„Ich kann nicht Liebe annehmen und erleben“ Fallbeispiel frühes Verlassenheitstrauma
Hanna, eine ca. 40jährige Frau, nennt ihr Anliegen: ihre Beziehungen enden immer wieder, sie könne in einer Beziehung nicht Liebe annehmen und erleben. Dabei kommen ihr die Tränen, sie schluchzt und ein tiefer Schmerz wird spürbar.
FORMAT BLOCKIERENDES ELEMENT Nach dem Aufstellungs-Format des „Blockierenden Elementes“ (BE) stellt sie zunächst Stellvertreter für das erwachsene Selbst (ES) und für das kindliche Selbst (KiS) auf und einen Hocker als Symbol für das BE, das sie daran hindert, mit der (erwachsenen) Hanna verbunden zu sein, die „Liebe annehmen und erleben kann“: der Hocker steht im Zentrum, unmittelbar vor ihr, die Repräsentanten für ihr ES und KiS stehen rechts und links mit dem Rücken zum BE. Die Repräsentantin des ES folgt ihrem Bedürfnis sich umzudrehen. Therapeut zu Hanna: „Wenn wir uns einig sind, dass das BE – was immer sich auch dahinter verbirgt – hier und heute nicht zu deiner Identität gehört, dann könntest du das BE selber aus deinem Raum entfernen.“ Hanna markiert zunächst mit einem Schal symbolisch eine Grenze für ihren eigenen Identitäts-Raum „hier und heute“. Dann stellt sie das BE (symbolisiert durch den Hocker), das sie daran hindert, in einer Beziehung mit der Hanna verbunden zu sein, die Liebe annehmen und erleben kann, aus ihrem Raum heraus. Für Hanna selber ist das nicht leicht, so als würde ihr dann etwas fehlen, die Stellvertreter von ES und KiS jedoch spüren zum ersten Mal eine Beziehung zu Hanna. Als nächstes stellt sich Hanna auf den Platz des BE. Sofort steigt ein grosser Schmerz auf, das Gefühl des Alleinseins, Trauer und grosse Wut, sie schluchzt heftig. Therapeut: „Lass die Gefühle zu und atme tief ein und aus!“ Und dann:„Woher kommt dies Gefühl?“ Hanna kann sich selber nicht erinnern, aber sie weiss, dass sie als 2-jährige in einer Klinik war, wo sie sechs Monate lang in einem Gipsbett liegen musste, „da ihre Halswirbel zu schwach waren.“ Die Eltern konnten sie nur selten besuchen und sagten ihr, sie solle beim Abschied nicht weinen, damit die Ärzte nicht weitere Besuche verböten. Und sie brachten sie ein weiteres Mal in die Klinik, ohne es ihr vorher zu sagen und liessen sie dann dort zurück.(Vertrauensbruch). Hier taucht ein frühes Verlassenheitstrauma auf, und eine Überlebensstrategie wird deutlich: die Abspaltung des Selbstanteils, der dagegen protestieren darf („der erwachsene“), und des kindlichen Selbstanteils, der seinen Schmerz und seine Verzweiflung äussern darf. T.: „Gehört dies Verlassenheitstrauma von damals in deinen Identitätsraum hier und heute?“ Hanna schüttelt den Kopf und geht zurück in ihren Raum: „Du bist das Verlassenheitstrauma der 2.jährigen Hanna und ich bin ich, und ich bin vollständig auch ohne dich. Du liegst 40 Jahre zurück und ich leben hier und heute, du bist schon „mausetod“. Hanna atmet erleichtert auf. Ihr erwachsenes Selbstanteil (ES) stellt sich schützend neben sie.
