Von Franz Ruppert eingeladen, nahm ich an einem Aufstellungsabend teil. Eine Klientin - selber Therapeutin - sucht einer Repräsentantin für ihr Anliegen: sie kann beruflich und privat den Kontakt nicht halten, nicht "dranbleiben", und hält die Repräsentantin für ihr Anliegen, eine junge lebendige Frau, mit beiden Händen. (Sie hatte bereits als Säugling ein Verlassenheitstrauma). Die Repräsentantin des Anliegens spürt Trauer, freut sich aber, dass die Klientin sie anfasst. Sie wünscht sich Nähe und die Klientin, einem inneren Impuls folgend, legt eine Arm um sie. Das "Anliegen" ( anscheinend ist die Repräsentantin an den Platz des verlassenen inneren Kindes gekommen?) freut sich darüber, kann sich aber nicht fallen lassen. Sie hat das Gefühl, nicht gehalten zu werden, selber stehen zu müssen. Die Klientin ist ratlos, scheint sich überfordert zu fühlen. Ihr kommen Sätze in den Sinn: "stell dich nicht so an, es ist doch nicht so schlimm. Angst kann auch was Gutes haben!" Das "Anliegen" wird ruhig, spürt keine Trauer, keine Angst mehr. Aber sie fühlt sich nun sehr alleine. Ratlos und hilfesuchend schaut sie auf die Klientin. Die ist selber ratlos. Das alles kennt sie so genau von sich selber. Was soll sie tun? Du, Franz, warst sehr achtsam dabei. Du hast nur ganz sparsame, aber sehr klärende Interventionen gegeben. Du hast die Klientin darauf aufmerksam gemacht, wann sie - und korrespondierend ihr inneres Kind - wieder aus dem Kontakt zum Gefühl herausging, sich an Überlebensstrategien festhielt, die aus dem "Kopf" kamen, letztendlich den Standpunkt der eigenen Mutter widerspiegelten. Mein Eindruck: durch Rupperts Art der Aufstellung wurde sehr schnell und präzise das innere Drama der Klientin deutlich: ein ungelöster Konflikt zwischen ihrem "inneren verlassenen Kind" und der verinnerlichten "überforderten Mutter". Sie selbst übernahm beide Rollen, machte die innere Spaltung deutlich, die Sehnsucht des "Inneren Kindes" nach Nähe, ein Stück weit die Bereitschaft der Klientin, auf das verlassene innere Kind zuzugehen, dann aber der Rückzug auf die Überlebensstrategie des "funktionierenden" Teils, der offensichtlich mit der überforderten Mutter identifiziert war. Sehr klar und behutsam hat Ruppert den Zusammenhang mit dem Thema "den Kontakt nicht halten zu können", deutlich gemacht. Seine letzte Intervention war der Satz, den die Klientin zu dem Anliegen sagen sollte: "ich mache den Kontakt zu dir und ich breche ihn wieder ab"! Für die Klientin - und für die 50 gebannt folgenden Teilnehmer - war diese Botschaft sehr eindrücklich. Anschliessend hatten wir beide die Gelegenheit, bei einem Glas Bier uns auszutauschen. Es war schön, zu sehen, dass wir beide uns weit vom Hellingerschen Aufstellen entfernt haben, weil uns die Themen Symbiose und Autonomie soviel wichtiger wurden als allein die Versöhnung mit den Eltern. Und dass das Aufstellen hervorragend geeignet ist, diese Zusammenhänge zu studieren und Lösungen zu entwickeln. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Identifizierung mit dem Standpunkt der "überforderten Mutter" und der dadurch bedingten Distanz zum "verlassenen Kind" kann deutlich werden. Die Klientin steht, bildlich besprochen, "in den Pantoffeln der Mutter", sieht sich und die Welt "durch Mutters Augen". Ich hab Ruppert kurz meine, etwas direktiveren Lösungsstrategien zu erklären versucht. Durch den Aufstellungsabend bei Ruppert wurde mir deutlich: Die Spaltung zwischen dem "funktionierenden Teil" und dem verlassenen inneren Kind wird dynamisch "von beiden Seiten aufrecht erhalten"! Die Klientin hat Angst vor den Gefühlen des "verlassenen Kindes", und das "verlassene Kind" spürt, dass es mit seinen Verlassenheitsgefühlen von der Klientin nicht gehalten wird, und unterdrückt diese Gefühle. Der beginnende zarte Kontakt zwischen dem "erwachsenen" und dem "kindlichen" Teil wird so abgebrochen - von beiden. Mir wurde auch ein möglicher "Sinn" dieser Spaltung klar: Es besteht bei Traumatherapie immer die Gefahr, dass der Klient - solange er nicht mit seinem erwachsenen Selbst verbunden ist - sich mit dem verlassenen Kind identifiziert, das heißt, dass er überrollt wird von den Verlassenheitsängsten, der Verzweiflung, dem Gefühlschaos des verlassenen Kindes. Ich hab das einmal sehr dramatisch erlebt: ein "gestandener Mann", selber Therapeut, wurde bei der Annäherung an sein "verlassenes inneres Kind" geschüttelt von Angst und Verzweiflung, war buchstäblich "von Sinnen". Ich konnte den Klienten damals nur dadurch aus seiner "Trauma-Trance" herausholen, dass ich ihm Sprudelwasser über den Kopf schüttete, um ihn so wieder ins "Hier und Jetzt" brachte. Möglicherweise hat Ruppert ähnliche Erfahrungen gemacht - und ist deshalb so behutsam, beschleunigt deshalb nicht die Annäherung an das verlassene Kind?
