In einem der letzten News berichtete ich von einer Aufstellung eine Klientin, die einen Konflikt mit einer Kollegin hatte, da fand sich die Dynamik, dass sie die Kollegin an den Platz ihres eigenen Selbst gestellt hatte. Meine Vermutung, dass auch die sehr problematische Beziehung dieser Klientin zu ihrer Mutter von dieser Dynamik bestimmt war, hat sich inzwischen in einer weiteren Aufstellung bestätigt. Einer andere Klientin – selber angehende Therapeutin - der es nach einer Aufstellung 3 Wochen schlecht ging, empfahl ich, selber mittels „Do it yourself“ zu überprüfen, ob auch bei ihr diese Dynamik vorliegt. Sie fand diese Dynamik und nachdem sie selber sie aufgelöst hatte ging es ihr viel besser.
Jetzt kommt Carla mit dem folgenden Anliegen:
Immer wenn ich mich abgrenze, werde ich fertig gemacht. Carla hat ein sehr ausgeprägtes Symbiosmuster (verlorener Zwilling) und hat schon viel geklärt. Jetzt kommt ein einschneidendes Erlebnis aus ihrer Ausbildungszeit zur MTA vor 15 Jahren immer wieder hoch. Kurz vor Dienstschluss kam eine ältere Patientin, der es sehr schlecht ging, in die Notaufnahme. Damit diese nicht solange warten müsse – und damit der Spätdienst nicht vorzeitig gerufen werden müsse – suchte sie die diensthabende Ärztin und bat sie, sich um die Patientin zu kümmern. Diese hatte zwar Dienst, aber keine Lust und meinte, der Oberarzt sei zuständig. Carla ging zum Oberarzt und dieser – wie erwartet – verwies sie an die Dienstärztin. Etwas genervt ging sie wieder zur Dienstärztin und sagte ihr – vielleicht in einem etwas vorwurfsvollem Ton: sie sei zuständig. Darauf wurde diese wütend und meinte, was sie sich wohl einbilde, so mit ihr zu reden?
Sie mochte eigentlich diese Ärztin sehr, da sie fachlich sehr kompetent war und sich einmal für sie eingesetzt hatte, als es ihr schlecht ging. Dieser Zusammenstoss mit der Ärztin war für sie so schrecklich, dass sie nicht mehr in die Klinik gehen wollte und sich für ein Aufbau-Studium entschied – sodass sie nun nicht mehr in einer so untergeordneten Stellung arbeiten musste.
Aber immer noch hat sie die Vorstellung, “wenn ich mich einmal abgrenze, dann werde ich so richtig fertig gemacht!“

In der Systemaufstellung wird deutlich, dass die sich im Raum der Ärztin geborgen und zuhause gefühlt hatte. In Kindheit und Jugend fühlte sie sich eher als Aussenseiterin, nicht zugehörig, wie häufig, wenn man einen Zwilling verloren hat.
Ich testete noch etwas anderes: ich stellte die Ärztin in Carlas Raum, an den Platz des eigenen Selbst: und da kam ihr jetzt sehr vertraut vor!
Das war der Grund dafür, dass der Konflikt mit der Ärztin so tiefgreifend war, dass sie die Klinik fluchtartig verlassen musste! Sie fühlte sich gerade von der Frau verraten, die sie idealisiert hatte, an der sie sich orientiert hatte, der sie zunächst den Platz des eigenen Selbst eingeräumt hatte!
Der folgende klärende Satz rückte das wieder zurecht: "Ich habe dir den Platz meines Selbst eingeräumt. Ich habe mich vertan, ich brauche dich da nicht mehr, da ich mein eigenes Selbst entdeckt habe! Du gehörst in deinen Raum!“
Ausserdem wurde ihr deutlich, dass sie sich damals – typisch bei Menschen ohne Abgrenzung – ungefragt auf jedes Boot der Beteiligten begeben hatte: sie fühlte sich für die Patientin zuständig – das mag ja noch angehen - aber wollte es auch der Kollegin aus dem Nachtdienst recht machen. Und statt zum Oberarzt zu sagen: dann sagen doch bitte Sie der Dienstärztin, dass sie zuständig ist, wollte sie ihm das abnehmen und sprach sozusagen aus seiner Rolle, aber ohne seinen Auftrag.
So verlagerte sie den Konflikt der anderen in ihren eigenen (Zuständigkeits-)Raum, als sei es ihr Konflikt!

Kommentar
Seit einigen Wochen achte ich bei Systemaufstellungen auf dies bizarre Phänomen, dass ein Klient dem Vorgesetzten (oder Elternteil) den Platz und den Rang des eigenen Selbst einräumt – und folglich das eigenen Selbst vor die Türe“ stellt. Und ich finde es besonders häufig bei sehr heftigen symbiotischen Verwicklungen. In diesen Fällen scheint das übliche „Lösungsprogramm“ nicht auszureichen, die Abgrenzung gelingt anscheinend nur halbherzig, wenn man unbewusst den anderen als Selbst noch auf dem eigenen Boot hat. Diese Dynamik gehört offenbar zum "Repertoire" der symbiotischen Verirrungen.

