Aufstellungsabend mit Prof. Franz Ruppert Ein Lokalderby mit roter Karte

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#1 | Aufstellungsabend mit Prof. Franz Ruppert Ein Lokalderby mit roter Karte datum

31.10.2017 10:07

Prof. Franz Ruppert ist der einzige Systemaufsteller, der sich, wie ich, mit den Themen Symbiose, Autonomie und Trauma beschäftigt und darüber mehrere Bücher geschrieben hat. Er lebt in München. Wir kennen uns schon lange, und haben uns immer wieder über unsere unterschiedlichen Konzepte ausgetauscht. Dabei war immer auch eine verständliche Rivalität mit im Spiel. Am 25.10. haben wir einen gemeinsamen Aufstellungsabend veranstaltet, um uns und jeweils 12 unserer Kollegen gegenseitig unsere Vorgehensweise zu demonstrieren.

Franz begann und zeigte seine neue Vorgehensweise, das in einem Satz „verdichtete“ Anliegen einer Klientin aufzustellen: „Warum höre ich nicht auf zu rauchen?“ Für jedes Wort und für das Fragezeichen suchte die Klientin Stellvertreter, die sich dann spontan bewegen und äussern konnten. Zuletzt erkannte die Klientin in den Satzelementen ihre Familienangehörige, erinnerte sich an deren Schicksale und kam in den alten Schmerz. Das Durchleben und „Integrieren“ dieses Schmerzes ist anscheinend Rupperts Lösungstrategie.
Der Klientin ging es – wie sie mir schrieb – hinterher schlecht, sie fühlte sich verwirrt. Für mich stellt sich daher die Frage, ob die heftigen Gefühle, die bei der Klientin entstanden, nicht zu einer Retraumatisierung geführt haben.
Dann erklärte ich kurz mein Konzept und machte – das war sein persönlicher Wunsch - für Franz eine Aufstellung zum Anliegen Gesundheit.

Ich schlug Franz vor, sein erwachsenes Selbst, "das sich vollständig fühlt auch ohne Krankheit", das kindliche Selbst und das "blockierende Element", das ihn daran hindert, mit dem "gesunden" Franz Verbindung zu bekommen, aufzustellen. Ich wusste, dass Franz meiner direktiven Art und der Verwendung von Ritualen gegenüber skeptisch eingestellt ist, daher hatte ich ihn nach der Vorstellung meiner Methode gefragt, ob er sich wirklich darauf einlassen möchte, und er hat dem zugestimmt.
Leider musste ich die Aufstellung abbrechen, da Franz nicht bereit war, das frühe Trauma, das sich hinter dem Blockierenden Element zeigte los zulassen. Sein Gefühl: es gehört zu seiner Identität „hier und heute“. Dieser innere Widerstand tritt ja häufig an dieser Stelle auf. Klienten identifizieren sich unbewusst mit dem Trauma – daher wirkt es so intensiv und anhaltend. Meist lässt sich das lösen, wenn man dem Klienten vorschlägt, sich an dieser Stelle nicht nach ihrem - durch das Trauma verwirrte – Gefühl sondern nach dem Verstand zu orientieren.
Franz erlebte meine Aufforderung, sich nicht nach seinem Gefühl, sondern nach seinem Verstand, bzw. nach dem „gesunden Menschenverstand“ zu orientieren und das Trauma los zulassen als Wiederholung eines ihm bekannten Traumas durch seinen Vater: „Ich werde gar nicht gesehen, Es geht gar nicht um mich“.
Er kam so sehr in die Opferrolle, dass er die ganze Veranstaltung beenden musste. Ich konnte nicht meine Methode zeigen und seine Kollegen konnten nicht Fragen zu meiner Methode stellen.
Er schrieb mir: Ich war geschockt darüber, wie geringschätzig du mich als Klienten behandelt hast und mir partout deine Methode und deine Denkweise über Trauma überstülpen wolltest. Ich war froh, dass ich mich dagegen wehren konnte, auch wenn ich dadurch mein Bedürfnis hinten anstellen musste, mehr in Kontakt mit dem kleinen Franz zu kommen, der sich mit dem Gesicht gegen die Wand stellte und später angstvoll hinter dem Stuhl hervorblickte. Ich hätte mich gerne mehr mit dem erwachsenen Franz verbunden und gemeinsam mit ihm Kontakt zum Kleinen aufgenommen und seine Not gefühlt.