Meine Konsequenz für die Lösungsstrategie war daher: Erst wenn der Klient zwischen sich und der Mutter unterscheiden kann, wenn er die Identifizierung mit der Mutter löst, wenn er sich mit seinem "erwachsenen Selbst" verbunden hat, wenn er seinen eigenen Raum vom "Fremden" befreit hat, indem er sich gegenüber der Mutter abgrenzt, kann sich der Klient dem verlassenen innere Kind zuwenden, und es trösten - ohne vom Gefühlschaos überrollt zu werden!. Daraus ergibt sich für mich zwingend ein strukturierter Lösungs-Prozess, um diese Form von Retraumatisierung zu vermeiden und dennoch zu einer raschen Lösung zu kommen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Abgrenzung, in der der Klient lernt, sein blockiertes gesundes Aggressionspotenzial nicht mehr gegen sich selber, sondern konstruktiv gegenüber dem "Fremden" einzusetzen, das nicht in seinen eigenen Raum gehört. Ich schätze Rupperts theoretischen Ausführungen zu den Themen Trauma und Symbiose sehr. Ich habe ihm angeboten, einmal zu einem meiner Aufstellungen zu kommen, um meine Art kennen zu lernen, mit diesen Aspekten: eigener Raum und Abgrenzung therapeutisch umzugehen. Er hat dies Angebot nicht angenommen. Schade.
Ich erlaube mir als ein noch nicht so lange pratizierender Therapeut eine Bemerkung zu den Anmerkungen von Ihnen, Herr Langlotz:
Um eine Retraumatisierung zu verhindern, ist es mir stets wichtig, den Klienten quasi zweigleisig während einer Traumatherapie "fahren" zu lassen: Einerseits kontollierte Annäherung an das Tramageschehen bei gleichzeitiger Präsenz im Hier und Jetzt. Mein Job als Therapeut sehe ich darin, dem Klienten dabei zu helfen, diese Balance solange wie möglich zu halten, um sich einem heilsamen Selbstregulationsprozess zu öffnen. Dazu verwende ich meist eine Kombination aus EMDR und Somatic Experience nach Peter Levine. Denn Traumata führen offensichtlich sowohl zu körperlichen als auch zu seelischen Erstarrungen, die darauf "warten", endlich zu einem guten Abschluss kommen zu dürfen. Solange dies nicht geschieht, machen sie sich durch minderwertigere Lösungsversuche (= Symptome) bemerkbar.
Die Frage ist halt, ob nicht eine Traumalösung Voraussetzung ist für eine gelingede Verbindung zum "erwachsenen Selbst" und damit zu einem gelassenen Leben als Erwachsener ! ? ... eben frei von den ständigen Anstrengungen, das Trauma unter Verschluss halten zu müssen.
lieber herr wolters, sie schreiben: Die Frage ist halt, ob nicht eine Traumalösung Voraussetzung ist für eine gelingende Verbindung zum "erwachsenen Selbst" und damit zu einem gelassenen Leben als Erwachsener ! ? ... eben frei von den ständigen Anstrengungen, das Trauma unter Verschluss halten zu müssen.
ja genau. für mich ist trauma - seelisch oder körperlich - eine von mehreren auslösenden beziehungserfahrungen für das symbiosemuster. daneben gibt es frühe verlusterfahrungen - "verlust-trauma" - welche das symbiosemuster auslösen können: der verlust einer bezugsperson, oder eines geschwisters. und eltern, die selber traumatisiert sind und vom kind erwarten, dass es ihnen das fehlende ersetzt. aber trauma-erfahrung ist eine sehr wichtige ursache für das symbiosemuster. und es scheint, dass die "systemische selbst-integration" ein sehr geeignetes verfahren ist, um die traumafolge ( abspaltung) zu heilen. ero langlotz
Sie schreiben: Um eine Retraumatisierung zu verhindern, ist es mir stets wichtig, den Klienten quasi zweigleisig während einer Traumatherapie "fahren" zu lassen: Einerseits kontollierte Annäherung an das Traumageschehen bei gleichzeitiger Präsenz im Hier und Jetzt. Mein Job als Therapeut sehe ich darin, dem Klienten dabei zu helfen, diese Balance solange wie möglich zu halten, um sich einem heilsamen Selbstregulationsprozess zu öffnen. Dazu verwende ich meist eine Kombination aus EMDR und Somatic Experience nach Peter Levine. Denn Traumata führen offensichtlich sowohl zu körperlichen als auch zu seelischen Erstarrungen, die darauf "warten", endlich zu einem guten Abschluss kommen zu dürfen. Solange dies nicht geschieht, machen sie sich durch minderwertigere Lösungsversuche (= Symptome) bemerkbar. Die beste Methode, den Klienten im "Hier und Jetzt" zu halten, scheint mir darin zu bestehen, dass ich als Therapeut ihn unterstütze, aus der Identifizierung mit dem Täter herauszuholen, die ihn gleichzeitig vom erwachsenen und vom kindlichen Selbst trennt. Das ist möglich durch den Prozess der Abgrenzung, mit seinen Schritten: (noch ohne Anwesenheit des Täters) Annäherung an den erwachsenen Selbstanteil, erst dann an den kindlichen Selbstanteil. Prüfen der Identifikation mit dem Täter und Verlassen des Raumes des Täters, Lösen der Rollen die man in seinem Raum übernommen hat, in Besitz nehmen eines "eigenen Raumes" und Abgrenzung gegenüber dem Täter. Dabei ist der zentrale Aspekt die Integration der "gesunden Aggression", die zuvor blockiert war. Diese Vorgehensweise hat sich auch bei schweren seelischen oder körperlichen Traumata bewährt.