Ein 65-jähriger Mann, Ralf, kommt zur Beratung. Im Januar starb seine Mutter, 93-jährig. Seit dem Tod des Vaters – er war gerade 19 Jahre alt – fühlte er sich für die emotional labile Mutter verantwortlich. Als sie starb war er auch erleichtert, aber nach wenigen Wochen bekam er bedrohliches allergisches Asthma, das erst durch Cortison gebessert werden konnte. Nun traten Nebenwirkungen von Cortison auf und er suchte systemtherapeutische Hilfe.

Aufstellung
In einer Systemaufstellung (Einzelberatung) stellte Ralf seine Mutter dicht vor sich. Sein erwachsenes und sein kindliches Selbst stellte er weit entfernt.
Offenbar war er gewohnt, seiner Mutter alle Aufmerksamkeit, alle Energie – und auch seinen eigenen Raum - zu Verfügung zu stellen, sodass für seine Selbstanteile buchstäblich nichts übrig blieb.
Der Leiter legte – als Symbol für eine Grenze – einen Schal zwischen ihn und die Mutter.
Leiter: „Theoretisch gibt es da eine Grenze. Eigentlich sind Sie vollständig auch ohne die Mutter, die Mutter ist vollständig auch ohne Sie. Durch die Grenze entstehen zwei Räume, Mutters Raum und Ihrer. In Mutters Raum gehört alles was Mutter ist und was zu ihr gehört, in Ihren Raum gehört alles, was zu Ihnen gehört. In Mutters Raum ist nur die Mutter zsutändig, in Ihrem Raum sind nur Sie selber zuständig!“
Das war für ihn einerseits erleichternd, gleichzeitig aber auch ungewohnt, schmerzlich und wie verboten.

Übernommene Rollen in Mutters Raum
Um zu überprüfen, ob und welche Rollen Ralf in Mutters Raum übernommen hatte, stellte er sich links neben die Mutter – an den Platz seines verstorbenen Vaters – hinter die Mutter – an den Platz ihres eigenen früh verstorbenen Vaters und auch an den Platz von Mutters „Selbst“ - mit dem sie offenbar nicht so gut verbunden war.
Eine Identifizierung mit Mutters „Selbst“ mag den meisten unbekannt sein und sehr bizarr anmuten – zu Recht. Auf diesem Platz „stellt man eigene Bedürfnisse ganz zurück und versucht, mit Tausend Antennen zu spüren, was braucht die Mutter eigentlich, um ganz „vollständig“, um ganz zufrieden und glücklich zu sein? Das fühlt sich - buchstäblich! - selbst-los und sehr liebevoll an. Aber es ist nur eine Illusion, und oft fühlt man sich noch dafür schuldig, dass es nicht funktionierte. Und man hat dafür einen hohen Preis zu zahlen: man ist getrennt vom eigenen Raum, von seinen eigenen Selbstanteilen!“
Auf allen (!) Plätzen fühlte Ralf sich zuständig und natürlich fühlte er sich auch auf Mutters Boot zuständig, als sei er dort der bessere Kapitän. Sobald ihm auf diese Weise bewusst geworden war, welche Rollen er bisher unbewußt für seine Mutter übernommen hatte – ähnlich wie der Butler im Fernsehsketch „Diner for one“ für Lady Sophie - konnte er sich entscheiden, diese Rollen „abzugeben“, um in seinen eigenen Raum zurück zu kommen und mit sich selbst identisch zu werden.

Verwechslung der Mutter mit dem eigenen Selbst
Um zu prüfen, ob er der Mutter auch das „Hoheitsrecht“ in seinem Raum übertragen hatte, forderte ich Ralf auf, den Stuhl – der seine Mutter repräsentierte – neben sich in seinen Raum zu stellen. Und ….. es fühlte sich für ihn sehr bekannt an, wenn auch sehr bedrängend, so als würde es ihm den Atem nehmen. Er war bereit, die Mutter wieder in ihren eigenen Raum zu stellen – für den sie zuständig war – und dafür seinem eigenen „Selbst“ wieder den ihm zustehenden Platz rechts neben ihm zu geben. Er war bereit, dazu folgende „klärende“ Worte auszusprechen: Mutter, du gehörst gar nicht in meinen Raum...und schon gar nicht als mein „Selbst“. Du gehörst in deinen Raum. Und das hier ist mein Raum, und neben mich gehört mein „Selbst“.