TRAUMA ALS INTROJEKT Als nächstes stellt Therapeut das BE, das jetzt als Verlassenheitstrauma benannt werden kann, erneut in Hannas Raum. Sie kennt das Gefühl, das dadurch entsteht und kann jetzt bewusst dies Trauma von damals aus ihrem Raum herausstellen. Danach legt sie einen schweren Granitstein, als Symbol für den Schmerz, die Trauer, die Wut, die sie bis heute mit sich herum geschleppt hat, symbolisch zurück zu dem Trauma von damals. Sie spürt bereits Erleichterung. Th.: „Das was du von diesem Trauma noch in dir spürst, als Druck, Belastung, kannst du symbolisch ausatmen, aushusten oder auskotzen!“ Hanna hustet das aus, was nicht zu ihr gehört, sie – und ihre Selbstanteile – fühlen sich von Mal zu Mal befreiter. Schliesslich wendet sich Hanna zu ihrem ES, kann es spüren und fühlt sich dadurch gestärkt. Das KiS steht noch entfernt, es traut Hanna noch nicht.
ABGRENZUNG Th.: “Um mit beiden Selbstanteilen verbunden sein zu können, musst du genau unterscheiden zwischen dem, was hier und heute Hanna ist – und was nicht, speziell gegenüber dem Trauma von damals!“ Therapeut – vertritt symbolisch das Trauma – kommt auf Hanna zu, und Hanna stoppt ihn sehr kraftvoll an der Grenze. Th.: „Du hast die Kraft und du hast das Recht dazu, das ist der „gesunde Schutzreflex“. Wenn er „funktioniert“, dann weisst du immer, wer du bist, und wer nicht, wo du zuständig bist – und wo nicht. Was zu dir hier und heute gehört – und was nicht. Dann bist du handlungsfähig!“ Das ist so ähnlich wie bei den Raubtieren, die ihr eigenes Territorium schützen, um nicht zu verhungern. Und Hanna stoppt erneut den Therapeuten – Repräsentant für das Trauma – mit einem lauten Tigerschrei. In den Schrei mischen sich Trauer, Schmerz und Wut, und so kann sie sich von diesen Gefühlen befreien, die sie so lange in ihrem Körper festgehalten hat.
SELBST-VERBINDUNG Die Repräsentantin des erwachsenen Selbst hatte sich bereits spontan neben sie gestellt, um sie zu unterstützen. Jetzt kann sie sich diesem Selbstanteil zuwenden, "der sich abgrenzen kann ohne Schuldgefühle, der sich wehren kann mit Erfolg". Diese Seite war ja damals in der Klinik, aber auch später in der Familie nicht erwünscht gewesen, und um in diese Familie zu überleben, hatte sie die Sichtweise, die „Brille“ der Eltern übernommen – und konnte auch deshalb diese erwachsene Seite nicht schätzen und kennen lernen. Nachdem sie symbolisch die „Brille“ (Projektionen der Eltern) „abgenommen“ hat, kann sie spüren, wie es sich anfühlt, mit dieser erwachsenen Hanna eins zu sein – statt mit dem Trauma von damals. So verbunden mit der erwachsenen Hanna wendet sie sich dem inneren Kind, der kleinen Hanna zu. Zunächst ist es wichtig, ihr zu versicheren: „Es ist schon lange vorbei, 40 Jahre, und ich sorge dafür, dass das nie wieder passiert, und ich lasse dich nie alleine!“ Die kleine Hanna, die sich vorher wie abgespalten gefühlt hat, freut sich, dass sie endlich wahrgenommen wird. Hanna kann würdigen, dass sie das alles damals ausgehalten hat, und nicht gestorben oder verrückt geworden ist. Und daß sie stolz auf sie ist. Die kleine Hanna strahlt. „Und bei mir darfst du auch traurig oder wütend sein, ich halte das aus. Und natürlich darfst du bei mir auch Spass haben und etwas anstellen!“ Und liebevoll nimmt sie die kleine Hanna in den Arm, sodass sie spüren kann, endlich einen guten Platz gefunden zu haben, wo sie so sein kann wie sie ist, wo sie geschützt wird und sogar auch ihren Spass haben kann. Dazu braucht sie natürlich auch die erwachsene Hanna, die sie in den anderen Arm nimmt. So fühlt sie sich vollständig und sicher. Und das war bisher durch das Trauma-Introjekt nicht möglich!