Ich hatte das befürchtet, deshalb hatte ich Franz vorgeschlagen, mit jemand anderem zu arbeiten. Ich ging auf seinen Wunsch ein, im Vertrauen auf seine Antwort: "Ich verspreche Dir auch, ganz vorbehaltlos zu sein und ernsthaft nach einem Weiterkommen bei einem eigenen Anliegen von mir zu suchen."
Ist das nicht bizarr: erst lädt er mich ein, meine Methode unseren Gästen vorzustellen, und verspricht (!) mir, ganz vorbehaltlos zu sein, und wenn ich dann meine Methode für sein Anliegen anwende, macht er mir den Vorwurf, ihm meine Methode übergestülpt zu haben. „Und wieder werde ich nicht gesehen“.
Mein erstes Bild: ich bin bei diesem Lokalderby zweier Traumatherapeuten als „Löwe“ in die Höhle eines anderen Löwen gegangen, und er ging in die Rolle des Patienten, „machte die Schwalbe“ und - zeigte mir die rote Karte.
Mit etwas mehr (selbst-)kritischer Distanz sehe ich, dass Franz selber, aber auch ich, völlig unterschätzt haben, wie sehr wir beide als Autoren unterschiedlicher Traumakonzepte durch unsere „Loyalität“ zum eigenen Konzept und eine Rivalität daran gehindert waren, uns unvoreingenommen auf eine Therapeuten-Klienten-Beziehung einzulassen. Das war eine Überforderung, an der wir beide nur scheitern konnten.
So wurde deutlich: Auch Traumatherapeuten verhalten sich bisweilen bizarr, zumal wenn sie, überidentifiziert mit ihrem eigenen Konzept dem mit seinem Konzept identifizieten Kollegen zeigen wollen, wie gut ihr Konzept ist.......
Trotzdem war dieser Abend für mich sehr lehrreich.
Franz schrieb mir, er hätte wissen wollen, wie es seinem inneren Kind geht, das sich hinter der Stuhlreihe versteckt hatte. Da ist meine Erfahrung: wenn sich das Trauma noch als Introjekt im Raum befindet, dann spürt das der Stellvertreter des inneren Kindes und zieht sich zurück, in Sicherheit. Viele Klienten wollen sich - so wie Franz - in dieser Situation direkt ihrem inneren Kind zuwenden, aber solange sie noch nicht getrennt sind vom Trauma-Introjekt, kann das innere Kind ihnen nicht trauen. Und solange sie noch nicht mit ihrem erwachsenen Selbst verbunden sind, laufen sie Gefahr, selber in die Rolle des verletzten Kindes zu geraten, und von den Gefühlen des traumatisierten Kindes überflutet zu werden.(Retraumatisierung). Um das zu verhindern, schlage ich dem Klienten als Lösung vor, zunächst das Trauma-Introjekt aus seinem Raum zu entfernen, und es bewusst abzugrenzen. Dann kommt das innere Kind von selbst zum Klienten. Das ist zugegebenermassen direktiv, aber fast alle Klient*innen lassen sich darauf ein, um aus ihrer „Traumafalle“ herauszukommen.
Die Lösung ist also nicht, sich mit dem verletzen inneren Kind zu identifizieren, "die Not des kleinen Franz noch einmal zu fühlen", sondern ihn hier und heute dadurch zu entlasten, dass man das Trauma-Introjekt aus seinem Identitätsraum entfernt, und verbunden mit dem erwachsenen Selbst das innere Kind schützt und tröstet. Und dem inneren Kind auch ermöglicht, etwas „anzustellen“, indem man für es „Schmiere steht“;-)
Eine Anmerkung auch zu seinem Konzept: ich vermute, dass Franz mit seinem Begriff des "verletzten Selbstanteils" Trauma und Selbst so aneinander koppelt, als gäbe es gar kein unverletztes - und unverletzbares - inneres Kind. Das und die Aufforderung diesen verletzten Selbstanteil zu integrieren erschwert die Unterscheidung zwischen Trauma und Selbst, die aus meiner Sicht erforderlich ist, um das Tauma-Introjekt aus dem eigenen Raum entfernen zu können. Deshalb hatte Franz das Trauma festgehalten, „als wäre es sein Schatz“.
Ich vermute daher, dass der "verletzte Selbstanteil" eher etwas mit der Opferrolle zu tun hat. Ein sehr verbreitetes Phänomen, das viele Traumatisierte betrifft. Dies Muster sitzt sehr fest und es bedarf gezielter Strategien, um es zu lösen.
Franz Ruppert zieht ganz andere Rückschlüsse aus dieser Begegnung und kommt zu einer eindeutigen Beurteilung meines Konzeptes:
Ich studiere und erforsche seit nunmehr 20 Jahren intensiv, was Psychotraumata sind. Solange sie in der Psyche des betroffenen Menschen nicht integriert sind, sind sie noch nicht Vergangenheit. Das ist laienhaftes Wunschdenken und Ausdruck einer weit verbreiteten Trauma-Überlebensstrategie. Wenn ein Therapeut von der Traumadynamik keine Ahnung hat, wird er zum Täter am Klienten. Er versucht dann, den Klienten von seiner eigenen Trauma-Überlebensstrategie zu überzeugen und diese als Ausdruck eines vermeintlich gesunden Menschenverstandes zu postulieren. Solche Therapeuten vermeiden es in der Regel auch, sich mit ihren eigenen Traumata auseinanderzusetzen. Sie sind von sich überzeugt, selbst nicht traumatisiert zu sein.wenn du das „Traumaintrojekt“ - was immer du darunter konkret verstehst - abgrenzt, dann vertiefst du die Spaltung in einem traumatisierten Menschen. Dann verbaust du ihm den Zugang zu seinen Gefühlen noch mehr und was dann von seinem „Selbst“ übrig bleibt, ist ein verkopftes, im Aktionismus verhaftetes Überlebens-Selbst.
Weil du selbst keine Ahnung von Trauma hast, hast du natürlich auch keine Ahnung von Ausmaß deiner eigenen Traumatisierung.
Ich konnte jetzt mittels meiner Anliegenmethode mein Anliegen vom Mittwochabend mit meinem Husten für mich klären, das Trauma dahinter meiner Kindheitserfahrung zuordnen und den Schmerz fühlen, der mich damals in die Spaltung von mir selbst gezwungen hat.