Rückgaberituale
Wenn man sich in fremdem Raum zuständig fühlt – statt im eigenen Raum – dann fühlt man sich auch für fremde Probleme zuständig – statt für die eigenen. Meist hat das gar keine gute Wirkung, im Gegenteil. Da es nichts bewirkt, verliert man die Achtung für sich selber, aber auch für den anderen. Das kann auf einer symbolischen Ebene durch geeignete Rituale geklärt werden.
Zunächst gibt Ralf der Mutter einen schweren Stein zurück, als Symbol für das unbewusst übernommene Schwere der Mutter: „Mutter du hattest ein schweres Schicksal, und du hasst es auf deine Art getragen – oder auch nicht. Das war deine Art, zu überleben. Nur so konnte auch ich mein Leben bekommen, deshalb steht es mir nicht zu, darüber zu urteilen, oder mich da einzumischen.“
Die Mutter könnte – wenn sie selber klar wäre – darauf antworten(vertreten durch den Leiter):
„Ralf, das gehört zu mir. Ich habe mir das auch nicht ausgesucht, aber es muss bei mir bleiben.“
Und weiter, mit einem leichteren Stein zu Ralf: „Ich sehe dass ich dir viel zugemutet habe. Ich kann es nicht ungeschehen machen, ich kann es nicht ändern. Das gehört jetzt zu deinem Leben. Wenn du es annimmst, kannst du daran wachsen. Wenn du dem Schicksal grollst und dir selber leid tust, dann kannst du daran zerbrechen. Und wie du damit umgehst, darauf habe ich keinen Einfluss!“
Ralf – sehr berührt – nimmt den Stein bereitwillig.

Annäherung an die Selbstanteile
Nun nähert sich Ralf seinem erwachsenen Selbst, dem Teil, der sich gegenüber der Mutter abgrenzen kann, ohne Schuldgefühle. Er zögert, hat er es vielleicht abgelehnt – weil es von der Mutter nicht so erwünscht war?
Probeweise legt er symbolisch „Mutters Brille“ ab – durch die er vielleicht sein Selbst bisher gesehen hatte – und sieht mit „eigenen Augen“ auf sein erwachsenes Selbst, und... er umarmt es spontan, so als hätte er einen lange verschollen geglaubten Freund endlich wieder getroffen! So verbunden mit dem erwachsenen Ralf wirft er einen neuen Blick auf sein „kindliches Selbst“, das seine kindlichen Bedürfnisse hat, die viel zu selten gesehen und erfüllt wurden, erst von der Mutter nicht und dann auch nicht von ihm selber. - Die Mutter konnte es ihm ja nicht zeigen, wie es geht!
Vielleicht war auch dieser Selbstanteil von der Mutter nicht erwünscht? Hatte auch er diesen Teil von sich deshalb abgelehnt?
Nachdem er erneut „Mutters Brille“ ablegt, und mit den eigenen Augen auf
den kleinen Ralf schaut, kann er sehen, dass dieser gar nicht nur anstrengend, sondern „goldrichtig“ war. Und er kann sich bei ihm dafür bedanken, dass er sehr viel ausgehalten hat! Und ihm versprechen: Ich lasse nicht mehr zu, dass du verletzt und emotional benutzt und überfordert wirst, ich kann dich davor schützen, ich bin stark!“ Und er wird sich bewusst, dass er sich in Zukunft persönlich um den kleinen Ralf kümmern wird. Statt ihn anderen, fremden Menschen anzuvertrauen, kümmert er sich ab sofort persönlich um ihn. Und er darf auch bei ihm seine „Gaudi“ haben und auch mal was anstellen – so wie es sich für das kindliche Selbst gehört. Ralf kann jetzt gleichzeitig die Verbindung mit beiden Selbstanteilen spüren, so fühlt er sich vollständig.