GEGENABGRENZUNG Da Hanna sich ja im „Raum“ des Traumas zuhause gefühlt hat, erlebt sie jetzt körperlich, dass das hier und heute nichts mit ihrer Identität zu tun hat, indem sie vom Therapeuten an der Grenze des Traumas gestoppt wird. Mit jedem Abgegrenzt-Werden erlebt sie zweierlei: eine Erleichterung, aber auch einen Schmerz, als würde ihr mit dem Trauma etwas genommen. Th.: „Kann es sein, dass dies Trauma, und deine damalige Bewältigungsstrategie, das heisst das Schlimmste was du erlebt und überlebt hast, dir eine Illusion von Sicherheit, von Stärke gibt! So als müsstest du es immer festhalten, damit du gewappnet bist für neue Verletzungen?“ Hanna stutzt zunächst, doch dann nickt sie heftig. Das ist wieder das paradoxe Phänomen, dass Klienten das Trauma und die damalige Bewältigungsstrategie selber festhalten, in der Illusion, es könnte sie vor weiteren Traumen schützen. Dabei bewirkt das genau das Gegenteil: ihre Abgrenzungsfähigkeit und damit ihre Resilienz gegenüber Traumen ist geschwächt. Und die Verbindung zum erwachsenen Selbstanteil ist blockiert, Diese „illusionäre Bewältigungsstrategie“ verhindert das „Erwachsenwerden“. Bei jeder Widerholung dieser Gegenabgrenzung überkommt sie ein Zittern, eine Angst, so als würde sie den lebensnotwendigen Schutz dadurch verlieren. Mit dem Trauma war ja als Überlebensstrategie die Abspaltung der Selbstanteile verbunden, das heisst das Spüren der eigenen Ängste und der eigenen Wut. Mit der Abgrenzung gegenüber dem Trauma und der damit verbundenen Überlebensstratgie werden auch die abgespaltenen Gefühle wieder spürbar. Das Wiedererleben, dieser Angst, dieses Zitterns ist für die Lösung wichtig. Die Repräsentanten der Selbstanteile spüren die befreiende Wirkung dieses Prozesses und fordern sie auf, die Gegenabgrenzung immer wieder zu erleben, und die bis dahin unterdrückten Gefühle zu zulassen, solange bis sie sich „sicher“ bei Hanna fühlen können. Zum Abschluss erlebt Hanna noch einmal die Gegenabgrenzung auf der Zeitlinie. Sie spürt körperlich: „Was vorbei ist, ist vorbei! Es gibt kein Zurück! Was „mausetod“ ist wird nie mehr lebendig!“ Nachdem Hanna durch diesen Prozess von Abgrenzung und Gegenabgrenzung gegangen ist, und sich von den solange zurückgehaltenen Gefühlen befreit hat, kann sie eine bessere Verbindung zu ihren Selbstanteilen spüren. So verbunden mit sich selbst kann sie dem Trauma den Rücken kehren, mit 7 Schritten durch eine Türe ins „hier und jetzt“ gehen – und die Türe zur Vergangenheit hinter sich schliessen.
RÜCKMELDUNG DER STELLVERTRETER Die Stellvertreter der Selbstanteile konnten deutlich wahrnehmen, wie mit jedem Lösungssatz, mit jedem Lösungsschritt und mit dem Ausdrücken der bisher unterdrückten Gefühle ihre Verbundenheit zu Hanna besser wurde. Hanna selber erinnert sich, dass sie – bei unterschiedlichen Therapieverfahren – bereits an diesen tiefen Schmerz gekommen war. Und wie erleichternd es für sie war, wenn sie diesen Schmerz durch Zittern, Schreien, Schütteln ausdrücken konnte, aus sich herauslassen konnte. Und wie aber jedes wohlgemeinte (Weg-)Trösten oder „beruhigendes“ Berühren von aussen diesen heilsamen Prozess sofort und anhaltend unterbrach.