SELBST-INTEGRATION UND EIN NEUES VERSTÄNDNIS VON TRAUMA

Offensichtlich verstehen viele Betroffene das Trauma als Teil der eigenen Identität und halten es dadurch - auch noch nach 50 Jahren - als "Introjekt" im eigenen Raum fest. Dies Festhalten des Traumas, und damit das Verharren in einer Opferrolle, ist aus meiner Sicht der zentrale Aspekt der Traumadynamik. In jeder Trauma-Aufstellung wird deutlich, wie dieses Trauma-Introjekt die Verbindung sowohl zu einem erwachsenen als auch zu einem kindlichen Selbst-Aspekt blockiert. Diese Selbstanteile selber sind - nach meiner Wahrnehmung - unverlierbar und unzerstörbar. Aber sie ziehen sich zurück, wenn das Trauma von damals im "Identitätsraum" festgehalten wird.
Im Konzept von Franz Ruppert verschmelzen Trauma und Selbstanteil im Konstrukt eines "traumatisierten Selbstanteils" untrennbar miteinander. Aus meiner Sicht verstärkt dies Konzept das Verharren in einer Opferrolle. So wird eine, für die therapeutische Lösung erforderliche Differenzierung bereits durch das Konzept erschwert.

Die Methode der Aufstellung ermöglicht es, das Trauma-Introjekt zu erkennen und aus dem eigenen Raum zu entfernen. Nicht selten führt eine traumatische Begebenheit zu mehreren Traumaintrojekten, die einzeln erkannt und sorgfältig entfernt werden müssen, mit "Abgrenzung" und "Gegenabgrenzung". Es genügt offensichtlich, das Trauma - wie ein verschnürtes Bündel - zu entfernen, ohne es zu öffnen und die Traumagefühle noch einmal zu durchleben!
Da bei Trauma immer das „Zeitgitter“ gestört ist (das Vergangene ist immer noch präsent), ist auch die Abgrenzung "auf der Zeitlinie" wichtig: Klient*in erlebt körperlich beim symbolischen Zurückgehen in die Vergangenheit: was vorbei ist, ist vorbei, und es kommt nie mehr wieder.
Das macht Traumatherapie einfacher - und wirksamer.
Ero Langlotz, 29.10.2017