URRELIGION, HIERARCHIE UND KOLLEKTIVE SELBST-ENTFREMDUNG
SELBSTREGULATION Überall in der Natur, in den Beziehungen zwischen den Vertretern der gleichen Spezies, zwischen verschiedenen Spezies, ja auch zwischen Tieren und Pflanzen finden wir das Prinzip der Selbstregulation. Die globale Explosion von Gewalt und Zerstörung zeigt, dass der Mensch keine Selbstregulation kennt. Hat die Natur vergessen, den Menschen mit Selbstregulation auszustatten? Wohl kaum. Aber es scheint, der „homo sapiens“ hat seine Intelligenz dazu missbraucht, diese Selbstregulation auszuhebeln! Homo sapiens ist die einzige Spezies, die in grossem Umfang nicht nur Wildtiere dazu abgerichtet hat, um sie zu benutzen, sondern auch Angehörige der eigenen Spezies, als SklavInnen und Leibeigene. Zusammen mit dem Land, das die Leibeigenen bewirtschafteten, gehörten sie zum Besitz der Herren (Adel und Klerus), und konnten mit dem Land verkauft werden.
VERLUST DER ACHTUNG Die globale Explosion von Gewalt und Zerstörung beruht darauf, dass wir Menschen die Achtung verloren haben, vor der Erde und der Natur, und die wir benutzen, ausbeuten und zerstören, statt sie zu schützen, da sie unsere Lebensgrundlage ist. vor dem anderen, den wir benutzen, ausbeuten und vernichten, so als hätten wir ein Recht dazu, statt ihm auf Augenhöhe zu begegnen, in einem ausgewogenen Austausch von Geben und Nehmen. Dadurch verlieren wir unsere Würde, die Achtung für uns Selbst. In unserem Innersten gibt es einen Teil, unser Wesen, unser SELBST, das weiß um diese Verbindung mit dem größeren Ganzen. C.G. Jung nannte es „den göttlichen Funken in uns.“ Indem wir die Verbindung zu diesem Selbst verlieren, geht das Bewusstsein verloren, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Wir verlieren die Verbindung mit diesem größeren Ganzen, der Erde, der Natur, dem TAO, der Transzendenz.
EIN RITUAL DER ACHTUNG kann uns helfen, wieder eine Verbindung mit unserem SELBST zu spüren, dass sich als Teil des größeren Ganzen weiß. Besonders wirksam ist ein solches Ritual in der Gruppe. Dazu stellen wir uns im Kreis auf und fassen uns an den Händen. Als Vorbereitung erinnern wir uns an eine Situation, als wir tief berührt waren durch das Erleben der Natur. Der Teil in uns, der da berührt wurde, ist unser Wesen, unser SELBST.
Zunächst verneigen wir uns tief, drei Atemzüge lang, vor dem Größeren Ganzen, das uns hervorgebracht hat, das uns trägt und nährt, und dessen Teil wir sind: das Transzendente, der Kosmos, oder die Natur oder „Mutter Erde“, oder dem TAO. Dadurch spüren wir in uns den Teil, der sich dieser Verbindung bewusst ist: unser Wesen, unser SELBST. Dies SELBST hat durch diese Verbindung mit dem Größeren eine Würde, einen Wert in sich, unabhängig davon, ob es etwas leistet oder ob es gebraucht wird oder nützlich ist. Im Bewusstsein, dass auch unser Gegenüber ein Teil des größeren Ganzen ist, verneigen wir uns auch vor dessen Selbst – auch wenn er selber mit seinem SELBST nicht verbunden ist. Und da auch wir unser eigenes SELBST nicht geachtet haben, verneigen wir uns schließlich vor dem Selbst in uns. So bekommen wir ein Gespür für unser SELBST, diese innere Instanz, die sich verbunden fühlt mit dem größeren Ganzen, und daher ihre Verantwortung kennt für das größere Ganze, das uns hervorgebracht hat, das uns trägt und nährt. Dieser innere Kern unseres Selbst ist unzerstörbar und er kann nicht verloren gehen. Ich wiederhole: durch die Verbindung mit dem größeren Ganzen hat jeder Mensch seine Würde in sich, das heißt unabhängig davon, ob er etwas leistet oder ob er nützlich ist oder gebraucht wird – so wie eine Rose ihren Wert alleine dadurch hat, dass sie da ist. Je besser wir mit diesem SELBST verbunden sind, umso besser können wir selbstbestimmt leben, in Achtung für den anderen und mit Verantwortung für unsere Erde leben.