KOMMENTAR Diese dramatische und alle Teilnehmer aufwühlende Traumaaufstellung verdeutlicht, wie ein frühes Trauma und die damalige Bewältigungsstrategie von der Klientin festgehalten wurde, so als würde diese illusionäre Bewältigungsstrategie auch die erwachsene Hanna vor erneuten Verlassenheitstraumata schützen. Und wie genau diese Strategie, sich aus Angst vor erneutem Verlassenwerden, nicht auf Nähe, und Bindung durch Liebe(!) einzulassen, immer wieder zu der Erfahrung von Trennung und Verlassenwerden geführt hatte. Anders gesagt: Sobald es um Nähe ging – und damit um die Gefahr, erneut verlassen zu werden – vertraute sie mehr ihrer kindlichen Überlebenstrategie bei Verlassenheit: die Abspaltung von erwachsenem Selbst (das sich wehrt und schreit) und kindlichem Selbst (das Angst und Schmerz spürt und ausdrückt), als ihrem inzwischen erwachsenen Selbst, das gelassen mit diesen Themen umgehen kann, weil es sich in sich selber vollständig fühlt und sich erfolgreich abgrenzen kann. So wurde durch jede Beziehung das alte Verlassenheitstrauma unbewusst re-inszeniert. Trauma erweist sich somit als eine Falle: um die reale Sicherheit erleben zu können, die durch die Verbindung mit einem erwachsenen Selbst entstehen kann, müsste Klientin das Trauma – und dessen illusionären Schutz – loslassen. Aber offensichtlich erfordert es sehr viel Mut, die Illusion eines Schutzes loszulassen zugunsten eines „angeblich“ besseren Schutzes – den man aber noch nie erleben konnte! Der Schutz einer Gruppe von Menschen, der die Klientin sich anvertrauen kann, und der gegenüber sie es sogar wagt, ihre unterdrückten Gefühle herauszuschreien und zu – kotzen, und eine therapeutische Begleitung, die diesen Prozess achtsam unterstützt, ermöglicht das Aussteigen aus dieser Falle. (überarbeitet 9.11.2017) RÜCKMELDUNG 28.1.2018 Seit einigen Jahren "arbeite" ich an mir und mein Leben wird dadurch immer lebendiger - trotzdem blieb ein Gefühl, dass ich an einem Gummiband hänge, dass mir zwar erlaubt immer mehr Freude am Leben zu haben und mein Spielraum immer größer wurde, und dann zog mich dieses Gummiband wieder zurück, sozusagen auf Startposition - dann machte ich mich wieder auf den Weg, ich konnte noch weiter kommen - und irgendwann wurde ich wieder zurück geschleudert usw. usw. Nach der letzte Aufstellung von dem Trauma-Ereignis und der Entfernung des Introjektes und der Abgrenzung von der Vergangenheit fühle ich mich frei - frei von Gummiband, dass mich immer wieder zurück in die Vergangenheit/Zurück auf Start gezogen hat.
Danke für den Einblick, lieber Ero - ein sehr spannendes Beispiel.
Für mich hat der Text besonders ein wesentliches Merkmal der SSI in den Fokus gerückt:
Die Aufmerksamkeit der SSI als Werkzeug in der Traumatherapie gilt nicht so sehr dem Ereignis des "Traumas an sich" und der damit einhergehenden "Spaltung". Vielmehr liegt der Fokus auf der Art und Weise, wie der Betroffene das traumatische Erleben in seiner Persönlichkeit implementiert hat.