Abgrenzungsrituale
Um in dieser Weise mit sich selbst verbunden zu bleiben – besonders gegenüber einem anderen – bedarf es Zweierlei:
Er muss genau unterscheiden zwischen „Ralf“ und „Nicht-Ralf“. Und das was nicht Ralf ist, ist ja nicht falsch oder böse, es ist einfach nicht „Ralf“.
Es gibt den „Ralf-Raum“, und wenn da „Ralf“ darauf steht, dann ist es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass da auch nur „Ralf“ darin ist – sonst wäre er ja eine „Mogelpackung“!
Nach dieser Einweisung ist Ralf bereit, seiner Mutter auf einer symbolischen Ebene zu zeigen, dass sie nicht in seinen Raum gehört, indem er sie - vertreten durch den Leiter – noch vor seiner Grenze stoppt. Das ist ihm ungewohnt, das fühlt sich lieblos und verboten an – das ist seine „emotionale Konditionierung“. Sein Gefühl ist hier verwirrt. Es gelingt ihm, dies unbewusste Verbot bewusst zu überschreiten und die Schuldgefühle auszuhalten. So kann er sein Programm löschen. Jetzt hat er Platz gemacht für das, was eigentlich „Ralf“ ist. Und er spürt seinen Raum, und seine Lunge fühlt sich auch befreit an.
Gegenabgrenzung
Als nächstes macht Ralf die körperliche Erfahrung, dass er in Mutters Raum gar nicht zuständig ist. Er geht – mit bestem Gewissen – in den Raum der Mutter und wird an der Grenze vom Leiter gestoppt. Ralf ist erstaunt, aufgewühlt, verletzt, verwirrt.
Ralf wurde als Jugendlicher – und wohl auch schon früher – von seiner Mutter dazu „erzogen“, sich in Mutters Raum zuständig zu fühlen – so als sei es sein eigener Raum, so als sei es der Sinn seines Lebens, sich in fremden Räumen nützlich oder sogar unentbehrlich zu machen. Das heisst, er konnte nicht lernen, fremde Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren. Er konnte nicht lernen, dass es Räume gibt, in denen er gar nicht zuständig ist. Als Folge dieser Verwirrung erlebte er es wie Verletzung, wenn jemand andere sich ihm gegenüber abgrenzt – wo er es „doch nur so gut meint!“
Das gibt dem Leiter die Möglichkeit, Ralf diese Zusammenhänge zu erklären. Er kann diese Erfahrung mehrmals wiederholen, bis sich seine bisher verwirrten Gefühle neu ordnen. Das braucht natürlich etwas Zeit.

Abschied und Segen
Nach diesem Klärungsprozess hat Ralf erstmals eine „gesunde Distanz“ zu seiner Mutter gefunden. Dabei hat er mehr Achtung gewonnen, für sich selbst (weniger Schuldgefühle), aber auch für die Mutter und deren Schicksal.
Diese Achtung ist die Voraussetzung für echte Liebe, anders als die symbiotische Verwirrung mit ihrer Hass-Liebe.
Und es scheint, dass Ralf seine Mutter unbewusst noch festgehalten hat - das ist bei symbiotischen Beziehungen geradezu die Regel. Jetzt ist er bereit, seine Mutter loszulassen. Jetzt darf sie dahin gehen, wo sie ihren Frieden findet, ins Licht. Er ist dazu bereit, gleichzeitig kommt jetzt der Abschiedsschmerz.
Das zeigt einmal, dass er sich bisher nicht verabschieden konnte, so wie es für ALLE symbiotischen Beziehungen die Regel ist. Und dieser Schmerz ist gesund. Nur wenn er da durch geht, öffnet sich ihm die Türe für etwas Neues.
Wenn die Liebe deutlich wird, die bisher durch die Symbiose eher verdeckt wurde, dann frage ich den Klienten, ob es für ihn stimmig ist, die Mutter um ihren Segen zu bitten. Und dann gibt die Mutter – vertreten durch den Leiter – den Segen:
„Ralf ich gebe dir gerne meinen Segen. Lebe DEIN EIGENES Leben, lebe DEINE Kraft, lebe DEINE Liebe. Du bist frei!“
Dann kann die Mutter ihren Platz im Licht finden, und Ralf dreht sich um. Alles Verwirrende und Schwere, das zur Mutter gehörte, lässt er hinter sich. Und das was eigentlich Ralf ist, nimmt er mit. Und dann geht er 5 Schritte in einen neuen Lebensabschnitt.
Dies Abschiedsritual wirkt sehr tief. Darüber hinaus macht der Abschied dem Klienten deutlich, dass die Toten in eine andere Ebene gehören, als die Lebenden. Und dass er selber (noch) nicht zu den Toten gehört, sondern ins Leben.

KOMMENTAR
Dies Fallbeispiel verdeutlicht, wie das Konzept der „systemischen Selbst-Integration“ geeignet ist, ein psychosomatisches Symptom „Asthma“ aufzulösen. Besonders wichtig für die Lösung war hier das Phänomen, dass der Klient die Mutter mit dem eigenen Selbst verwechselt. Das erinnert an das tiefenpsychologische Phänomen des „Introjekts“.
Vielleicht war es die „verinnerlichte“ Mutter, die auf seine Lunge drückte?

Zu diesem Thema ein weiteres, noch komplexeres Fallbeispiel!
Ursula, ca. 45 Jahre, kommt mit dem Anliegen, ihrem Sohn Ernst gehe es so schlecht. Der 19-jährige sei hochintelligent, habe sich durch die Schule durchgemogelt und wisse jetzt nicht, was er machen solle. Er neige dazu, sich von anderen ausnutzen zu lassen, sich gleich für alles verantwortlich zu fühlen. Sie vermute, er habe vielleicht einen Zwilling verloren. Aber er selber wolle nicht zur Aufstellung kommen, er sei schon zweimal zur Aufstellung gewesen.
Ernst ist das erste von vier Kindern. Sie seien damals noch nicht verheiratet gewesen, Ernst war nicht geplant, ihr Mann sein am Tag von Ernsts Geburt gekündigt worden. Sie hatten dadurch grosse finanzielle Probleme und hätten sich damals gar nicht über Ernst freuen können – und dafür fühle sie sich schuldig,
Ihr selber gehe es auch schlecht, sie fühle sich überfordert, erschöpft.

