hatte sie sich einen Partner gewählt, der sehr belastet war, auf dessen Boot sie sich „ein Aufenthaltrecht erwarb“, indem sie für ihn Kapitän, für ihn „Prothese“ sein konnte. In dieser Mutter-Sohn-Beziehung vermute ich zwei Dynamiken, die sich gegenseitig verstärken und für die Entstehung der Psychose verantwortlich sein könnten: Die Angst, dass der Sohn die gleiche Störung bekommen könnte wie die Mutter, beeinflusst ihre Wahrnehmung, lässt sie jedes „psychoseverdächtige“ Symptom bei ihrem Sohn registrieren. Ihre „falsche Identität“, für den anderen Prothese sein zu müssen, könnte sich so auswirken, dass sie – unbewußt - jemanden braucht, für den sie Prothese sein kann. Und ein „braver Sohn“ stellt sich dafür zu Verfügung, wird - der Mutter zuliebe ! - unselbständig, „prothesebedürftig“.
Auch der Vater, selber sehr belastet und abhängig, konnte dem Sohn nicht zeigen, wie man sich abgrenzt. Im Gegenteil, er erwartete vielleicht vom Sohn das, was er selber als Kind nicht bekommen konnte, und verstärkte seinerseits die Entwicklung eines Symbiosemusters beim Sohn – statt ihm ein Kontrastprogramm zu Mutters Symbiosemuster anzubieten. Diese Dynamiken ergänzten sich auf ungute Weise und lösten bei dem Sohn eine Psychose aus.
Vorschlag Ich schlug der Mutter vor, ihre Beziehung zur eigenen Mutter und zum Vater zu klären und dem Sohn empfahl ich, seine Beziehung zu seinem Vater zu klären. Je mehr die Mutter lernt, sich abzugrenzen, auch gegenüber den Söhnen, umso eher könne auch diese lernen, sich abzugrenzen. Der jüngere Sohn erlebte den Klärungprozess zwischen Mutter und Bruder mit. Er äusserte von sich aus den Wunsch, ebenfalls eine Abgrenzung zu seinem Bruder zu vollziehen.
Vielen Dank für Ihre Antwort, und das 2. Fallbeispiel ,,Jugendliche Psychose``
Gott sei dank habe ich das nicht im eigenen Leib erlebt, leider aber einige erlebende nahe stehende Personen mit BPS gesehen und die Tante einer meiner sehr nahen Freundin dabei beobachtet. In diesen Momenten während sie ausrasten fühlt man sich richtig ,,hilf- und ratlos´´. Einerseits sagen sie, dass sie nicht krank sind, während sie total gestörte Verhalten zeigen, und hyperventilieren, andererseits erpressen sie mit emotionalen Manipulationen (Selbstmord und andere Drohungen etc..) ...Doch all dies bringt ihnen keine wahre Erleichterung, vielmehr wirken sie danach sehr erschöpft. Eigentlich möchte man ja, dass sie sich besser fühlen... Leider konnte ich in solchen Momenten ausser Verständnis zeigen, nichts weiter unternehmen. Ich fühlte mich meistens selbst schon als seien meine Hände gebunden.
Ich habe für mich viele Lehren aus diesen Erfahrungen gezogen, und viele Muster einer Psychose-erlebenden Menschen erkannt, und meinen Anteil gesehen...;/ Meine grösste Lehre ist : ,,Alles was ich nicht eins zu eins gesehen und nicht mitbekommen habe mit Vorbehalt anhören, und keine Stellungen einnehmen und keine Äusserungen abgeben, denn es könnte auch nicht wahrheitsgetreu sein, bzw. es könnte sein, dass es die Wahrnehmung dieser Person entspricht und wenn es war ist, dann kann ich auch nichts am vorgefallenen ändern, jeder ist gewissermaßen selbst verantwortlich für das erlebte ab einem bestimmten Alter; was er zugelassen hat, oder was er veranlasst hat ist in seiner Verantwortung NICHT in meiner´´ + ,,helfen mit Infos, und nicht mit Taten, wie z.B die Aufgaben erledigen für diese Person, u mein Boot alleine lassen..´´ auch wenn es nur paar Tage sind, man hat später doch einige Nachteile...dieser Person entmächtigt eher solche tatkräftige Hilfeaktionen. denn diese Personen gewöhnen sich schnell daran und wollen immer mehr, und später sind sie noch böse auf einem. Da haben sie auch nicht unrecht, denn anstatt wirklich eine Hilfe zu sein, schwächen wir sie, und veranlassen ein Gefühl von ,,alleine schaffst du es nicht´´. Auch wenn das unbewusst entsteht, macht man sich gegenseitig abhängig..
Dank die Systemaufstellungen und Fallanalysen, die ich durch Ihnen gelernt habe und die Lehren aus den Koranversen erkenne ich heute schneller solche Situationen in denen ich mich vielleicht verstrickt habe und kann dann schadenfrei für Beteiligte und vor allem für mich die Notbremse ziehen. Auf lange Sicht kann man unheimlich aus solchen Erfahrungen wachsen.
Diese gefühlsbetonten Momente erwecken manchmal sogar uns Menschen zum Menschendasein in einer immer mehr PC – gesteuerten Welt. Denn oft werden viele wichtige Gefühlszustände unterdrückt und später umso intensiver machen sich diese Gefühle deutlich.