Das könnte auch der Grund sein, warum sich im BE (blockierenden Element) oft nicht "das Trauma" zeigt, sondern eher der Aspekt des traumatischen Erlebnisses, den die Person als besonders prägend empfunden hat und der die "unzerstörbaren" und "unschuldigen" Selbstanteile aus seine Psyche ausgeblendet hat.
Es geht also für die SSI nicht primär darum, "das Trauma zu heilen" - auch das findet natürlich in und durch die Rituale statt -, sondern den Klienten dabei zu helfen, die Identität eines Traumatisierten abzulegen um zu erkennen, dass Er/Sie mehr ist, als das was Er/Sie erlebt hat.
das freut mich, du hast es durch deine Formulierung noch einmal deutlicher gemacht. Das war auch für mich bei diesem Beispiel so eindrücklich, dass eigentlich nicht das Trauma sondern die damals praktizierte Überlebensstrategie implementiert (schöner Begriff, entsprechend Introjekt) wurde, nämlich die Abspaltung der - an sich unzerstörbaren - Selbstanteile, und die Unterdrückung der gesunden kindlichen und erwachsenen Reaktionen.
ist es nicht faszinierend, wie wir immer besser lernen hinzuschauen und zu beschreiben, worum es eigentlich geht?
Lieber Ero, es ist fast, als würde hier mein eigenes Beispiel stehen. Ich habe zu meinem frühkindlichen Trauma schon Aufstellungen gemacht, aber als ich las, dass man sich auch vom Trauma selbst (und den Bewältigungsstrategien) abgrenzen kann, dachte ich erstaunt: Ja, das stimmt, logisch!
Ich habe es im do-it-yoursellf versucht, war aber wie gelähmt, als ich dem Trauma gegenüber stand. Interessant erschien mir, dass ich das erste Mal daran dachte, mich auch von meinen Geschwistern abzugrenzen. Das fiel mir nie ein und bei meiner Schwester bin ich gescheitert.
Seit ich im Sommer in meiner Heimat Sachsen verunglückte und feststellen musste, dass ich in meiner Familie keinen Raum dafür bekam, meinen akuten Schmerz und meine Bedürftigkeit zu äußern, verstehe ich, jedoch nur vage, meine jahrelange Bewältigungsstrategie: Bloß nicht darüber reden. Und verhielt mich trotz besseren Wissens innerhalb meiner Familie wieder so. Sobald ich zurück in HH war, konnte ich mich selbst um die Verletzung kümmern. Aber es kam eine Wut in mir hoch, die ich schon glaubte, überwunden zu haben. Wut auf meine Eltern UND Geschwister, die dieses verwirrende Verhalten mir gegenüber immer noch anwenden. Seitdem habe ich keinen Kontakt mit meiner Herkunftsfamilie, ich besuchte nicht den achtzigsten Geburtstag meines Vaters. In dem Moment, als meine Mutter sagte, dass ich als einzige im Hotel schlafen würde, wehrte ich mich und sagte ab. Ich wollte nicht mehr ausgegrenzt werden. Es wirkte wie eine Re- Traumatisierung.
Leider bin ich seitdem schwach. Es ist als hätte ich einen sehr schnellen direkten Zugang zu meinem Schmerz. Ich weine viel, bin von vielen Themen berührt, aber auch erschöpft. Trotzdem nehme ich auch einen gewissen Stolz und Humor an mir wahr, der mich stark macht.
