Das Phänomen einer fehlenden Abgrenzung kann auch die Zeitachse betreffen. Wenn ein Klient in der Vergangenheit eine traumatische Erfahrung gemacht hat, dann sehe ich häufig, dass dies Ereignis für ihn nicht vorbei und abgeschlossen, sondern auf eine unangemessene Weise präsent ist. In einer Aufstellung lässt sich das leicht überprüfen. Wenn man den Klienten einen Repräsentanten für das traumatische Ereignis (einen Stuhl) und einen Repräsentanten für den Selbstanteil aufstellen lässt, „der sich gegenüber dem vergangenen Trauma gut abgrenzen kann“ dann steht dieser „autonome“ Selbstanteil meist sehr entfernt, und das Trauma entweder sehr nah, oder – als Ausdruck einer Überabgrenzung bei fehlender gesunder Abgrenzung – sehr weit weg. Wenn der Klient durch einen Schal als Symbol einer Grenze ausdrücken soll, wo er Verbindung oder Distanz spürt, dann kann es sein, dass er die Grenze zwischen sich und dem Selbst wahrnimmt und das Trauma als zu seinem (Zeit-) Raum dazugehörig erlebt. Es gibt eine zweite Möglichkeit, diese Zusammenhänge zu überprüfen: der Leiter stellt den Trauma-Repräsentanten in den (Zeit-)Raum des Klienten und fragt ihn, wie sich das anfühlt und ob ihm das bekannt ist. Meist ist ihm das sehr vertraut. Das entspricht dem Phänomen eines Introjekts, oder salopp ausgedrückt eines „Trojaners“. Das Trauma am Platz des eigenen Selbst stört die Selbstregulation. Wenn der Leiter jetzt den Trauma-Repräsentanten entfernt aufstellt und als Symbol für die Zeitgrenze einen Paravent dazwischen stellt, kann es sei, dass der Klient unruhig und ängstlich wird, so als fühle er sich sicherer, wenn er das Trauma „im Blick“ hat. Das könnte man als illusorische Problemlösungs-Strategie interpretieren. Paradoxerweise ist es so, dass nicht das Trauma den Klienten nicht loslässt, nein, der Klient selber lässt das Trauma nicht los! Eine Lösung dieser Verwirrung ist auf der symbolischen Ebene möglich – analog den üblichen Schritten der Abgrenzung: * Der Klient selber stellt das Trauma an seinen Platz: in den Raum der Vergangenheit, * danach stellt er den Repräsentanten seines Selbst neben sich, * symbolisiert durch einen Stein kann er die festgehaltenen Gefühle von Angst, Panik, Verzweiflung, Verwirrung, die nicht ins „Heute“ gehören sondern ins „Damals“, wieder dahin legen, wohin sie gehören. * Er grenzt sich auf der Zeitachse gegenüber dem Trauma ab, * In der Gegenabgrenzung auf der Zeitachse erlebt er – z.B. durch den Therapeuten – dass er in der Realität gar nicht zurück in die Vergangenheit kann. In der Realität ist das Trauma vorbei und „mausetot“. Die Verortung in der Zeit und andere – wie ich sie nenne – Struktur-Elemente werden durch Trauma-Erfahrung verändert. Die symbolische Ebene der Systemaufstellung macht diese Veränderungen sichtbar und dadurch bewusst und ermöglicht durch gezielte Interventionen eine Veränderung in Richtung „mehr Autonomie“. *) ------------------------------------------ *) Vergl. Strukturniveaus bei Heinz Kohut: Die Heilung des Selbst. 1. Aufl. (Nachdruck; dt. Ausg. wurde vom Autor überarb. und ergänzt), Frankfurt am Main 2002, Reihe: Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft Nr. 373
danke für dieses Beispiel einer Lösungsmöglichkeit eines Traumas durch deine Art der Aufstellung. Ein Kennzeichen eines noch nicht gelösten bzw. verarbeiteten Traumas ist, dass es für den Betrofffenen noch nicht vorbei ist, obwohl es schon (längst) der Vergangenheit angehört. Das Ziel einer Traumatherapie ist daher, das der Traumatiesierte sowohl auf der körperlichen als auch auf der seelischen Ebene wahr- nimmt : "Es ist jetzt tatsächlich vorbei !" Der noch Traumatisierte steckt quasi teilweise noch in einer Art Schockstarre, die ihn subjektiv glauben lässt, dass die Gefahr noch anhält. Unbewusste mächtige Teile halten an dieser Illusion fest bis sie durch eine angemessene therapeutische Intervention "geireizt" werden, ihren Irrglauben aufzugeben.