UR-RELIGION UND GEMEINSCHAFT Durch diese Wieder-Verbindung (Re-Ligio) mit dem größeren Ganzen, und damit auch mit unserem SELBST entsteht unter uns eine Gemeinschaft der Ebenbürtigen. Die Beziehungen geschehen auf Augenhöhe und sind geprägt von einem gegenseitigen Austausch im Geben und Nehmen. Wiederverbindung heisst RE-LIGIO. Diese Haltung könnte man daher als UR-RELIGION bezeichnen.
Wenn wir uns auf diese Sicht, auf diese Erfahrung einlassen, dann spüren wir einen gemeinsamen Boden, der uns verbindet. Dann können wir einen kritischen Blick auf unsere Gegenwart und die globale Zerstörung werfen. Dann erkennen wir, dass an die Stelle einer Ur-Religion der Ebenbürtigen heute die Macht einiger Weniger auf Kosten der Mehrheit getreten ist, mit dem Prinzip „Ober sticht Unter“.
HIER-ARCHIE Die hierarchisch gegliederte Gesellschaft (Hierarchie = Heilige Herrschaft), kennt Oben und Unten, kennt Herrschen und Dienen. Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Der Mensch ist wie gesagt die einzige Spezies, die ihre Intelligenz dazu benutzt (missbraucht?) hat um Angehörige der eigenen Spezies wie Haustiere zu besitzen und zu benutzen: Sklaverei und Leibeigenschaft. Das führte zu einer unglaublichen Anhäufung von Macht einer Minderheit der Mächtigen. So war die Entwicklung der so genannten „Hoch-Kulturen“ mit Wissenschaft, Technik und Kunst möglich. 20% der Bevölkerung – die „Herren“ verfügten über 80 % der Bevölkerung – die „Leibeigenen“. Diese gehörten zum Besitz der „Herren“, zusammen mit dem Land, das sie bearbeiteten. Sie wurden zur Leibeigenschaft gezwungen, durch nackte Gewalt und die Not. Und durch eine Doktrin, die sie dazu erzog, „in Freuden zu dienen – und zu leiden“, um dafür im Jenseits belohnt zu werden. Während die „Herren“ - der Adel und der Klerus – schon im Diesseits geniessen konnten. Diese (kirchliche) Doktrin bewirkte gezielt eine kollektive Selbstentfremdung, indem sie die angeborenen Würde des Einzelnen („Erbwürde“), und sein Recht auf Selbstbestimmung leugnete. Sie redete ihm ein, durch die Erbsünde von Geburt an schuldig zu sein. Dadurch nahm sie ihm sein SELBST und damit auch sein Bewusstsein, einen unmittelbaren Zugang zur Transzendenz zu haben. Die Kirche beanspruchte für sich das Monopol der Verbindung mit der Transzendenz. Indem sie dem Einzelnen eine direkte Verbindung zur Transzenden absprach, nahm sie ihm seine Würde und machte ihn so gefügig für Unterwerfung und Gehorsam gegenüber den „Herren“: den Fürsten und der Kirche und ihren Priestern. Sie erzeugte dadurch ein Bedürfnis - nach „Erlösung“ - für das sie selbst das Monopol beanspruchte. (Ein kapitalistisches Prinzip!)
DIE BOTSCHAFT JESU Die Kirche beruft sich auf Jesus. Aber Jesus predigte den Menschen, dass sie Gottes Kinder seien. Erb-Würde statt Erbsünde. Und in Jesu Sprache, dem aramäischen lautet das „Vater unser“ ganz anders (in einer Version von Joachim Ernst Berendt):
Mutter-Vater alles Geschaffenen! Dein Name und Deine Schöpfung sei heilig uns allen Dein Ewiges Sein wirke in uns. Christi Liebe geschehe - auch in mir und durch mich. Deine Nahrung gib Seele und Leib - auch den Armen, Unterdrückten, Fremden. Vergib uns! Wie ich vergebe. Führe und schütze uns auf all unsern Wegen. Befreie und heile uns ganz. Denn Du bist das Sein und die Liebe und das Licht in Ewigkeit. Amen.