Im Dezember besuche ich ein Seminar bei Ero und mache eine Aufstellung! ( Auch hier stelle ich mir wieder die Frage: Darf ich das den anderen mitteilen, darf ich diesen Raum einnehmen?)
liebe ossita, ja es gibt eltern die sind so destruktiv und verwirrend, dass es für die eigene seelische gesundheit erforderlich ist, ganz aus dem kontakt zu ihnen heraus zu gehen. dazu gibt es den satz: ich achte das leben, das ich durch euch habe, indem ich es schütze, wenn nötig auch vor euch! liebe grüsse ero
Für dieses "Nicht-aus-dem-Trauma-aussteigen-können/-wollen" gibt es sicher einige Aspekte. Bei mir persönlich ist es das Gefühl der Leichtigkeit, das mich immer wieder zweifeln lässt, ob dieser Weg richtig ist. Ich gerate immer wieder in diese Schwere - was besonders frustrierend ist, da ich selbst Aufstellerin bin und ich glaube, ich bin nicht dumm. Aber ich falle immer wieder ins gleiche Loch. Es ist so, als würde ich ganz gut Tennis spielen, hätte aber um den Schlagarm Gewichte gebunden. Es ist super anstrengend, aber ich schlage mich tapfer. Ich habe meinen Umgang damit gefunden. Jetzt kommst du und sagst: "Mensch, nimm doch einfach mal diese Gewichte von deinem Arm ab!" Gesagt - getan. Ich spiele plötzlich mit unglaublicher Leichtigkeit und gewinne die Turniere ganz einfach und spielerisch. Und das kann ich nicht glauben, will ich nicht wahrhaben, halte es für eine Illusion - und schwups: bin ich wieder im alten Drama, in der Schwere. So kenne ich das Leben. Anstrengend. Ist es eine Illusion? Nein, ich denke nicht. Doch von außen wird dies oft bestätigt: "Du musst in die Tiefe schauen. Da sind noch alte Verletzungen. Du rennst vor deinem Schmerz davon etc., etc." Leichtigkeit ist scheinbar etwas, das die Menschen nicht so gut kennen. Vielleicht ist auch noch ein weiterer Aspekt von Bedeutung. Und hier fällt mir wieder Hellinger ein - bei aller Kritik, doch seine philosophischen Ausführungen finde sehr beachtlich: Es geht um die Zugehörigkeit zur Gruppe, die wir fürchten zu verlieren, wenn wir nicht mehr so funktionieren wie dieselbe. Hellinger sagt, unser Gewissen ist diejenige Instanz, die die Bindung an die Gruppe sichert. Ein schlechtes Gewissen sagt mir: "Hier hast du gegen Regeln und (informelle) Übereinkünfte verstoßen und gefährdest somit deine Zugehörigkeit." Als Kind oder wenn man bei indigenen Völkern in der Wüste/ im Dschungel lebt, ist die Gruppe tatsächlich das, was uns das Überleben sichert. Alleine wird´s schwierig. Hier in unserer Gesellschaft und vor allem als Erwachsener ist dies anders. Hier können wir es riskieren, unserem eigenen Weg zu folgen, auch wenn die anderen dies ahnden. Ich persönlich finde diesen Schritt nicht so leicht wie er sich immer anhört. Bei sich zu sein, ganz autonom, heißt auch, anders zu leben als die anderen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, fühle mich falsch. Und die anderen bestätigen meine Zweifel natürlich.
Vor einiger Zeit habe ich mal einen "Experimentierabend" gegeben. Ganz allgemein wollten wir mit Themen experimentell aufstellen, um die Dynamiken zu erforschen. Vorherige Themen waren Partnerschaft, Krieg, Pubertät. Diesemal stand das Thema Weiblichkeit im Raum. Jede Teilnehmerin ging in eine "Rolle", die sie gerade spürte. Ich fühlte mich wie ein Kind - unbeschwert. Eine andere meinte die weise Alte zu sein (war aber eher eine esotherische Vorstellung davon), eine andere war eine depressive Frau. Mit der Zeit nahm diese Depression uns alle gefangen. Wir hatten tolle Erkenntnisse, aber es wurde immer schwerer im Raum, und ich dachte, ich konnte die Teilnehmer auf gar keinen Fall so nach hause entlassen. Also entschied ich mich, aktiv aus dieser Rolle und dieser Depri-Stimmung auszusteigen. Es ging mir schlagartig besser, hatte wieder meine alte Kraft. Nun legte ich eine Schnur auf den Boden und bot den anderen an, sie könnten ebenfalls aussteigen. Eine Frau wollte gerne, traute sich aber nicht, dachte, sie dürfe dies nicht. Doch es gelang ihr. Es ging ihr sofort besser. Die Frau, die als letzte noch drinnen blieb, sagte u.a.: "Du kannst mich hier doch nicht allein lassen!". "Du hast die Freiheit, auch auszusteigen", sagte ich. Sie wollte erst noch die andere dafür verantwortlich machen, dass es ihr noch schlecht ging, weil sie sie allein gelassen hatte. Sie kam dann aber auch, und es ging ihr besser. Wir konnten alle wieder lachen und gingen mit guter Energie heim.
