In der Arbeit mit der Systemischen Selbst-Integration (SSI) wird mir immer deutlcher, dass diese drei Phänomene miteinander zusammen hängen: Der frühe Verlust – z. B. eines Geschwisters oder einer wichtigen Bezugsperson – führt meist zu einem ausgeprägten Symbiosemuster. Und dies erschwert später das Abschiednehmen ganz allgemein, nicht nur von dieser Bezugsperson, sondern auch von anderen Personen. Verlust und Symbiose Die Fähigkeit zur Abgrenzung als Voraussetzung für Selbstverbindung und Autonomie entwickelt sich in der Phase bis zur Pubertät. In dieser frühen Phase ist eine Beziehung zu einer Bezugsperson noch symbiotisch geprägt („gesunde“ Symbiose). Bei Trennung oder Verlust ist daher ein Abschied noch gar nicht möglich. Die verlorene Person wird als Introjekt im eigenen Raum gehalten, am Platz des eigenen Selbst. Dadurch ist die SELBST-Verbindung beeinträchtigt, und die Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich erschwert und damit auch die Abgrenzung. Durch einen frühen Verlust entsteht aus der „gesunden“ Symbiose eine fixierte oder destruktive Symbiose. Symbiose und Abschied Dies Symbiosemuster wiederum erschwert auch später den Abschied, nicht nur zu dieser verlorenen Bezugsperson, sondern auch zu jeder anderen geliebten Person. Und das gleich auf mehrfache Weise! Wenn ich den anderen als Teil von mir sehe, als wäre ich nur vollständig mit ihm, dann erlebe ich Trennung und Abschied wie Amputation, schmerzhaft und lebensbedrohlich. Umsomehr, wenn ich selber noch keine Ahnung habe von dem, was dieses entstehende „Loch“ füllen könnte: wenn mir mein SELBST noch gar nicht bewusst, bekannt geworden ist. Als wäre das nicht schon genug, kommt noch ein weiterer Aspekt dazu, der Trennung und Abschiednehmen erschwert: Da ich emotional unabgegrenzt bin, das heisst mehr beim Anderen und dessen Gefühlen und Bedürfnissen, spüre ich zusätzlich auch noch seinen Trennungsschmerz, verbunden mit einem Gefühl der Schuld, so als würde ich ihn durch Abgrenzung und Abschiednehmen verraten! Das führt regelmässig zu einem unbewussten Abgrenzungsverbot. Dies ist ein zentraler Aspekt des Symbiosemusters und bestimmt alle Beziehungen. Da die Betroffenen nur symbiotische Beziehung kennen - eine partnerschaftliche Beziehung ist ihnen fremd - erleben sie dann Abgrenzung als beziehungsfeindlich.
Verlust-Trauma Für die Betroffenen ist es unvorstellbar, wie sehr dies Symbiosemuster alle ihre Beziehungen bestimmt hat – sie kennen ja keine Alternative. Wenn ihnen die Zusammenhänge bewusst werden, dann scheint ihnen dies Dilemma unauflösbar. Zumal ihnen dieser frühe Verlust und dessen Auswirkungen bisher gar nicht bewusst war. Ein früher Verlust kann entscheidend die eigene Autonomie-Entwicklung beeinträchtigen. Wir bezeichnen ihn daher als Verlust-Trauma.
Lösung Das Konzept und das Setting der SSI macht diese komplexe Dynamik bewusst, sodass eine rasche und wirksame Lösung des Symbiosemusters gelingen kann. Dadurch erst wird ein Abschiednehmen möglich.
Lösung des Symbiosemusters Zunächst wird das Symbiosemuster bewusst gemacht und gelöst. Das bisher fehlende und unbekannte Selbst wird durch einen Repräsentanten sichtbar und spürbar. Das erleichtert den Abschied und das Loslassen des geliebten Anderen. Zumal auch der andere erst durch diese Lösung mehr Verbindung zu seinem Selbst bekommt. Im Ritual der Abgrenzung wird dann das unbewusste Abgrenzungsverbot deutlich, dass bisher das eigene Beziehungs-Verhalten geprägt hat. Erst wenn durch die Abgrenzung der eigene Raum frei geworden ist, der eigentlich dem eigenen SELBST zusteht, dann ist auch die Verbindung mit diesem Selbst möglich, dass sich „vollständig fühlt auch ohne den anderen“ und dass „seinen Wert in sich hat, unabhängig davon ob es gebraucht wird.“ Abschiednehmen Erst nach der Lösung des Symbiosemusters kann die KlientIn wahrnehmen, dass sie bisher die geliebte Person festgehalten hat, sodass diese nicht frei war, unbeschwert ihren eigenen Weg zu gehen – bei Verstorbenen „ins Licht“ - und sie selber auch nicht frei war, unbeschwert ihren eigenen Weg zu gehen. Um aus dieser „Lose-Lose-Situation“ eine „Win-Win-Situation“ zu machen, muss sie die geliebte Person loslassen. Diese Einsicht macht es ihr leichter, den Abschiedsschmerz auszuhalten, der gesetzmässig mit dem Abschiednehmen verbunden ist – auch wenn der Verlust schon Jahrzehnte zurück liegt! Dieser Abschiedsschmerz ist daher „gesund“. Er löst das Anhaften am Vergangenen, ermöglicht den Schritt ins „Hier und Jetzt“ und öffnet den Blick auf Morgen.
Abschiednehmen bedeutet daher für beide Betroffenen Gewinn und nicht Verlust. Zumal in der Realität der Verlust ja lange zurück liegt, aber emotional noch nicht vollzogen wurde.
Mein Vater ist gestorben, als ich 9 Jahre alt war - wir hatten ein schwieriges Verhältnis und im Grunde hatte ich seine Existenz ziemlich verdrängt ... doch dann kam sein Tod ... Für meine Mutter war ich ab diesem Zeitpunkt der Ersatzpartner, meine Kindheit war mit 9 Jahren im Grunde vorbei. Es gab keinen wirklichen Abschied vom Vater - und wenn ich mich im Laufe meines Lebens von einem Partner getrennt habe (und nicht selbst die Verlassene war), so wurde der Trennungsschmerz des Partners fast größer und stärker von mir empfunden, als mein eigener. Dieses „Symptom“ war mir immer ein Rätsel - bis ich „Verlust-Symbiose-Abschied“ gelesen habe ... Nun weiß ich, wie die nächsten Schritte aussehen könnten. Lieben Dank, Herr Langlotz!