Jesus wandte sich gegen die korrupte Priesterschaft, die sich mit der römischen Besatzung verbündet hatte und die Bevölkerung durch Steuern in Armut trieb. Und er ging zu den Ausgestoßenen und Verfehmten. Deswegen wurde er von der römischen Besatzungsmacht am Kreuz zu Tode gefoltert. Warum hat die Kirche Jesu Botschaft ins Gegenteil verkehrt? Für Jesu Jünger und Jüngerinnen (es gab auch ein Evangelium der Maria Magdalena, das im 4. Jahrhundert aus dem Bibel-Kanon ausgeschlossen wurde) war der Kreuzestod ihres Messias ein doppeltes Dilemma: wie liess sich dieser schändliche Tod am Kreuz mit Jesu Botschaft verbinden, Gottes Reich auf Erden zu errichten? Und als Anhänger eines zum Kreuzestod verurteilten Verbrechers waren sie ebenfalls gefährdet. Es war vor allem Paulus, der durch eine geschickte Umdeutung das doppelte Dilemma löste. Nach der von ihm entwickelten „Kreuzestheologie“ war es Gott selber, der durch seinen „Heilsplan“ den „Opfertod“ Jesu am Kreuz veranlasste, um „die Menschen von ihren Sünden zu erlösen.“ Pontius Pilatus durfte „seine Hände in Unschuld waschen“, dafür wurde den Juden die Schuld zugeschoben. Durch diesen Schachzug – Psychologen würden das als „Identifikation mit dem „Aggressor“ bezeichnen – ließen die Verfolgungen der jungen Gemeinden nach, ja die Kirche wurde sogar zu römischen Staatsreligion! Doch diese Überlebensstrategie hatte ihren Preis: Jesu Botschaft wurde nun ins Gegenteil verkehrt. Nur in der christlichen Spiritualität hat sich etwas von seiner Botschaft erhalten, von der Kirche mehr geduldet als gefördert. Und die Juden und Jüdinnen wurden über Jahrtausende wegen „Gottesmord“ grausam verfolgt bis hin zum Holocaust.
ALLIANZ VON THRON UND ALTAR Diese unheilige Allianz zwischen Thron und Altar wurde als „Heilig“ bezeichnet (Hier-Archie), um das damit verbundene Unrecht zu verschleiern. Um ihren unberechtigten Anspruch auf Macht zu begründen, beriefen die Mächtigen sich auf das Konstrukt eines „Allmächtigen Gottes“, das sie nach ihren eigenen Machtfantasien ausgestaltet hatten. („Nach ihrem Bilde formten“) Und sie benutzten dies Zerrbild, um Menschen für ihre eigenen Allmachtsansprüche gefügig zu machen. Durch diese kollektive Konditionierung zur SELBST-Entfremdung entstand über Jahrtausende eine Untertanen-Mentalität.
Diese Allianz von Thron und Altar wurde ergänzt und abgelöst durch eine andere „unheilige“ Allianz zwischen Regierungen und den übermächtig gewordenen Konzernen. Diese orientieren sich ausschliesslich an ihrem eigenen Profit – und nicht nach den Bedürfnissen der Bevölkerung, z.B. nach bezahlbaren Wohnungen, nach einer gesunden Umwelt, nach einer Arbeit, die Auskommen und Zukunftsperspektive ermöglicht für sie und ihre Kinder und Enkel.. Ganz einfach, weil das ihren eigenen Profit mindern würde. Ihre Macht und ihr Geld missbrauchen sie, indem sie diese Zusammenhänge verschleiern, und die Regierungen beeinflussen. Den einzelnen, die sich von sich abhängig gemacht haben, vermitteln sie das Gefühl, nur dann etwas wert zu sein, wenn sie nützlich sind, wenn sie etwas leisten, oder wenn sie konsumieren und dadurch den Gewinn der Mächtigen steigern. Die anderen, die nicht mehr oder noch nie „nützlich“ waren, werden „abgehängt“: Kranke, Alte, Langzeitarbeitslose, Behinderte. Die Politik setzt dem nichts entgegen, im Gegenteil, sie wird immer mehr zum Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft. (Merkelś Maxime: die Demokratie marktkonform machen). Diese Entwicklung bedroht das Überleben der Menschheit, und damit auch das Überleben der 20% Mächtigen. Aber diese scheint das nicht von ihrem Kurs abzubringen. Das erinnert an die Dynamik eines Krebsgeschwulstes: Körpereigene Zellen verlieren ihre Selbstregulation, sie wachsen und wachsen und zerstören nach und nach alle lebenswichtigen Organe, sodass schliesslich der ganze Organismus stirbt – und mit ihm das Krebsgeschwulst.