AUFSTELLUNG
Sie stellt sich Ernst gegenüber in etwa 2 Meter Entfernung. Die (vermutete) Zwillingsschwester von Ernst stellt sie hinter sich, und ihre beiden Selbstanteile rahmen die Zwillingsschwester ein.
Sehr bizarr, will sie Ernst vor seiner Zwillingsschwester schützen?
Ernst geht’s nicht gut, ich stelle ihm sein Selbst an die Seite.
Die Zwillingsschwester spürt Verbindung zu Ernst und geht zur Seite, sodass sie ihn sehen kann. Ulrikes ES macht zwei Schritte zur Seite, ihr KiS geht fünf Schritte zur Seite.

VERLAUF
Ulrike schaut ganz verliebt auf ihrem Ernst und findet es gar nicht gut, dass Ernst nun ein Selbst hat. Als sie den Platz von Ernsts Selbst einnimmt, strahlt sie. Und es braucht sehr viel Überzeugungsarbeit, bis sie bereit ist, diesen Platz zu verlassen, damit Ernst mit seinem Selbst Verbindung finden kann. Auch auf Ernsts Platz fühlt sie sich zuhause und zuständig, natürlich ist sie der „bessere Kapitän“ auf seinem Boot. Und auch hier kostet es sie viel innere Überwindung, bis sie diesen Platz aufgeben kann.
Als ich Ernst an den Platz ihres Ehemannes stelle, strahlt sie schon wieder. Da geht es ihr gut. Und als ich teste, ob sie Ernst vielleicht auch den Platz ihres Selbst eingeräumt hat – so als sei er Sinn und Zweck und Orientierung ihres Lebens – da strahlt sie erst recht.
Die klärenden Sätze - „Du bist Du und ich bin ich, Du lebst dein Leben und ich lebe meines. Und dein Leben kann ganz anders sein, als ich mir das wünsche“ - kosteten sie wieder grosse Überwindung und waren sehr schmerzhaft für sie.
Die Annäherung an ihr erwachsenes Selbst war zunächst sehr kühl, anscheinend kannte sie es gar nicht. Und es schien ihr auch irgendwie verboten, so als sei es früher gar nicht erwünscht gewesen. Erst nachdem sie „Mutters Brille“ abgelegt hatte, spürte sie mehr Verbindung mit ihrem Selbst und konnte mit ihm verschmelzen.
Die Annäherung an ihr KiS war noch mühsamer.
Auch die Abgrenzung gegenüber Ernst – und dann die Gegenabgrenzung – fielen ihr sehr schwer. Aber danach spürte sie mehr Verbindung mit ihren Selbstanteilen.