Von meiner Sicht aus, finde ich es sehr wichtig, dass wir erkennen, dass wir nicht nur funktionale Anteile einer immer gut funktionierenden Gemeinschaft seien m ü s s e n. Sondern, dass wir mit unseren Schwächen und Stärken als Individuen das Gesellschaft b i l d e n.
Und vor allem, dass es uns bewusst wird, dass die gezwungene Überanpassung an gewisse Ideale und Regeln nicht für jeden Menschen unbedingt gesund ausgehen. Was für viele (sehr) gut bedeutet, ist nicht für j e d e n unbedingt das Beste.
Der Mensch selbst ist ein Phänomen der Existenz und möchte sich immer wieder mit seiner Entwicklung erneut auf sich aufmerksam machen.
Ich finde, solange nicht das Individuum in der Gesellschaft/Gemeinschaft/Schule/Familie gefördert wird, wird durch die funktionale Überanpassung an die vorhandenen Strukturen die Zahl der Psychosen zunehmen.
Carla's Anliegen: Ihr einziger Sohn Andreas erkrankte an Psychose, befindet sich zur Zeit in der Klinik. Er lebt bei der Mutter. Sie hat immer mehr Ängste, dass er etwas Schlimmes anstellen könne, Amok laufen könne.
Anamnese Carla war 2 Jahre mit Josef, dem Vater von Andreas, einem amerikanischen Soldaten, zusammen. Seine „Dominanz“ zog sie an, aber sie trennten sich, bevor Andreas auf die Welt kam. Andreas hat keinen Kontakt zum Vater, aber sie hat noch Mailkontakt mit Josef: er ging zurück nach USA, heiratete, hat zwei Kinder. Der Sohn verunglückte unter Alkoholeinfluss mit dem Motorrad (Suizid?), die Tochter hat keinen Kontakt zum Vater, lebt mit einem Schwarzen zusammen. Josef hat als Jugendlicher bei einem Überfall jemanden getötet, wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er wurde frei gelassen, unter der Bedingung, 12 Jahre zur Army zu gehen (!).
1. Aufstellung In einer ersten Aufstellung untersucht sie ihre Beziehung zu ihrem Sohn Andreas, dabei wird deutlich, dass sie sich in seinem Raum zuständigt fühlt, als sei das ihre selbstverständliche Aufgabe. Das sie versucht hat, ihm sein „Selbst“ zu ersetzen – sodass er selber mit seinem Selbst keine Verbindung bekommen konnte. Es gelingt ihr – trotz eines starken inneren Verbotes, da auszusteigen. Sie fühlt sich erleichtert, auch Andreas - noch in der Klinik – wirkt entlastet. Als er aus der Klinik nach hause entlassen wird, bekommt sie jedoch wieder Ängste, zieht aus der Wohnung aus. In einem Telefongespräch spricht sie von ihren Ängsten vor Andreas. Meine Vermutung: sie ist noch nicht von Josef getrennt, und projiziert das Thema seines Vaters auf Andreas. Ich schlage ihr vor, das in einer 2. Aufstellung zu klären.
Sie kommt zum Seminar und zeigt mir glücklich einen Brief, den ihr A geschrieben hat: er scheint krankheits-einsichtig, entschuldigt sich bei seiner Mutter dafür, dass er sie für seine Krankheit verantwortlich gemacht hat. Er werde sich jetzt selber um die Lösung seiner Probleme kümmern.
2. Aufstellung In der Aufstellung zeigt sich, dass sie sowohl auf Josef's Platz „auskennt“, aber auch am Platz von dessen Opfer! Es fiel ihr nicht leicht, sich gegenüber Josef - und seinem Opfer – abzugrenzen, ohne ihn zu verurteilen.
Kommentar Es scheint, dass Carla versucht hat beide, Täter und Opfer zu verstehen. So als sei es möglich und sinnvoll, den möderischen Konflikt zwischen den beiden in sich hineinzunehmen und in sich zu versöhnen(?) Meine Hypothese: Sie selbst konnte das Verwirrende aushalten, ohne „klinisch“ psychotisch zu werden. Aber ihr Sohn, der bei den „offenen Grenzen“ Zugang zu ihrem Raum hatte, kam mit diesem mörderischen Konflikt in Berührung, konnte das nicht verkraften und wurde psychotisch. Sie ist Andreas` einzige Bezugsperson, sie kann sich schlecht abgrenzen, weder gegenüber Andreas noch gegenüber seinem Vater. So konnte auch Andreas nicht lernen sich von ihr abzugrenzen.
Zum Schluss bemerkt sie noch, sie habe sich immer vom Thema Schuld merkwürdig angezogen gefühlt. Sehr wahrscheinlich gibt es da in ihrem eigenen System ein derartiges Thema, durch das sie bereits vorher verwirrt war. Zusammenfassung Hier wird in zwei Beispielen die gleiche Dynamik beschrieben: die Mutter eines an Psychose Erkrankten ist selber identifiziert mit Täter und Opfer. Sie kann sich auch von ihrem Kind nicht abgrenzen und "infiziert" dadurch ihr Kind mit diesem mörderischen, verwirrenden Konflikt. Der Sohn kann von der Mutter nicht lernen, sich abzugrenzen. Auch vom Vater kann er Abgrenzung nicht lernen: er ist nicht da oder kann sich ebenfalls schlecht abgrenzen.