VERLUST DER SELBSTREGULATION So wie ein Krebsgeschwulst so hat auch die Menschheit ihre Selbstregulation verloren. Bei allen Lebewesen finden wir Selbstregulation. Um die Macht einer Minderheit zu steigern, war der homo sapiens so „clever“, das „Organ“ der Selbstregulation auszuschalten, mit dem die Natur uns ausgestattet hat: das SELBST. Das SELBST, das sich als Teil eines größeren Ganzen wei, und sich deshalb dafür verantwortlich fühlt. Es ist dadurch das „Organ“ der Selbstregulation. Wie wir in der therapeutischen Arbeit sehen, ist Verbindung mit dem SELBST die Voraussetzung für das selbst-bestimmte Leben eines jeden Einzelnen. Und wenn der einzelne erkennt, wie sehr er selber, durch eine Konditionierung durch traumatisierende Erfahrungen seinem Selbst entfremdet ist, kann er selber („do it yourself“) oder mit fachlicher Hilfe zu mehr SELBST-Verbindung und Autonomie kommen. SELBST-Verbindung ist aber auch die Voraussetzung für ein konstruktives Zusammenleben innerhalb des Kollektivs. Diese kollektive SELBST- Entfremdung und -Entwürdigung hat über Jahrtausende auf uns eingewirkt, im Sinne einer kollektiven Konditionierung. Die Vielen haben „gelernt“, sich zu unterwerfen, auf ihre eigene Meinung zu verzichten und keinen Widerstand zu leisten und sich missbrauchen zu lassen. Milgram hat in seinem bekannten Experiment diese verbreitete Untertanen-Mentalität – er nannte das „Autoritäts-Gehorsam“ -- als Ursache des Holocaust-Verbrechens beschrieben, und als Gefahr für das Überleben der Menschheit erkannt. Seine Forderung, diese Zusammenhänge noch mehr zu erforschen, wurde bis heute nicht erfüllt. Im Gegenteil er wurde für seine Ergebnisse kritisiert und beschuldigt. Er wäre heute 80 – drei Jahre älter als ich – aber er starb schon mit 51 Jahren an Herzinfarkt. Heute sehen wir immer deutlicher: Dieser „Autoritäts-Gehorsam“ ist nicht angeboren, sondern anerzogen. Er ist ein Aspekt dieser kollektiven Konditionierung zur Selbst-Entfremdung, die auf uns gewirkt hat, ohne dass es uns bewusst ist. So wichtig auch Aufklärung und Demokratiebewegung waren, diese Konditionierung lassen sich durch Appelle an die Vernunft alleine nicht lösen. Das ist die Ursache für die kollektive Selbstdestruktion, die immer mehr unseren Globus bedroht.
KOLLEKTIVE DE-KONDITIONIERUNG Diese kollektive Konditionierung zur SELBST-Entfremdung kann nur durch eine kollektive DEKONDITIONIERUNG gelöst werden. Das mag vielen unmöglich erscheinen. Aber die zunehmende Krise ist auch eine Chance dafür, dass immer mehr Menschen aufwachen und bereit sind, sich dieser Zusammenhänge bewusst zu werden. Und wenn homo sapiens so „clever“ war, sich selber seinem SELBST zu entfremden, dann hat er auch die Fähigkeit, sich von dieser Konditionierung zu befreien, um sich selber und seinen Kindern ein Überleben zu ermöglichen. 1. Es gibt bereits viele Gruppen, die unter dem globalen Zerstörungs-Szenario leiden, dabei nicht resignieren und mit Alternativen Lebens-Modellen experimentieren. Sie möchte ich durch diese Überlegungen unterstützen. Vielleicht merken sie selber, dass sie noch in ihrem Denken und Handeln blockiert sind durch die eigene unbewusste Konditionierung. Das Konzept der „systemischen Selbst-Integration“ bietet Anweisungen zum „Do it yourself“ an, für einzelne, oder besser für Gruppen, die sich gegenseitig bei diesem Prozess der Dekonditionierung unterstützen können.
2. Wenn sich diese Gruppen vernetzen – das ist ja die Chance des Inter-Net – dann potenziert sich ihre Kraft.
3. Zugegeben, die Zusammenhänge sind komplex und eine gezielte Desinformation der Mächtigen trägt einen grossen Teil zur Verwirrung bei. Wenn wir es wagen, uns von „Autoritäten“ unabhängig zu machen wenn wir unser Denken befreien von konventionellen Konditionierungen, dann werden wir uns bewusst, dass unser Überleben von der Erhaltung unserer Erde abhängt. Das hat Priorität vor allen anderen Interessen. Dann lernen wir zu unterscheiden zwischen den beschönigenden, verharmlosenden Worten der Politiker und Konzerne einerseits, - durch die sie uns verwirren und entmutigen wollen - und ihrem tatsächlichen destruktiven Verhalten andrerseits. Wenn wir uns vernetzen, und gemeinsam öffentlich für unsere Interessen einsetzen, dann werden sich auch Politiker finden, die wirklich unsere Interessen vertreten. Ero Langlotz, München, 01.06.2018