KOMMENTAR
Obwohl Ulrike meine Aufstellungsarbeit kennt, war ihr anscheinend gar nicht bewusst, wie sehr sie mit Ernst verschmolzen war – sie kannte ja nichts anderes! - und dass eben dies ein Problem für Ernst sein konnte. Und ihr -verwirrtes – Gefühl war so stark, dass es ihr sehr schwer fiel, den falschen Platz zu verlassen – obwohl ihr bewusst war, wie notwendig das für ihren Sohn war.
Bemerkenswert scheint mir die kreisförmige Dynamik, die dadurch entsteht, dass die Mutter den Sohn an den Platz ihres Selbst stellt und gleichzeitig für ihn dessen Selbst und auch noch den Kapitänsjob übernimmt. Systemisch („Regeltechnisch“) gesehen sieht das nach einer sehr bizarren Form der Selbst-Stabilisierung mit Hilfe des Sohnes aus. Sie gibt dem Sohn die Aufmerksamkeit, die Bedeutung für ihr eigenes Leben, die eigentlich ihrem Selbst gebührt. Und zugleich stellt sie sich an den Platz seines Sellbst, wird zum „Kapitän“ auf seinem Boot – vielleicht damit er als Orientierung für sie „tauglich“ wird?
Drastisch ausgedrückt verwendet sie den Sohn als „Prothese“, als Ersatz für ihr eigenes Selbst – mit dem sie nicht verbunden war – und gleichzeitig fühlt sie sich als „Prothese“ für ihren Sohn, als sei er ohne sie gar nicht vollständig und lebensfähig. Da sie dadurch den Sohn daran hindert, mit seinem eigenen Selbst verbunden zu sein, sich selber regulieren zu können, ist sie für ihn auch so etwas wie ein „Trojaner“.
Dies bizarre Arrangement hat verschiedene sehr verwirrende Aspekte.
Der Sohn wird gleichzeitig subtil manipuliert und benutzt. Da er eine zentrale Stelle in Mutters Selbst-Stabilisierungssystem spielt, fühlt er sich einerseits wichtig für die Mutter, andererseits kann er sich nicht von der Mutter abgrenzen. Das erschwert erheblich seine Autonomie-Entwicklung. Seine gesunde Abgrenzungs-Energie ist blockiert und entlädt sich destruktiv gegen sich oder gegen andere.
Auch die Klientin ist ihrem eigenen Selbst entfremdet – das ist vielleicht eine der Entstehungsbedingungen für dies Arrangement? - und das Arrangement verstärkt noch ihre Selbst-Entfremdung. Möglicherweise wurde auch sie bereits als Kind von einem Elternteil zu dessen „Selbst-Stabilisierung“ benutzt, und wendet das „Gelernte“ an ihrem Sohn an – sie hat ja selbst nichts anderes kennen gelernt. Das kann auch dann funktionieren, wenn sie gleichzeitig die eigene Mutter für deren Manipulationen verachtet hat. Gelernt ist gelernt.
Hier erweist sich – einmal mehr – das Symbiosemuster als Falle, aus der die Betroffenen sich selber nicht oder nur schwer befreien können. Systemaufstellung – in der Variante „systemische Selbst-Integration“ - scheint eine wirksame Methode zu sein, um diese unbewusste komplexe Dynamik sichtbar zu machen und dadurch den Betroffenen einen Ausweg zu ermöglichen.
Übrigens scheint diese Dynamik sehr verbreitet. Eine liebe alte Freundin, selbst Mutter zweier erwachsener Kinder, selbst Körperherapeutin meinte: „Aber Ero, das ist doch ganz normal!“


Rückmeldung nach zwei Monaten

Bisher habe ich noch fast gar nicht darüber gesprochen,es ist noch alles etwas zart, aber es verändert sich viel.
Nach der Aufstellung im Oktober habe ich mich eine Woche krank schreiben lassen, Ernst hat sehr viel geschlafen. Wir gehen gut miteinander um, respektvoll, ich kann ihn seine Sachen machen lassen, ich habe plötzlich Vertrauen in seine Zukunft (ist mir aber noch etwas unheimlich, habe aber keine Angst mehr davor) was sehr schön ist, wir haben gute Gespräche, oft über Politik u. da sehe ich ihn plötzlich als einen eigenständigen jungen starken Mann. In unserer großen Familie ist es harmonischer geworden, Ernst macht jetzt viel mit seinem jüngeren Bruder, er geht seit der Aufstellung z.b mit ihm regelmäßig zweimal in der Woche zum Volleyball. Seit gestern richten sie sich im Keller einen Fernsehraum ein.
Wenn ich nicht arbeite, mache ich ihm z.B. eine Brotzeit für die Schule, die er auch gern nimmt, was vorher nicht mehr so war. Also irgendwie ist es jetzt ganz normal. Irre normal entspannend ist also unser Alltag geworden. Ich bin froh darüber.
Und er lacht öfter mal.

Ein weiteres Fallbeispiel:
PSYCHOSE, BRUSTKREBS
10.11.2014
Clara, eine etwa 50-jährige Frau kommt mit dem Anliegen, sie habe schon immer Angst und schlechtes Gewissen, gehabt, sie passe sich zu sehr an andere an, sei harmoniebedürftig. Sie habe vor ca. 20 Jahren und erneut vor 10 Jahren eine psychotische Erkrankung gehabt, nehme deshalb Neuroleptika. Vor 3 Jahren erkrankte sie zusätzlich an Brustkrebs, wurde operiert, bestrahlt und chemotherapiert.

Anamnese
Sie ist die dritte von drei Kindern. Die Mutter hat früh den eigenen Vater verloren. Er fiel am letzten Kriegstag. Später verlor die Mutter die einzige Schwester durch einen Autounfall. Daraufhin sei die Tochter dieser Schwester, Julia, für vier Jahre in ihre Familie aufgenommen worden. Da beide Eltern berufstätig waren, sei Clara – damals erst 16 Jahre alt - für die kleine Julia verantwortlich gewesen. Das habe sie sehr unzufrieden gemacht, Sie habe darauf sehr unzufrieden und eifersüchtig reagiert, zumal weil Julia im Mittelpunkt stand und Clara kaum beachtet wurde. Das sei ihr von der Mutter immer wieder zum Vorwurf gemacht worden.
Sie habe noch Kontakt mit Julia, der gehe es gut, sie habe Beruf und Familie, aber Julia sei ihr gegenüber immer so dominant.
Das ist eine sehr frühe und extreme Überforderung. Clara hatte als 16-jährige zunächst grosses Mitleid mit dem tragischen Schicksal von Julia. Zusätzlich wurde sie buchstäblich darauf „trainiert“, die kleinen Julia als wichtiger einzuschätzen als sich selbst. Meine Hypothese: sie hat unbewusst Julia den Platz ihres eigenen Selbst eingeräumt? Das soll durch eine Aufstellung überprüft und gegebenenfalls gelöst werden.

