Ich selbst habe Erfahrungen mit Rückführung nach Roger Woolgers gemacht und diese Methode einigemale praktiziert – z.T. mit guten Ergebnissen. Bei dieser Vorgehensweise wird der Klient dazu ermutigt, zu einem aktuellen Problem innere Bilder auftauchen zu lassen, die auf Ereignisse in einem früheren Leben hinweisen – so die Hypothese. Unterstützt durch den Therapeuten lässt der Klient diese Ereignisse auftauchen. Wie in einem Video kann er den „Film“ zurück oder vorwärts laufen lassen und so das Geschehen dieser früheren Inkarnation erfassen, bei dem er Täter – oder Opfer – war. Wichtig ist es jetzt, den Klienten in einen "Zwischenzustand" nach der damaligen Inkarnation zu führen ("Bardo") und auf sein damaiges Leben zurück blicken zu lassen. Wenn es ihm gelingt, das zu erfassen und zu würdigen, was er durch die Erfahrungen dieser Inkarnation „lernen“ konnte, dann kann diese Einsicht bewirken, dass er sich bei dem damaligen Gegenüber – Opfer oder Täter – dafür bedanken kann, dass dieser bereit war, seine Rolle zu spielen, die dem Klienten diese Erfahrung ermöglichte. Das versöhnt den Klienten mit dem eigenen damaligen Schicksal – und mit dem damaligen Gegenüber. Diese Versöhnung – so die Theorie – wirkt entlastend auch für den aktuellen Konflikt mit dem aktuellen Gegenüber – der möglicherweise ebenfalls eine Reinkarnation des damaligen Gegenübers sein kann – so jedenfalls die Theorie. Systemisch gesehen können diese Form der Rückführung einen Perspektivenwechsel bewirken. Der Klient kann seinen aktuellen Konflikt aus einer anderen Perspektive sehen, kann erkennen, dass die Täter- und die Opferrolle austauschbar sind. Das kann ihn dabei unterstützen, selber aus einer Opferrolle herauszukommen. So ungesichert auch die Hypothese einer Reinkarnation ist, dieser Aspekt kann heilsam sein.
Leider erfahre ich immer wieder von Klienten, die sich mit einem Problem an einen Therapeuten gewendet haben, dass sie von diesem – meist ungefragt – mit einer angeblichen Episode aus einem „früheren Leben“ konfrontiert wurden, in der Vorstellung, dadurch würde ihr aktuelles Problem gelöst. Anders als bei der Rückführung – z.B. nach Woolgers – bekommt der Klient durch diese Intervention keinen Perspektivenwechsel, der es ihm ermöglicht aus der eigenen Opferrolle herauszukommen. Im Gegenteil. Der Klient wird erneut Opfer eines Übergriffs – diesmal durch einen Therapeuten. Ohnehin wenig abgegrenzt – und daher sehr suggestibel – wird ihm von einem „Therapeuten“ zusätzliches Leid – angeblich aus einer früheren Inkarnation - „auf die Seele gebunden“, wo er doch schon genug Probleme damit hat, sich gegenüber eigenen leidvollen Erfahrungen aus dieser Inkarnation abzugrenzen. Hier erscheint der „Therapeut“ als überlegene Autorität. Ohne den Klienten um Erlaubnis zu fragen, behauptet er, einen Zugang zu „früheren Inkarnationen“ des Klienten zu haben – den dieser selber gar nicht besitzt. Das ist nicht Therapie, sondern emotionaler – und finanzieller! - Missbrauch. Das fördert nicht Autonomie sondern Abhängigkeit von einer fremden Autorität.
Die eingangs geschilderte Form der Rückführung – z.B. nach Woolgers – liesse sich wahrscheinlich mit Systemaufstellung verbinden. Es kann sein, dass andere damit Erfahrungen haben. Ich selber konzentriere mich (noch) darauf, die systemische Selbst-Integration weiter zu entwickeln. München, 28.6.2015.