In meiner Arbeit sehe ich immer mehr Klienten mit Burnout, auch aus den „höheren“ Etagen. Burnout ist ja nicht als Berufserkrankung anerkannt, bei einer vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit spielt das für die Höhe der Rente eine Rolle. Aus meiner Sicht gibt es zwei wesentliche Ursachen für ein Burnout: eine zunehmende Überforderung der Mitarbeiter infolge der Veränderungen in unserem Wirtschaftssystem – Stichwort Profitmaximierung für die Kapitaleigner – und der Faktor fehlende Abgrenzung, also das Symbiosethem. Eine Änderung des Wirtschaftssystems ist nicht in Sicht – es fehlt ja weithin ein Problembewusstsein – eine Veränderung, genauer eine Besserung der Abgrenzungsfähigkeit ist jedoch möglich durch „systemische Selbst-Integration“. Das soll an einem Fallbeispiel aus jüngster Zeit dargestellt werden.
BURNOUT UND Identifizierung mit dem „Spirit“ der Firma Eine 45-jährige Frau ist in ein Burnout geraten. Sie ist sehr qualifiziert und in einer leitenden Position. In der Firma gibt es heftige Konflikte. Sie macht es zu ihrem persönlichen Anliegen, dafür Lösungen zu finden. Dabei hat sie sich selbst grenzenlos überfordert. In der Aufstellung stelle ich neben den Repräsentanten für die Firma das „Selbst“ der Firma, anders gesagt den „Spirit“ der Firma oder das Ideal der Firma. Am Platz des „Spirit“ der Firma, aber auch am Platz der Firma selber fühlt sie sich zuständig und so richtig gut, so als sei das Teil ihrer Identität. Sie strahlt überglücklich. Ein Gefühl, wichtig und bedeutsam zu sein. Ihre Selbstanteile stehen weit entfernt, ohne Verbindung. Für diese Illusion war sie bereit, auf ihr Eigenstes zu verzichten und ihre ganze Kraft einzusetzen bis zur Erschöpfung. Bei der Lösung ergab sich, dass sie ihr erwachsenes Selbst gar nicht kannte, es war sozusagen noch „originalverpackt“. Sie hatte das überforderte und traumatisierte innere Kind, das schon früh erwachsen und vernünftig sein musste, mit dem erwachsenen Selbst „verwechselt“. Auch mit ihrem kindlichen Selbst hatte sie keine Verbindung. Es war für eine sehr aufwühlende Erfahrung, sich mit diesen Selbstanteilen zu verbinden und gegenüber der Firma abzugrenzen.
Ungereimtheit im Autonomie-Diagramm Im Autonomiediagramm dieser Frau gab es eine merkwürdige Ungereimtheit, die ich auch bei anderen schon beobachtet hatte: sie hatte sehr gute Werte für die Autonomie-Aspekte Abgrenzung, Verbindung mit sich selbst und Integration aggressiver Impulse. Gleichzeitig waren aber die Werte ihrer Symbiose-Aspekte Überabgrenzung, Dominanz und Destruktivität sehr erhöht. Nach der Aufstellung wurde mir die Ursache dafür klar: Da sie mit ihren Selbst-Anteilen nicht verbunden war, hatte sie sich mit einem „falschen Selbst“ identifiziert, natürlich ohne sich dessen bewusst zu sein. Anscheinend sind die Symbiose-Werte zuverlässiger als die Autonomie-Werte. Frage an Leser und User: kennt ihr solche Erfahrungen?
Lieber Ero, als ich heute den Newsletter und den Artikel zum Thema "Burnout" las, habe ich mich in mancher Hinsicht sehr wiedererkannt, obwohl ich ja schon Manches während der Aufstellung bei Dir im letzten Jahr realisieren konnte.
Ich hatte ja auch einen Burnout vor ein paar Jahren und davor hatte ich mich sehr stark mit den Unternehmen, in denen ich beschäftigt war, identifiziert. Zuerst hat das auch funktioniert. Ich kam gut zurecht, war respektiert und glücklich. Aber dann kam es zu ständigen Änderungen, Umstrukturierungen, die Loyalität von Kollegen zum Unternehmen verschwand und auch umgekehrt, den Unternehmen wurden die Mitarbeiter zunehmend egal. Da fing ich dann an zu leiden - seelisch und körperlich. Meine Identität hatte den Beruf als Basis, weil ich nur durch Leistung die Achtung in der Familie erwerben und die starken Minderwertigkeitsgefühle in Schach halten konnte.