Autonomie-Diagramm vor den Aufstellungen
(Siehe unten) Ganz erhebliche Einschränkung der Autonomiewerte, besonders der Abgrenzung A und der Integration aggressiver Impulse C. Sehr hohe Symbiosewerte, insbesondere für D Überabgrenzung und E Dominanz.

Aufstellung Beziehung zu Julia
Clara stellt Julia – vertreten durch einen Stuhl - sich gegenüber in etwa 2 Meter Entfernung, ihre Selbstanteile stellt sie links von sich in etwa 3 Meter Entfernung, abgewandt zu ihr.
Das Bild zeigt: sie ist mit Julia mehr verbunden als mit ihren Selbstanteilen.

Zur Verdeutlichung der Grenze lege ich einen Schal zwischen sie und Julia, das empfindet sie als ungewohnt, aber erleichternd.
Sie überprüft, ab sie sich im Raum von Julia zuständig fühlt und tatsächlich hat sie immer noch das Gefühl, für sie verantwortlich zu sein.
Der klärende Satz: Du bist du und ich bin ich, du hast dein Schicksal und ich habe meines – fühlt sich ungewohnt, wie verboten an!
Ich stelle versuchsweise Julia neben sie, an den Platz, den eigentlich ihr Selbst einnehmen könnte: und auch das ist ihr vertraut. Offensichtlich gibt sie immer noch ihr die Aufmerksamkeit und die Wertigkeit, die eigentlich ihrem Selbst gebührt. So als sei das ihre Lebensaufgabe, der Sinn ihres Lebens.
Ihr wird bewusst, wie verwirrt ihr Gefühl ist und sie kann ihrem Verstand folgen und zu Julia sagen: du gehörst nicht in meinen Raum und schon gar nicht an den Platz von meinem Selbst! Du gehörst in deinen Raum! Und sie stellt Julia entschieden zurück in ihren Raum. Als nächstes sagt sie zu ihr: das ist mein Raum und ich habe mein eigenes Selbst! Und dabei holt sie ihr erwachsenes Selbst und stellt es rechts neben sich.
Das fühlt sich für sie neu, ungewohnt, fast verboten, aber nach einigem Überlegen sehr stimmig an.
Nun gibt sie ihr noch – symbolisiert durch einen Stein – ihr schweres Schicksal zurück, für das sie sich verantwortlich gefühlt hatte.
Annäherung an ihre Selbstanteile
Ihr erwachsenes Selbst, dass sich „ohne Schuldgefühle abgrenzen kann“, gefällt ihr sehr. Aber ihr wurde ja als Kind gesagt, dass das verboten sei. Hat sie es deshalb abgelehnt? Sieht sie es immer noch „durch die Brille der Eltern“?
Symbolisch legt sie die Brillen der Eltern ab, und als sie zum ersten mal die erwachsene Carla mit ihren eigenen Augen ansieht, strahlt sie und erkennt, dass das genau das ist, was ihr bisher gefehlt hat. Und – statt mit Julia – kann sie nun mit ihrem eigenen Selbst verschmelzen.
So verbunden mit ihrem erwachsenen Selbst kann sie sich nun der „kleinen Carla“ zuwenden. Auch sie hat sich „falsch“ gefühlt, weil sie eifersüchtig auf Julia war. Und nachdem sie noch einmal die Brillen der Eltern abgelegt hat, kann sie sehen, dass die kleine Carla „goldrichtig“ ist, und dass das die verwirrte Familie leider nicht gemerkt hat – und sie auch nicht! Sie würdigt, was die kleine alles ausgehalten hat – ohne dabei „ganz verrückt“ zu werden – und verspricht ihr, dass sie in Zukunft nicht mehr zulässt, dass sie verletzt und manipuliert wird, dass ihr Schuldgefühle gemacht werden, dass ihr „ins Hirm geschissen“ wird.
Nun kann sie sich mit beiden Selbstanteilen verbinden und fühlt sich vollständig.
Abgrenzung
Um so mit sich selber in Verbindung zu bleiben, muss sie ihrem eigenen Raum „in Besitz nehmen“ indem sie ihn gegenüber Julia abgrenzt. Auch das fühlt sich zunächst kalt und lieblos für sie an.
„Das ist gesund, da können Sie ihre eigene Kraft gesund für sich einsetzen. Wenn Sie sich da selber blockieren, dann richtet sich ihre Kraft gegen sie selber, dann werden sie depressiv, verwirrt oder bekommen unangenehme Krankheiten!“
Das leuchtet ihr ein und sie entscheidet sich, ihren Raum gegenüber Julia symbolisch zu schützen. Und von Mal zu Mal wird sie dabei entschiedener, ihr Gesicht strahlt, die Haltung verändert sich.
Gegenabgrenzung
Sie wurde ja geradezu dazu erzogen, sich in fremdem Territorium zuständig zu fühlen, daher konnte sie fremde Grenzen nicht wahrnehmen, geschweige denn respektieren. Das ist Teil ihrer Verwirrung. Und das kann sie jetzt gezielt ändern.
Sie geht auf Julia zu und diese – vertreten durch mich als Therapeut – stoppt sie an der symbolischen Grenze: „Da bist du gar nicht zuständig!“
Das tut weh, fühlt sich an wie Abweisung, wie nicht geliebt werden.
Nach und nach kann sie die Verwirrung ihrer Gefühle erkennen, und die Abgrenzung des Gegenübers als Erleichterung wahrnehmen: in „fremdem“ Gebiet, in dem sie gar nicht zuständig ist, erntet sie nicht Erfolg, sondern nur Ärger. Wenn sie daher diese Grenzen achten kann, oder wenn ihr der andere Grenze zeigt, dann kann sie sich besser ihren eigenen Dingen zuwenden.


