Fallbeispiel Sabine, ca. 45 Jahre, geschieden, ist mehrfach traumatisiert: durch den frühen Verlust ihres Zwillings, durch Erfahrung von Gewalt und sexuellem Übergriff durch den eigenen Vater, der selber zu einer Nazi-Organisation gehörte. Sie hat schon sehr viel an sich gearbeitet. Da es ihr immer noch nicht gut geht, nimmt sie an einem Aufstellungsseminar teil, und hat anschliessend noch zwei Einzelsitzungen.
Rückmeldung nach 2 Wochen Nachdem ich nun insgesamt drei mal bei dir aufgestellt habe - zweimal um die Beziehung zu meinem Vater zu klären, und einmal wegen meinem verlorenen Zwilling - möchte ich meine Eindrücke und Erfahrungen rückmelden. Ganz allgemein ist mir aufgefallen, dass es bei allem, was wir miteinander gearbeitet haben und auch sonst besprochen haben, immer um das Thema Schuld ging: Schuld daran sein, dass ich noch am Leben bin und mein Zwilling nicht mehr. Schuld daran sein - oder übernehmen, was den Holocaust-Opfern zugestoßen ist; Schuld daran sein, dass mich mein eigener Vater sexuell missbraucht hat. Auch wenn sich im Aussen an meiner Situation noch nichts geändert hat, so ist mir doch aufgefallen, dass ich weniger Ängste habe und diese niederschmetternde Schwere verschwunden ist. Manchmal muss ich mich wundern darüber, dass ich jetzt trotz widriger Umstände im Aussen mehr Vertrauen in meinen eigenen Weg habe im Sinne von: "Wird schon alles werden!" Ich kann mehr denn je annehmen, dass es im Moment eben so ist wie es ist, und dass ich mein Potential ja doch irgendwie nutze, eben für meine eigene Heilung. Und ich kann durch diese Arbeit jetzt auch mehr würdigen, dass ich tatsächlich vieles ertragen musste und sehr stark bin. Ich glaube es geht darum, dass ich mehr und mehr ein Liebe für mich empfinden lerne, auch wenn ich beruflich (noch) nicht erfolgreich bin und ich keine Partnerschaft führen kann, dass ich so wie ich bin in Ordnung bin. Die Lösungs-Sätze über mein Körper-Selbst, dass ich Lust geben und nehmen darf , und ich mit meinem Körper vieles Schöne machen darf, haben tief in mir gewirkt, zwar nicht sofort, aber allmählich empfinde ich tatsächlich tiefe Dankbarkeit dafür, dass mein Körper so ist wie er ist, auch dass er große Lust an Sexualität empfinden kann. Das war nämlich all die Jahre ein großes Problem für mich. Immer wenn mich ein Mann sexuell attraktiv fand oder ich Rückmeldungen über meine angeblich starke erotische Ausstrahlung (auch von Frauen , z.B. Therapeutinnen), hatte ich Schuldgefühle. Einerseits habe ich meine starke Sexualität gespürt, aber immer wieder versucht, alles Sexuelle zu unterdrücken, als wäre es falsch oder schlecht, immer in der Meinung, dass ich eben "infiziert" bin mit diesem „Virus“ von Kindheit an. Diese Ambivalenzen mir gegenüber haben zu starken Spannungen und einem tiefen Hass mir und meinem Körper gegenüber geführt. Ein fast 20 Jahre lang andauernder Pilzbefall waren bestimmt die Folge davon. Gleichzeitig habe ich Sexualität mit Sicherheit dazu benützt, um Männer zu manipulieren und von mir abhängig zu machen, die Kehrseite der ganzen Misere. Dadurch habe ich mich oft in Situationen manövriert, die sich alles andere als richtig und stimmig angefühlt haben. Jetzt denke ich, dass ich froh sein kann, dass ich einen Körper habe, der so sinnlich ist und so viel Lust empfinden kann. Und ich muss damit niemanden mehr verletzten und manipulieren, und auch mich nicht mehr verletzten lassen, was genauso oft vorgekommen ist. Ich glaube auch, dass ich dadurch, dass ich meine Sexualität so sehr abgelehnt habe, noch viel viel mehr von mir unterdrückt habe. Ich kann noch nicht genau beschreiben, wie oder was, ich habe nur das Gefühl, dass da gerade eine sehr tiefe Heilung geschieht, und dass alles auch mit meiner Kreativität zusammenhängt. Es ist mir nicht leicht gefallen, so offen über Sexualität zu schreiben, aber ich denke es ist wichtig für andere, zu sehen, wie tief die Aufstellungsarbeit diesbezüglich wirken kann. Zwar merke ich, dass ich mich immer noch sehr durch die Augen meines Vaters sehe: genau diese Dinge, die ich so liebe und mir so gut tun, lehnt er zutiefst ab und hat all meine kreativen Ideen und zündenden Gedanken als "Flausen" bezeichnet. Dennoch fühle ich mich nicht als Opfer und werde es schon schaffen mich nach und nach von diesen negativen Glaubens-Überzeugungen zu verabschieden. Nach einer Woche Ich merke, wie wichtig diese Zusammenhänge für auch andere Lebensbereiche sind, die Sexualität eben auch ins "normale" Leben einfließt. Ich könnte mir auch vorstellen, dass meine Arbeit oder ein wichtiger Teil davon, in diese Richtung gehen kann. Denn ich habe gemerkt, dass ich immer offener über dieses Thema sprechen kann und auch, wie groß der Bedarf und die Resonanz bei den Menschen ist. Und ich glaube, es ist keine Pseudo-Offenheit. Sondern ich habe - denke ich - eine sehr achtsame, jedoch direkte Art, das Kind beim Namen zu nennen. Und ich fange auch an, diesen Teil von mir mehr und mehr zu schätzen und als eine Stärke zu sehen. Der andere Aspekt ist meine Leidenschaft zum Fotografieren, eben meine kreative Seite, die sich mehr und mehr meldet, und danach schreit, gelebt zu werden. Zur Zeit ist Vieles in mir in Bewegung zum Thema Berufung und: Wer bin ich ? Womit will ich eigentlich wirklich mein Geld verdienen? Was habe ich so lange unter Verschluss gehalten? Es fühlt sich gerade an, als würde in mir alles durcheinander gewirbelt und nichts (auch nicht meine Vorstellung von mir, wie meine Zukunft aussehen könnte) ist mehr wie es ist. Kommentar Diese Frau hat therapeutische Erfahrungen, sie kann die inneren Veränderungen nach einer Aufstellung anschaulich beschreiben. Sie ist mehrfach traumatisiert. Ihre Rückmeldung macht deutlich, wie hemmend sich Traumata auswirken können. Ängste und Schuldgefühle können nicht nur die Entwicklung der eigenen Autonomie und die eigene Beziehungsfähigkeit blockieren, sondern auch Lebenslust und Kreativität. Bemerkenswert, dass es möglich ist, diese Trauma-bedingten Blockaden durch systemische Selbst-Integration gezielt zu lösen. Durch die Verbindung mit dem SELBST, mit der eigenen unverlierbaren Würde wird auch die Fähigkeit zur Selbst-Regulation und Selbst-Organisation wieder hergestellt.