Selbst heute noch, wo ich etwas ganz Anderes mache und wo ich immer mehr als Mensch gefragt bin, kann ich oft nicht glauben, dass Menschen an "mir" Interesse haben, sondern falle immer wieder mal zurück in mein "Business-Muster", ich fühle mich dann wieder stark und wichtig, wenn ich mein Business-Outfit anhaben und mich auf Veranstaltungen unter Business-Leute mische, obwohl meine derzeitige Lebenssituation gar nicht mehr dazu passt. Ich bin auch immer noch auf der Spur nach meiner erwachsenen Identität, die ich nur in Bruchstücken kenne.
als ich den Newsletter heute las und insbesondere die geschilderten Ungereimtheiten im Autonomiediagramm, hat mich das zur Zustimmung, zum Nachdenken gebracht und ich habe vielleicht einen Erklärungsansatz gefunden für die ein oder andere Ungereimtheit in meinem jungen Leben. Bei mir was es nicht die Firma, mit der ich mich identifiziert habe, sondern die Familie. Genauer gesagt das Selbst, das Ideal meiner Familie, meiner "heilen Welt". Als Älteste von drei Geschwistern wurde ich in eine sehr symbiotische und auch noch fromm geprägte Familie geboren. Meine beiden Eltern waren damals so sehr in ihre eigenen Geschichten verstrickt, dass sie nicht für mich präsent waren, ich keinen Raum hatte. Ich habe früh die Erfahrung gemacht, auf mich allein gestellt zu sein, allein klar kommen zu müssen, und habe unbewusst viele Themen meiner Eltern übernommen. Als Teenie war ich jedoch für viele Jahre ein sehr positiver, optimistischer, ausgeglichener und unabhängiger Mensch. Ich fühlte mich frei, war in mir zu der Zeit sehr stabil, machte das, was ich für richtig hielt, und war sehr selbstständig. Ich war glücklich, hatte Erfolg in der Schule, obwohl ich ihn gar nicht unbedingt suchte, kam super mit meiner Familie klar - alles super, dachte ich. Bis ich ins Ausland ging nach dem Abi und für lange Zeit völlig zusammenklappte. Denn unter dem ganzen Optimismus und der äußerlichen - für mich zu dem Zeitpunkt ja auch real gefühlten !! - Unabhängigkeit lag viel an Verantwortung und ein fauler Kompromiss: Ich sorgte für meine Eltern (manchmal auch Geschwister), kümmerte mich um ihre Bedürfnisse, übernahm und vollendete sogar den "Spirit" - in dem Fall Werte, Normen... und bekam dafür Anerkennung, Identität, und irgendwie auch Macht. Tja. Ich hatte mich so sehr über mein Familiensystem und das "Selbst" meiner Familie identifiziert, dass ich ohne es völlig aufgeschmissen war.
Bis heute habe ich es immer nicht so auf die Reihe bekommen, warum ich so unabhängig, selbstständig und für mich gefühlt glücklich sein konnte, wo ich im Nachhinein doch festgestellt habe, was alles schief gelaufen ist in meiner Kindheit / Familie. Das schien mir immer völlig paradox, diese zwei Seiten!!! Nicht miteinander verknüpfbar. Aber die Vorstellung der Identifizierung mit dem "Spirits" meiner Familie analog zur Firma war mir sofort einleuchtend. Also ja, aus meiner Erfahrung kann ich wohl sagen, dass die Symbiosewerte unter solchen Umständen auf jeden Fall aussagekräftiger sind als die Autonomiewerte.
Danke Ero, für deine spannenden Berichte und erhellenden, bereichernden Gedanken. Alles Liebe Maria
Unsere älteste Tochter hatte mich nach Literatur zur transgenerationalen Weitergabe von Traumata gefragt. Ich nannte ihr http://www.forumkriegsenkel.de/Studie.htm – die Seite von Prof. Dr. Radebold existiert wohl nicht mehr. Außerdem druckte ich ihr einiges aus. Vorgestern las mir die Zusammenfassung der dort erwähnten Studie vor – mein Mann und ich und viele Gleichaltrige kennen das, was da steht, ganz genau: Ja, so stellt/stellte es sich dar, ja, wir haben jahrelang den Kontakt zu den Eltern abgebrochen, um unsere Kinder "in Ruhe" halbwegs großziehen zu können und um an uns zu arbeiten. Nach sieben Jahren ca. – und viel innerer Arbeit – waren wir mit beiden Elternpaaren im Frieden.
Nach den vielen Jahren, die ich mit den ganzen Themen, die im eigenen Leben so herumliegen, verbracht habe und nachdem ich bereits so viel (er)lösen konnte, kommt es mir gegenwärtig so vor, als wenn es wirklich "schneller" geht mit dem Heilen.