Beziehungsklärung zur Mutter
Sie stellt auch die Mutter (vertreten durch einen Stuhl) sehr dicht sich gegenüber. Ihr erwachsenes Selbst ist weit entfernt, abgewandt, das kindliche versteckt hinter ihr.
Eine symbolische Grenze zwischen sich und der Mutter empfindet sie einerseits als erleichternd, gleichzeitig aber auch als schmerzhaft, so als sei etwas abgeschnitten.
Sie fühlt sich verletzt durch die Überforderung und durch die Schuldzuweisungen der Mutter. Sie hat damals sich selbst abgelehnt, hatte Todeswünsche. Jetzt kann sie sehen: diese Ablehnung, diese Todeswünsche hätten eigentlich eher der Mutter gegolten als ihr selber, und sie kann das aussprechen.
In Mutters Raum ist sie an den Plätzen des früh verstorbenen Vaters, am Platz von Mutters Selbst, am Platz der verstorbenen Schwester. Und sie fühlt sich auch verantwortlich in Mutters Raum.
In ihrem Raum hat sie der Mutter einen Platz gegeben, hat ihr die Aufmerksamkeit und die Wertschätzung, die eigentlich ihrem Selbst gebühren würde. Sie erkennt das Verwirrende an dieser Situation („Trojaner“) und kann ihr eigenes Selbst an den angemessenen Platz stellen – und die Mutter in ihren eigenen Raum, jenseits der Grenze.
Jeder dieser Schritte löst innere Widerstände aus, fühlt sich lieblos, egoistisch, vérboten an.
Ihr Gefühl ist sehr verwirrt.
Nach der symbolischen Rückgabe der für die Mutter übernommenen Last kann sie sich ihren abgespaltenen Selbstanteilen annähern und mit ihnen – statt mit der Mutter verschmelzen. Um in dieser Verbindung zu bleiben, nimmt sie ihren Raum dadurch in Besitz, dass sie ihn gegenüber der Mutter abgrenzt. Auch hier ist die Gegenabgrenzung wichtig.



Autonomiediagramm nach der zweiten Aufstellung
(Werte vor der Aufstellung gestrichelt)
(wird später ergänzt)

KOMMENTAR
Im Autonomiediagramm zeigt sich schon nach zwei Tagen eine deutliche Verbesserung aller Autonomiewerte. Die erhöhten Symbiosewerte sind - zunächst - nur wenig verändert.
Dies Fallbeispiel zeigt, welch dramatische Auswirkung auf die Autonomie-Entwicklung eine frühe Überforderung hat, zumal wenn sie mit einer extremen Abwertung der eigenen - gesunden – Gefühle einhergeht. Diese früh erworbene Verwirrung der eigenen Gefühle hat sehr wahrscheinlich in diesem Falle eine Psychose ausgelöst – und war wohl mit Ursache für die Krebserkrankung?
Auch hier spielt das verwirrende „Trojaner-Phänomen“ eine zentrale Rolle: die fremde Person ("Julia" bzw. "Mutter") am Platz des eigenen Selbst. Anscheinend kann ein "früh erworbener Trojaner" dazu führen, dass später andere Trojaner an Bord gelangen! So als würde der erste Trojaner die Grenze offen halten auch für andere Trojaner?