Ich möchte von einem neuen Phänomen berichten, das in der Arbeit mit der SSI aufgetaucht ist, und dessen Wahrnehmung unerwartete und rasche Lösungen ermöglicht.
Die Methode der SSI kennt ja verschiedene Interventionen, welche eine bisher gestörte Beziehung zum eigenen Selbst verbessern können: unter anderem das Abgeben übernommener Rollen, die Befreiung von übernommenen Introjekten, das Zurückgeben fremder Lasten, und schliesslich das „Ablegen einer fremden Brille“, welche bisher die Achtung und Wertschätzung für das eigene Selbst erschwert hat. Meist gelingt danach eine gute Verbindung mit den eigenen Selbstanteilen. Aber gelegentlich ist die Verbindung noch blockiert. Die KlietIn spürt das, aber auch die Repräsentanten der Selbstanteile nehmen das wahr. Einige Beispiele sollen das erläutern.
Adler-Liga Im Fallbeispiel „Adler-Liga“ (auf dem Blog der homepage) ging es um einen Klienten, einen stiernackigen „Kraftmenschen“, der es geschafft hatte, im Familienbetrieb die älteren Brüder zu dominieren, sodass es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ihnen gekommen war. Bei der Annäherung an sein Selbst fühlte sich der Repräsentant des erwachsenen Selbst ihm gegenüber klein. Ich liess den Klienten symbolisch auf einen kleinen Hocker stellen, als wäre er auf einer höheren Ebene. Und er strahlte! Diese Überlegenheit den Anderen gegenüber entsprach offensichtlich seiner Selbstwahrnehmung. Er war dadurch nicht auf dem Boden. Er konnte dadurch anderen nicht auf Augenhöhe begegnen, weil er sich ihnen überlegen fühlte. Und offensichtlich hatte er eine „so hohe Meinung von sich“, dass er sich auch gegenüber seinem eigenen Selbst überlegen fühlte! Daher konnte er selber sein eigenes Selbst gar nicht schätzen – und nicht mit ihm verbunden sein! Nachdem er sein Überlegenheitsgefühl auf dem Schemel noch ein mal „genossen“ hatte, und sich der Folgen dieser Selbst-Überschätzung bewusst geworden war, konnte er vom Schemel herunter. Jetzt fühlte der Repräsentant seines Selbst Verbindung zu ihm. Um die Verbindung noch zu verbessern, schlug ich ihm vor, zu seinem Selbst zu sagen: „Anscheinend habe ich dich bisher nicht geachtet. Das hat nichts mit dir zu tun! Und das hast du nicht verdient!“ Danach atmeten beide(!) erleichtert auf und konnten in einer Umarmung ihre Verbindung spüren. Es zeigt sich immer wieder: das Selbst ist dem Klienten nicht „böse“, egal was der auch „angestellt“ hat. Aber es braucht die Achtung des Klienten!
Spiritualität Eine sehr traumatisierte Klientin hatte schon viele Traumata bearbeitet, aber immer noch gelang ihr nicht die Verbindung mit ihrem Selbst. Sie hatte sich lange mit Spiritualität beschäftigt, und dadurch ein subtiles Überlegenheitsgefühl anderen gegenüber entwickelt – bei aller gebotenen - und daher auch demonstrierten! - Bescheidenheit. Der „Schemel-Test“ machte ihr das bewusst, und sie konnte wieder von ihrem Schemel herunter und ganz auf den Boden ankommen.
Dissoziation Ein Klient, der als Kind schlimme Demütigungen seines Vaters erlebt hatte, und sich unter den Gleichaltrigen als nicht zugehörig ja als Sonderling fühlte, spürte wenig Verbindung zu seinem kindlichen Selbst. Durch den „Schemeltest“ wurde ihm bewusst: er wollte sich gegenüber diesem Schmerz unempfindlich machen, um ihn nicht mehr zu spüren. Und er lehnte auch das damalige Kind ab. Als er symbolisch von Schemel herunter stieg, und zu seinem kindlichen Selbst sagte: „Du gehörst zu mir! Heute sehe ich deinen Schmerz von damals, und heute lasse ich dich damit nicht mehr alleine!“ löste das bei ihm eine sehr befreiende emotionale Reaktion aus. Und er konnte sein kindliches Selbst liebevoll in den Arm nehmen. Nachdem er sich so mit seinem inneren Kind versöhnt hatte, war es ihm auch möglich, sich mit seinem schon lange verstorbenen Vater zu versöhnen. Den alten Groll, den er noch festgehalten hatte, konnte er loslassen, und symbolisch seinen Segen nehmen.
Kommentar Die ersten zwei Fallvignetten zeigen unterschiedliche Varianten der Dynamik einer – oft unbewussten – Selbstüberhöhung. Sie ist meist Kompensation einer erheblichen Selbstwertproblematik als Folge früh erlebter Traumata, und kann daher als Überlebensstrategie verstanden werden. Sie entspricht der Dynamik des „Narzismus“. Sie erschwert die Selbstverbindung. Im dritten Beispiel geht es nicht um eine Überhöhung des Klienten. Bei der Dissoziation entsteht die Distanz zum kindlichen Selbst, einmal durch eine übernommene Abwertung des kindlichen Selbst und zum anderen durch die Abspaltung des Schmerzes.
Der „Schemeltest“ macht die Zusammenhänge deutlich. Das ermöglicht eine Lösung – wenn der Betroffene dazu bereit ist. Ero Langlotz 10.4.2018