Dieses "Aussteigen" scheint etwas zu sein, was zum Erwachsen-Sein dazugehört. Das bewusste Erkennen seines Handlungsspielraums, Entscheidungen treffen und mit den Konsequenzen leben, andren ihr Leben zuzumuten und zuzutrauen, auszuhalten, wenn andere meine Entscheidung missbilligen uvm.. Und da fehlt es uns an Vorbildern....
Nun ja, ich will den Rahmen hier nicht sprengen. Du hast ja alles mehrfach in deiner Theorie dargestellt. Um mit meinem Eingangsbericht abzuschließen: Leichtigkeit ist etwas, das mir nicht leicht fällt
Liebe Petra, danke für diesen Beitrag in dem du so offen über dies Thema sprichst. Aus meiner Sicht gibt es einen "Glaubenssatz": das Leben ist schwer. oder: Unter jedem Dach ein Ach! Auch Hellingers Ausführungen zur Zugehörigkeit führen zu einem Glaubenssatz eines symbiotischen Kollektivs. Das ist wie eine Konditionierung: wir fühlen uns schuldig, wenn es und gut geht - ähnlich wie bei der "Überlebensschuld". Es braucht Klarheit und Mut aus diesen kollektiven Glaubenssätzen auszusteigen. Life can be so easy.
UND Du kannst den Glaubenssatz aufstellen, und aus deinem Raum herausstellen. Das fühlt sich schon besser an. In einem zweiten Schritt kannst du nach der "Quelle" des Glaubenssatzes suchen. Meist taucht dann ein Trauma auf, aus deiner eigenen Biografie oder aus dem Familiensystem. Dann "testest" du, ob du dies Trauma noch in deinem "Identitätsraum Hier und Heute" hast? Wenn ja, kannst du auch das Trauma aus deinem Raum "ausräumen". Durch Abgrenzung und Gegenabgrenzung machst du deinen Raum frei für "die Petra, die sich vollständig fühlt auch ohne das Trauma".
Lieber Ero, vielen Dank für deine Heinweise. Das probiere ich gern aus. Zu Hellinger: ich interpretiere seine Ausführungen zur Zugehörigkeit nicht so symbiotisch. In meinen Augen hat er durchaus erkannt, dass es um Autonomie geht, indem er sagt: "Erwachsen zu werden heißt, untreu zu werden." Man setzt sich über die Regeln der Gemeinschaft hinweg und folgt seinem eigenen Weg, man wird unloyal. Dass diese symbiotischen "Energien" wie Schuldgefühle etc. wirken, ist ja ein Fakt, den wir u. a. mit der Methode der Aufstellungsarbeit überwindenwollen, indem wie sie zunächst bewusst machen..... Visionssuchen der indigenen Völker als Eintritt ins Erwachsenenleben suchen ja auch danach, die eigene Stimme zu hören und ihr zu folgen statt wie bislang der Stimme der Eltern und der Gruppe....Ein Thema also, das uns wohl bereits seit Urzeiten bewegt. Nur die Werkzeuge und Methoden verändern sich....